Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.troyirte Charte nebst dem Auflösnngspatent des Reichstags an allen Ecken zu Mehr läßt sich über den ersten Eindruck, den der Olmützer Staatsstreich bei Dort leiert ein barfüßiger Troubadour, um dem sich eine buntgemischte Gruppe Treten wir jetzt in dieses Gasthaus ein. Zu solchen Zeiten ist ja eine jede troyirte Charte nebst dem Auflösnngspatent des Reichstags an allen Ecken zu Mehr läßt sich über den ersten Eindruck, den der Olmützer Staatsstreich bei Dort leiert ein barfüßiger Troubadour, um dem sich eine buntgemischte Gruppe Treten wir jetzt in dieses Gasthaus ein. Zu solchen Zeiten ist ja eine jede <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278545"/> <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> troyirte Charte nebst dem Auflösnngspatent des Reichstags an allen Ecken zu<lb/> lesen war. Wer das Glück hatte, in der gehörigen Sehweite vor den Placatm<lb/> festen Fuß gefaßt zu haben, übernahm die Rolle des Vorlesers vor einem höchst<lb/> aufmerksamen Auditorium, das nach geendeter Vorlesung still und ruhig „der er¬<lb/> sten Bürgerpflicht" eingedenk, aber nicht eben sehr erbaut, auseinanderging. Nur<lb/> hie und da zuckte ein zufriedenes, halb schadenfrohes Lächeln über das feiste Antlitz eines<lb/> Bourgeois, wenn er etwa in dem stillen Mann, der ihm zur Seite stand und an<lb/> den Nägeln kaute, den verwitterten Demagogen der Junitage erkannte, welcher<lb/> ihn damals mit wilden Flüchen von der Ofenbank zum Barrikadenban hinaus¬<lb/> drängte. Im Ganzen genommen, waren aber die unartikulirter Laute des Er¬<lb/> staunens, wie sie ein so ungewöhnliches Ereigniß hervorzurufen Pflegt, wenig zu<lb/> hören. Nur dann, wenn das Blut noch vom Kampfe erhitzt ist, und in frischer,<lb/> revolutionärer Wallung durch die Adern rollt, kann es bei einer solchen Hiobspost<lb/> in plötzliche Stockung gerathen; aber mit kaltem Blut kann man selbst der Me¬<lb/> duse ruhig nud ohne Gefahr in's Gesicht sehen. Während der Nevolntions-<lb/> ftrien der letzten Zeit ist das Volk nachdenklich geworden, und über die sanguinische<lb/> Naivetät der Verwunderung mit vielem Glück hinweggekommen. Das Horazische<lb/> ,M miruri", welches den Männern der Grenzboten als leitender Gedanke in der<lb/> Politik vorschwebte, ist jetzt eine Bauernregel, die man ans dem Markte hören<lb/> kann, eine simple, hausbackene Moral, die sich das Volk selbst aus der durch¬<lb/> gemachten Revolutionsgeschichte abstrahirt. —</p><lb/> <p xml:id="ID_100"> Mehr läßt sich über den ersten Eindruck, den der Olmützer Staatsstreich bei<lb/> uns gemacht hat, nicht eben sagen. Nun wollen wir aber nachsehen, wie dieses<lb/> Ereigniß in der nächsten Woche nach seiner Bekanntwerdung in dem untern Schiffs¬<lb/> raum des Staatsschiffes nachklingt. —</p><lb/> <p xml:id="ID_101"> Dort leiert ein barfüßiger Troubadour, um dem sich eine buntgemischte Gruppe<lb/> gebildet hat, ein Lied herunter, dessen einzelne Strophen lebhast beklatscht werden.<lb/> Lassen Sie uns den kundigen Thebaner, den edlen Philosophen hören! Die Me¬<lb/> lodie ist alt, sie ist uns schou von dem Gassenhauer: „SusoIKi,, nun niso" be¬<lb/> kannt — aber der pikante Text ist neu, und will ein Spottlied auf die Rechte,<lb/> auf ihre Flucht von Wien und ihre weiland ministerielle Politik vorstellen. Das<lb/> Volk vermag nicht in klarer verständiger Prosa zu sprechen und kalte daher seine<lb/> Orakelsprüche in Knittelversen her. Wir wollen schnell dieses Lied dem armen,<lb/> frierenden Toms abkaufen, ehe es der Staatsanwalt confisciren läßt; es ist ja<lb/> auch ein Beitrag zur Volkspoesie des Ncvolutionszeitalters. Der Knabe stößt<lb/> wieder in das Wunderhorn und von Neuem ertönt die Stimme des Volkes in<lb/> Liedern.</p><lb/> <p xml:id="ID_102" next="#ID_103"> Treten wir jetzt in dieses Gasthaus ein. Zu solchen Zeiten ist ja eine jede<lb/> Wirthsstube eine Höhle des Trvphouius, wo sich Bilder der Zukunft aus den<lb/> dunklen Rauchwolken enthüllen. Ein Kreis von tüchtigen, gedrungenen Gestalten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
troyirte Charte nebst dem Auflösnngspatent des Reichstags an allen Ecken zu
lesen war. Wer das Glück hatte, in der gehörigen Sehweite vor den Placatm
festen Fuß gefaßt zu haben, übernahm die Rolle des Vorlesers vor einem höchst
aufmerksamen Auditorium, das nach geendeter Vorlesung still und ruhig „der er¬
sten Bürgerpflicht" eingedenk, aber nicht eben sehr erbaut, auseinanderging. Nur
hie und da zuckte ein zufriedenes, halb schadenfrohes Lächeln über das feiste Antlitz eines
Bourgeois, wenn er etwa in dem stillen Mann, der ihm zur Seite stand und an
den Nägeln kaute, den verwitterten Demagogen der Junitage erkannte, welcher
ihn damals mit wilden Flüchen von der Ofenbank zum Barrikadenban hinaus¬
drängte. Im Ganzen genommen, waren aber die unartikulirter Laute des Er¬
staunens, wie sie ein so ungewöhnliches Ereigniß hervorzurufen Pflegt, wenig zu
hören. Nur dann, wenn das Blut noch vom Kampfe erhitzt ist, und in frischer,
revolutionärer Wallung durch die Adern rollt, kann es bei einer solchen Hiobspost
in plötzliche Stockung gerathen; aber mit kaltem Blut kann man selbst der Me¬
duse ruhig nud ohne Gefahr in's Gesicht sehen. Während der Nevolntions-
ftrien der letzten Zeit ist das Volk nachdenklich geworden, und über die sanguinische
Naivetät der Verwunderung mit vielem Glück hinweggekommen. Das Horazische
,M miruri", welches den Männern der Grenzboten als leitender Gedanke in der
Politik vorschwebte, ist jetzt eine Bauernregel, die man ans dem Markte hören
kann, eine simple, hausbackene Moral, die sich das Volk selbst aus der durch¬
gemachten Revolutionsgeschichte abstrahirt. —
Mehr läßt sich über den ersten Eindruck, den der Olmützer Staatsstreich bei
uns gemacht hat, nicht eben sagen. Nun wollen wir aber nachsehen, wie dieses
Ereigniß in der nächsten Woche nach seiner Bekanntwerdung in dem untern Schiffs¬
raum des Staatsschiffes nachklingt. —
Dort leiert ein barfüßiger Troubadour, um dem sich eine buntgemischte Gruppe
gebildet hat, ein Lied herunter, dessen einzelne Strophen lebhast beklatscht werden.
Lassen Sie uns den kundigen Thebaner, den edlen Philosophen hören! Die Me¬
lodie ist alt, sie ist uns schou von dem Gassenhauer: „SusoIKi,, nun niso" be¬
kannt — aber der pikante Text ist neu, und will ein Spottlied auf die Rechte,
auf ihre Flucht von Wien und ihre weiland ministerielle Politik vorstellen. Das
Volk vermag nicht in klarer verständiger Prosa zu sprechen und kalte daher seine
Orakelsprüche in Knittelversen her. Wir wollen schnell dieses Lied dem armen,
frierenden Toms abkaufen, ehe es der Staatsanwalt confisciren läßt; es ist ja
auch ein Beitrag zur Volkspoesie des Ncvolutionszeitalters. Der Knabe stößt
wieder in das Wunderhorn und von Neuem ertönt die Stimme des Volkes in
Liedern.
Treten wir jetzt in dieses Gasthaus ein. Zu solchen Zeiten ist ja eine jede
Wirthsstube eine Höhle des Trvphouius, wo sich Bilder der Zukunft aus den
dunklen Rauchwolken enthüllen. Ein Kreis von tüchtigen, gedrungenen Gestalten
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