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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Veranlassung hatte, hinter den Coulissen zu stehen, der mußte sich herzlich freuen
über den Antheil der Schauspieler an einander, über die Achtung vor den gegen-
genseitigen Leistungen, die freundliche Kritik, den menschlichen Antheil, den Einer
dem Andern bewies. In dem kleinen Sprechzimmer des unbequemen Theater-
raums saß und lebte in den Entreakten eine fröhliche, behagliche Genossenschaft
zusammen. Wagner schweigend ans seinem Stühlchen, vor ihm Freund Marr,
der ihm väterlich den verschobenen Halskragen zurechtrückt und ihn in liebevollem
Basse bittet, bei seinem nächsten Abgänge als Uriel sein Feuer zu mäßigen und
leine Coulisse umzureißen; in der Sophaecke die Unzelmann, welche ihm ein "gut"
zuflüstert; vor ihnen Richter auf- und abgehend, dessen nettes Wamms aller
Gegenwärtigen Bewunderung erregt; auf dem Tische in der Ecke sitzt unser armer
Hofdichter, noch traurig darüber, daß er als nette im zweiten Akt der Karlschüler
vergessen hat, ans dem Kamin zu verschwinden, sobald der Herzog die Räuber¬
bande beim Tabakrauchen überrascht. Ja, er hatte es aus lauter Aufmerksamkeit
auf den Herzog und die schauervolle Situation ganz vergessen und saß recht ge¬
müthlich und ausfällig auf den Kohlen, bis Lanbe als Dichter den Effekt seiner
Scene dadurch rettete, daß er hinter den Coulissen zu ihm stürzte und ihn ver¬
schwinden machte. Und Keller dazwischen auf- und niedersteigend und seine Rolle
schwenkend, und die Geh neben der Unzelmann in der andern Ecke, und unsere
gute Madam Eicke und wer sonst noch im Stück zu thun hatte, wie aufgeregt
und selig saß und lief das Alles durcheinander, wenn das Stück gefiel, oder
Henry Schnurriges Zeug machte, oder Guttmann als Bösewtcht ungewöhnlich un¬
moralisch aussah! -- Und wieder auf der Bühne, wie dirigirte Marr bald mit
Stentorstimme und bald dnrch Pantomime; wie ärgerte er sich, wenn die Brüder
des Akosta, hoffnungsvolle Anfänger, es vergaßen die großen Schlapphüte abzu¬
nehmen, als sie mit ihrer Mutter die elegante Judith besuchten, und wie uner¬
müdlich winkte und brummte er: hierher, dorthin, feuriger, lauter u. s. w.,
ja kroch er uicht gar auf eine Lampeuleitcr hinter den. Coulissen und diri¬
girte als Kapellmeister mit ungeheurer Papierdüte eine große Volksversamm¬
lung in Fröbel'S Republikanern, so daß sämmtliche Choristen als aufgeregte
Nepul'likanermasse von Genf unheimlich schielten, mit einem Auge als trotzige
Schweizer hinaus ius Publikum, mit dem andern Auge als ängstliche Kunstjünger
nach der weißen Papierdüte. -- Bah! das ist alles zu unbedeutend für unser
großes Jahr 1849, wer kümmert sich jetzt noch darum, wie mau einst das Leip-
ziger Theater regierte! -- Wir, Freund Marr, wir Leipziger thun's doch uoch-
Das Publikum hatte den Genuß von dem kleinen Stillleben hinter den Coulissen;
daß die Schauspieler gut spielten, kam daher, daß sie Freude an einander hatten,
sich achteten, und wußten, daß sie in Gemeinschaft etwas Gutes leisten konnte".
Keinem von Allen ist's außerhalb Leipzig so wohl geworden, wie damals hier.
Sie waren Alle verwöhnt, die Armen. Verwöhne dnrch ein gutes KünstlerlebM


Veranlassung hatte, hinter den Coulissen zu stehen, der mußte sich herzlich freuen
über den Antheil der Schauspieler an einander, über die Achtung vor den gegen-
genseitigen Leistungen, die freundliche Kritik, den menschlichen Antheil, den Einer
dem Andern bewies. In dem kleinen Sprechzimmer des unbequemen Theater-
raums saß und lebte in den Entreakten eine fröhliche, behagliche Genossenschaft
zusammen. Wagner schweigend ans seinem Stühlchen, vor ihm Freund Marr,
der ihm väterlich den verschobenen Halskragen zurechtrückt und ihn in liebevollem
Basse bittet, bei seinem nächsten Abgänge als Uriel sein Feuer zu mäßigen und
leine Coulisse umzureißen; in der Sophaecke die Unzelmann, welche ihm ein „gut"
zuflüstert; vor ihnen Richter auf- und abgehend, dessen nettes Wamms aller
Gegenwärtigen Bewunderung erregt; auf dem Tische in der Ecke sitzt unser armer
Hofdichter, noch traurig darüber, daß er als nette im zweiten Akt der Karlschüler
vergessen hat, ans dem Kamin zu verschwinden, sobald der Herzog die Räuber¬
bande beim Tabakrauchen überrascht. Ja, er hatte es aus lauter Aufmerksamkeit
auf den Herzog und die schauervolle Situation ganz vergessen und saß recht ge¬
müthlich und ausfällig auf den Kohlen, bis Lanbe als Dichter den Effekt seiner
Scene dadurch rettete, daß er hinter den Coulissen zu ihm stürzte und ihn ver¬
schwinden machte. Und Keller dazwischen auf- und niedersteigend und seine Rolle
schwenkend, und die Geh neben der Unzelmann in der andern Ecke, und unsere
gute Madam Eicke und wer sonst noch im Stück zu thun hatte, wie aufgeregt
und selig saß und lief das Alles durcheinander, wenn das Stück gefiel, oder
Henry Schnurriges Zeug machte, oder Guttmann als Bösewtcht ungewöhnlich un¬
moralisch aussah! — Und wieder auf der Bühne, wie dirigirte Marr bald mit
Stentorstimme und bald dnrch Pantomime; wie ärgerte er sich, wenn die Brüder
des Akosta, hoffnungsvolle Anfänger, es vergaßen die großen Schlapphüte abzu¬
nehmen, als sie mit ihrer Mutter die elegante Judith besuchten, und wie uner¬
müdlich winkte und brummte er: hierher, dorthin, feuriger, lauter u. s. w.,
ja kroch er uicht gar auf eine Lampeuleitcr hinter den. Coulissen und diri¬
girte als Kapellmeister mit ungeheurer Papierdüte eine große Volksversamm¬
lung in Fröbel'S Republikanern, so daß sämmtliche Choristen als aufgeregte
Nepul'likanermasse von Genf unheimlich schielten, mit einem Auge als trotzige
Schweizer hinaus ius Publikum, mit dem andern Auge als ängstliche Kunstjünger
nach der weißen Papierdüte. — Bah! das ist alles zu unbedeutend für unser
großes Jahr 1849, wer kümmert sich jetzt noch darum, wie mau einst das Leip-
ziger Theater regierte! — Wir, Freund Marr, wir Leipziger thun's doch uoch-
Das Publikum hatte den Genuß von dem kleinen Stillleben hinter den Coulissen;
daß die Schauspieler gut spielten, kam daher, daß sie Freude an einander hatten,
sich achteten, und wußten, daß sie in Gemeinschaft etwas Gutes leisten konnte».
Keinem von Allen ist's außerhalb Leipzig so wohl geworden, wie damals hier.
Sie waren Alle verwöhnt, die Armen. Verwöhne dnrch ein gutes KünstlerlebM


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[0386] Veranlassung hatte, hinter den Coulissen zu stehen, der mußte sich herzlich freuen über den Antheil der Schauspieler an einander, über die Achtung vor den gegen- genseitigen Leistungen, die freundliche Kritik, den menschlichen Antheil, den Einer dem Andern bewies. In dem kleinen Sprechzimmer des unbequemen Theater- raums saß und lebte in den Entreakten eine fröhliche, behagliche Genossenschaft zusammen. Wagner schweigend ans seinem Stühlchen, vor ihm Freund Marr, der ihm väterlich den verschobenen Halskragen zurechtrückt und ihn in liebevollem Basse bittet, bei seinem nächsten Abgänge als Uriel sein Feuer zu mäßigen und leine Coulisse umzureißen; in der Sophaecke die Unzelmann, welche ihm ein „gut" zuflüstert; vor ihnen Richter auf- und abgehend, dessen nettes Wamms aller Gegenwärtigen Bewunderung erregt; auf dem Tische in der Ecke sitzt unser armer Hofdichter, noch traurig darüber, daß er als nette im zweiten Akt der Karlschüler vergessen hat, ans dem Kamin zu verschwinden, sobald der Herzog die Räuber¬ bande beim Tabakrauchen überrascht. Ja, er hatte es aus lauter Aufmerksamkeit auf den Herzog und die schauervolle Situation ganz vergessen und saß recht ge¬ müthlich und ausfällig auf den Kohlen, bis Lanbe als Dichter den Effekt seiner Scene dadurch rettete, daß er hinter den Coulissen zu ihm stürzte und ihn ver¬ schwinden machte. Und Keller dazwischen auf- und niedersteigend und seine Rolle schwenkend, und die Geh neben der Unzelmann in der andern Ecke, und unsere gute Madam Eicke und wer sonst noch im Stück zu thun hatte, wie aufgeregt und selig saß und lief das Alles durcheinander, wenn das Stück gefiel, oder Henry Schnurriges Zeug machte, oder Guttmann als Bösewtcht ungewöhnlich un¬ moralisch aussah! — Und wieder auf der Bühne, wie dirigirte Marr bald mit Stentorstimme und bald dnrch Pantomime; wie ärgerte er sich, wenn die Brüder des Akosta, hoffnungsvolle Anfänger, es vergaßen die großen Schlapphüte abzu¬ nehmen, als sie mit ihrer Mutter die elegante Judith besuchten, und wie uner¬ müdlich winkte und brummte er: hierher, dorthin, feuriger, lauter u. s. w., ja kroch er uicht gar auf eine Lampeuleitcr hinter den. Coulissen und diri¬ girte als Kapellmeister mit ungeheurer Papierdüte eine große Volksversamm¬ lung in Fröbel'S Republikanern, so daß sämmtliche Choristen als aufgeregte Nepul'likanermasse von Genf unheimlich schielten, mit einem Auge als trotzige Schweizer hinaus ius Publikum, mit dem andern Auge als ängstliche Kunstjünger nach der weißen Papierdüte. — Bah! das ist alles zu unbedeutend für unser großes Jahr 1849, wer kümmert sich jetzt noch darum, wie mau einst das Leip- ziger Theater regierte! — Wir, Freund Marr, wir Leipziger thun's doch uoch- Das Publikum hatte den Genuß von dem kleinen Stillleben hinter den Coulissen; daß die Schauspieler gut spielten, kam daher, daß sie Freude an einander hatten, sich achteten, und wußten, daß sie in Gemeinschaft etwas Gutes leisten konnte». Keinem von Allen ist's außerhalb Leipzig so wohl geworden, wie damals hier. Sie waren Alle verwöhnt, die Armen. Verwöhne dnrch ein gutes KünstlerlebM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/386>, abgerufen am 15.01.2025.