Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Sonderbar, daß man diesen Druck und den von den Polen angeblich geübten Die Römer würden, wenn die Barbaren nie nach Italien gekommen wären, Was nun das Volksbewußtsein betrifft, so ist es allerdings wahr, daß man Daß das rnthenische Landvolk keine Sympathien für die polnische Sache ge¬ Wir glauben jedoch, daß die damalige Haltung der Bauern und der Zwie¬ Sonderbar, daß man diesen Druck und den von den Polen angeblich geübten Die Römer würden, wenn die Barbaren nie nach Italien gekommen wären, Was nun das Volksbewußtsein betrifft, so ist es allerdings wahr, daß man Daß das rnthenische Landvolk keine Sympathien für die polnische Sache ge¬ Wir glauben jedoch, daß die damalige Haltung der Bauern und der Zwie¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278876"/> <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134"> Sonderbar, daß man diesen Druck und den von den Polen angeblich geübten<lb/> Sprachzwaug erst jetzt zu spüren beginnt, mehr als 70 Jahre nachdem er ganz<lb/> aufgehört hat. Denn seit Galizien östreichisch ist, hatte sich die polnische Sprache<lb/> gewiß keiner Begünstigung von Seiten der Regierung zu erfreuen; sie wurde so¬<lb/> gar als Schul- und Gerichtssprache vou der deutschen verdrängt, und war also<lb/> durchaus nicht im Stande, gewaltsame Eroberungen auf dem Gebiete einer andern<lb/> Sprache zu macheu. Wie dem aber auch sei, mag die polnische Sprache in frü¬<lb/> herer Zeit immerhin den Nutheuen gewaltsam aufgedrungen worden sein, genug<lb/> jetzt ist sie bereits die ihrige geworden, und wir begreisen nicht, zu wessen Nutzen<lb/> und Frommen man ihnen jetzt zumuthet, eine Sprache, die,sie bis jetzt stets als<lb/> die ihrige betrachtet, und die in der That auch ihnen gehört, wie nnr irgend<lb/> einem Volke die seinige, an deren Ausbildung sie eben so mitgearbeitet, und zu<lb/> deren Literatur sie eben so viele Beiträge geliefert haben als die andern Polen,<lb/> aufzugeben, und wieder vou vorn anfangend sich erst aus ihrem Dialekte eine neue<lb/> Sprache und Literatur auszubilden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1136"> Die Römer würden, wenn die Barbaren nie nach Italien gekommen wären,<lb/> wohl jetzt noch die Sprache des Cicero reden, sind also auch gewisser Maßen ge¬<lb/> waltsam um ihre Sprache gebracht worden ; deshalb aber fällt es auch den eifrig¬<lb/> sten Patrioten unter ihnen nicht ein, wenn sie „lam-i, i b-uliin'i" rufen, ihnen anch<lb/> Dante und Petrarka über die Alpen nachzuwerfen, und statt ihrer den Virgil<lb/> und Horaz hervorzusuchen, sondern sie machen sich gar kein Gewissen daraus noch<lb/> ferner italienisch zu sprechen und zu schreiben, und nnr die Schulüiaben machen<lb/> lateinische Persa.</p><lb/> <p xml:id="ID_1137"> Was nun das Volksbewußtsein betrifft, so ist es allerdings wahr, daß man<lb/> auch im gemeinen Leben polnisch und ruthcuisch wohl unterscheidet; aber man macht<lb/> diesen Unterschied blos in religiöser, nicht in nationaler Beziehung, und diese Aus¬<lb/> drücke bedeuten hier so viel als römisch katholisch und griechisch unirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1138"> Daß das rnthenische Landvolk keine Sympathien für die polnische Sache ge¬<lb/> zeigt, hat ebenfalls seine Nichtigkeit; allein der Bauer des westlichen Galiziens<lb/> ist doch unstreitig ein Pole, und doch spielte der galizische Bauernkrieg vom Jahre<lb/> 184K eben in den westlichen Kreisen deö Landes, während das Landvolk in dem<lb/> östlichen ruthenischen Theile sich ganz passiv verhielt, und der Adel daselbst ebenso<lb/> eifrig wie der im Westen sich am Aufstände betheiligte. Wenn man also die Er¬<lb/> eignisse jenes Jahres durchaus durch nationale Antipathien erklären will, so<lb/> würde man jedenfalls mit der Wuttke'sehen Hypothese, daß alle Bauern Polen<lb/> und alle Edelleute Sarmaten seien, besser auslangen als mit der jetzigen von der<lb/> ruthenischen Nationalität.</p><lb/> <p xml:id="ID_1139"> Wir glauben jedoch, daß die damalige Haltung der Bauern und der Zwie¬<lb/> spalt, der sich zwischen ihnen und dem Adel kund gab, ganz nndersworin ihren<lb/> Grund haben.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
Sonderbar, daß man diesen Druck und den von den Polen angeblich geübten
Sprachzwaug erst jetzt zu spüren beginnt, mehr als 70 Jahre nachdem er ganz
aufgehört hat. Denn seit Galizien östreichisch ist, hatte sich die polnische Sprache
gewiß keiner Begünstigung von Seiten der Regierung zu erfreuen; sie wurde so¬
gar als Schul- und Gerichtssprache vou der deutschen verdrängt, und war also
durchaus nicht im Stande, gewaltsame Eroberungen auf dem Gebiete einer andern
Sprache zu macheu. Wie dem aber auch sei, mag die polnische Sprache in frü¬
herer Zeit immerhin den Nutheuen gewaltsam aufgedrungen worden sein, genug
jetzt ist sie bereits die ihrige geworden, und wir begreisen nicht, zu wessen Nutzen
und Frommen man ihnen jetzt zumuthet, eine Sprache, die,sie bis jetzt stets als
die ihrige betrachtet, und die in der That auch ihnen gehört, wie nnr irgend
einem Volke die seinige, an deren Ausbildung sie eben so mitgearbeitet, und zu
deren Literatur sie eben so viele Beiträge geliefert haben als die andern Polen,
aufzugeben, und wieder vou vorn anfangend sich erst aus ihrem Dialekte eine neue
Sprache und Literatur auszubilden.
Die Römer würden, wenn die Barbaren nie nach Italien gekommen wären,
wohl jetzt noch die Sprache des Cicero reden, sind also auch gewisser Maßen ge¬
waltsam um ihre Sprache gebracht worden ; deshalb aber fällt es auch den eifrig¬
sten Patrioten unter ihnen nicht ein, wenn sie „lam-i, i b-uliin'i" rufen, ihnen anch
Dante und Petrarka über die Alpen nachzuwerfen, und statt ihrer den Virgil
und Horaz hervorzusuchen, sondern sie machen sich gar kein Gewissen daraus noch
ferner italienisch zu sprechen und zu schreiben, und nnr die Schulüiaben machen
lateinische Persa.
Was nun das Volksbewußtsein betrifft, so ist es allerdings wahr, daß man
auch im gemeinen Leben polnisch und ruthcuisch wohl unterscheidet; aber man macht
diesen Unterschied blos in religiöser, nicht in nationaler Beziehung, und diese Aus¬
drücke bedeuten hier so viel als römisch katholisch und griechisch unirt.
Daß das rnthenische Landvolk keine Sympathien für die polnische Sache ge¬
zeigt, hat ebenfalls seine Nichtigkeit; allein der Bauer des westlichen Galiziens
ist doch unstreitig ein Pole, und doch spielte der galizische Bauernkrieg vom Jahre
184K eben in den westlichen Kreisen deö Landes, während das Landvolk in dem
östlichen ruthenischen Theile sich ganz passiv verhielt, und der Adel daselbst ebenso
eifrig wie der im Westen sich am Aufstände betheiligte. Wenn man also die Er¬
eignisse jenes Jahres durchaus durch nationale Antipathien erklären will, so
würde man jedenfalls mit der Wuttke'sehen Hypothese, daß alle Bauern Polen
und alle Edelleute Sarmaten seien, besser auslangen als mit der jetzigen von der
ruthenischen Nationalität.
Wir glauben jedoch, daß die damalige Haltung der Bauern und der Zwie¬
spalt, der sich zwischen ihnen und dem Adel kund gab, ganz nndersworin ihren
Grund haben.
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