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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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gebracht und bieten für 1 Kreuzer dem Volke das Neueste aus der Politik. Selbst
der Hof und die höhere Bureaukratie hat sich in diesem Blatt gegen die Grund¬
rechte, gegen die Reichsverfassung und namentlich gegen die Verprenßuug Baierns
vernehmen lassen; das Blatt wird regelmäßig vom Könige Max gelesen. Die
"neuesten Nachrichten" riefen die "allerneuesten Nachrichten" in's Dasein, das
"Vorwärts" seinerseits das "Rückwärts." Wir hatten "ein freies Wort", den
"reisenden Teufel" dann den "Nevolutivnsteufel" wir haben noch das salinische
Blatt "den Fiucssenseppcrl" redigirt von Robert Lenke (dem Redacteur der hier
vor mehreren Jahren erschienenen Kunstblätter); derselbe hat auch einen Volkskate-
chismuS herausgegeben und deu lieben altbairischen Kindern die Grundrechte ge¬
deutet.

Nißle, der Agitator des Arbeitervereins gab ein republikanisches Blatt "Es
muß Tag werden" heraus; schon die Nummer ward confiscire und der Ver¬
sasser auf Hochverrath verhaftet. Die Ausschweifungen des ultramontanen
"Volksboden" haben eine liberale "Vvlksbötin" hervorgerufen, redigirt vom Re¬
dacteur des Punsch, die am ersten Tage ihres Erscheinens schon 7V00 Exemplare
absetzte. Die Vvlksbötin tritt im echten Volkston für die Volksfreiheit in die
Schranken, das gute Maß des Humors womit sie die Tagesereignisse und die
Personen beleuchtet, muß ihr auch für alle Zukunft die Theilnahme des Publi¬
kums sichern; sie wird wohl unser bestes Volksblatt werden. Die "Münchener
Volkshalle" redigirt von Sax ist unbedeutend, dagegen scheint . Zopf und Scheere"
Organ des Fortschritts im Gemeindewesen, redigirt von Florian, das alle Ver¬
handlungen der Gemeindebehörden vollständig bringt und oft treffend durchhechelt,
ziemlich große Verbreitung zu haben.

Mau sollte nun meinen, bei dem regen Interesse, welches unsere Bevölkerung
den Preßcrzeugnissen zuwendet, müsse eine gewisse politische Cultur in allen Kreisen
sich äußern, dem ist aber nicht so. Die mangelhafte Schul- und Hansbildung
läßt bei deu Meisten wenig anderes aufkommen, als platte Neugier, blöde
Spott- und Lachlust, und es ist nur daraus erklärlich, warum Bureaukratie nud
Ultramontanismus immer wieder, auch bei deu größten Erschütterungen der Zeit,
einen organischen Fortschritt in weiteren Kreisen zu hintertreiben vermögen. Schafft
uns andere Schulen und Universitäten und ihr werdet ein neues Volksleben
rasch erblühen sehen. Bis dahin wird München berühmt sein, als die Stadt des
Bock, der architektonischen Launen König Ludwigs, und als die Stadt der wohl¬
genährten Leute, aber große politische Weisheit muß man von ihrer Bevölkerung
nicht verlangen.




gebracht und bieten für 1 Kreuzer dem Volke das Neueste aus der Politik. Selbst
der Hof und die höhere Bureaukratie hat sich in diesem Blatt gegen die Grund¬
rechte, gegen die Reichsverfassung und namentlich gegen die Verprenßuug Baierns
vernehmen lassen; das Blatt wird regelmäßig vom Könige Max gelesen. Die
„neuesten Nachrichten" riefen die „allerneuesten Nachrichten" in's Dasein, das
„Vorwärts" seinerseits das „Rückwärts." Wir hatten „ein freies Wort", den
„reisenden Teufel" dann den „Nevolutivnsteufel" wir haben noch das salinische
Blatt „den Fiucssenseppcrl" redigirt von Robert Lenke (dem Redacteur der hier
vor mehreren Jahren erschienenen Kunstblätter); derselbe hat auch einen Volkskate-
chismuS herausgegeben und deu lieben altbairischen Kindern die Grundrechte ge¬
deutet.

Nißle, der Agitator des Arbeitervereins gab ein republikanisches Blatt „Es
muß Tag werden" heraus; schon die Nummer ward confiscire und der Ver¬
sasser auf Hochverrath verhaftet. Die Ausschweifungen des ultramontanen
„Volksboden" haben eine liberale „Vvlksbötin" hervorgerufen, redigirt vom Re¬
dacteur des Punsch, die am ersten Tage ihres Erscheinens schon 7V00 Exemplare
absetzte. Die Vvlksbötin tritt im echten Volkston für die Volksfreiheit in die
Schranken, das gute Maß des Humors womit sie die Tagesereignisse und die
Personen beleuchtet, muß ihr auch für alle Zukunft die Theilnahme des Publi¬
kums sichern; sie wird wohl unser bestes Volksblatt werden. Die „Münchener
Volkshalle" redigirt von Sax ist unbedeutend, dagegen scheint . Zopf und Scheere"
Organ des Fortschritts im Gemeindewesen, redigirt von Florian, das alle Ver¬
handlungen der Gemeindebehörden vollständig bringt und oft treffend durchhechelt,
ziemlich große Verbreitung zu haben.

Mau sollte nun meinen, bei dem regen Interesse, welches unsere Bevölkerung
den Preßcrzeugnissen zuwendet, müsse eine gewisse politische Cultur in allen Kreisen
sich äußern, dem ist aber nicht so. Die mangelhafte Schul- und Hansbildung
läßt bei deu Meisten wenig anderes aufkommen, als platte Neugier, blöde
Spott- und Lachlust, und es ist nur daraus erklärlich, warum Bureaukratie nud
Ultramontanismus immer wieder, auch bei deu größten Erschütterungen der Zeit,
einen organischen Fortschritt in weiteren Kreisen zu hintertreiben vermögen. Schafft
uns andere Schulen und Universitäten und ihr werdet ein neues Volksleben
rasch erblühen sehen. Bis dahin wird München berühmt sein, als die Stadt des
Bock, der architektonischen Launen König Ludwigs, und als die Stadt der wohl¬
genährten Leute, aber große politische Weisheit muß man von ihrer Bevölkerung
nicht verlangen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/375>, abgerufen am 15.01.2025.