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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Artikels solidarisch mit dem Redacteur. Ist nicht ganz verständlich. Werden beide
Theile oder, wenn mehrere Redacteure, sind alle zusammen jeder mit der vollen
Höhe der Strafe belegt, oder wird sie zu gleichen Theilen unter die Schuldigen
vertheilt? Die Haftung der Redaction dürfte nur eine eventuelle sein. -- Den
Drucker und Verbreiter (Colporteur) eiuer Zeitschrift aber ebenfalls für den Inhalt
verantwortlich zu machen, wenn Verfasser oder Verleger auf ihr angegeben sind,
ist ein bitteres Unrecht, das aus allen ältern Gesetzbüchern ausgemerzt werden
muß, in einem neue" aber eine Abgeschmacktheit ist.

Ich behaupte, daS Gesetz ist schlecht, unklar, unvernünftig; daß das Mini¬
sterium aber in seiner Weise ehrlich sein will, beweist der Nachtrag über die
Bildung von Geschwornengerichteu, von denen Preßvergehen beurtheilt werden sollen.
Dies zweite Gesetz ist besser, auch in seinem Detail. Nur sind sür Oestreich zwei
bedenkliche Uebelstände dabei. Zunächst die Bestimmung, daß der Staatsanwalt
erst dann seinen Antrag auf das Strafmaaß stellt, wenn die Geschworenen ihr
Schuldig bereits gesprochen haben, dies Strafmaaß wird von dem Richtercollegium
in geheimer Sitzung bestimmt. Da das neue Preßgesetz in dem harten Srraf-
maaß den Richtern einen ungeheuern Spielraum gelassen hat, der theilweise Ver¬
fall der Caution und die zeitweise Suspension der Zeitschrift anch von ihrem sub-
jectiven Ermessen alihängen, so wird die Wohlthat des Geschwornengerichts schon
dadurch ziemlich illusorisch. Ferner aber sind die Geschworenen noch nicht vor¬
handen, das Gesetz aber bereits in Kraft getreten. Ich bin neugierig, ob das
Gesetz die Geschworenen unnöthig machen wird, oder die Geschworenen das Ge¬
setz. -- Wem diese Antithese unverständlich ist, der habe die Güte, noch einige
Wochen zu warten, die Erklärung wird nicht ausbleiben.

Die Einheit des großen Kaiscrstaats, welche in der neuen Verfassung noch
so träumerisch idealisirt würde, erscheint in dem Preßgesetz bereits aufgegeben;
bemerkt, ihr Freunde, daß es für Ungarn und die Südslaven nicht gegeben ist.
-- Wir Wiener klagen nicht mehr, Mehrere sind ruhig und werden feist, Andere
werden hager und pressen die Zähne zusammen. Es riecht nach Leichen durch
ganz Wien, wer an einen Gott glaubt, betet ängstlich zu ihm: Herr erhalte
mir meine fünf Sinne! - O es ist abscheulich. --




Physiognomie von Prag.



Es war am 8. März, an einem trüben und unfreundlichen Regentage, als
der große Papierdrache, den mau am 4. März in Olmütz zur Beglückung der
Völker Oestreichs aufsteigen ließ, in die Straßen Prags niederfiel und die oc-


Artikels solidarisch mit dem Redacteur. Ist nicht ganz verständlich. Werden beide
Theile oder, wenn mehrere Redacteure, sind alle zusammen jeder mit der vollen
Höhe der Strafe belegt, oder wird sie zu gleichen Theilen unter die Schuldigen
vertheilt? Die Haftung der Redaction dürfte nur eine eventuelle sein. — Den
Drucker und Verbreiter (Colporteur) eiuer Zeitschrift aber ebenfalls für den Inhalt
verantwortlich zu machen, wenn Verfasser oder Verleger auf ihr angegeben sind,
ist ein bitteres Unrecht, das aus allen ältern Gesetzbüchern ausgemerzt werden
muß, in einem neue» aber eine Abgeschmacktheit ist.

Ich behaupte, daS Gesetz ist schlecht, unklar, unvernünftig; daß das Mini¬
sterium aber in seiner Weise ehrlich sein will, beweist der Nachtrag über die
Bildung von Geschwornengerichteu, von denen Preßvergehen beurtheilt werden sollen.
Dies zweite Gesetz ist besser, auch in seinem Detail. Nur sind sür Oestreich zwei
bedenkliche Uebelstände dabei. Zunächst die Bestimmung, daß der Staatsanwalt
erst dann seinen Antrag auf das Strafmaaß stellt, wenn die Geschworenen ihr
Schuldig bereits gesprochen haben, dies Strafmaaß wird von dem Richtercollegium
in geheimer Sitzung bestimmt. Da das neue Preßgesetz in dem harten Srraf-
maaß den Richtern einen ungeheuern Spielraum gelassen hat, der theilweise Ver¬
fall der Caution und die zeitweise Suspension der Zeitschrift anch von ihrem sub-
jectiven Ermessen alihängen, so wird die Wohlthat des Geschwornengerichts schon
dadurch ziemlich illusorisch. Ferner aber sind die Geschworenen noch nicht vor¬
handen, das Gesetz aber bereits in Kraft getreten. Ich bin neugierig, ob das
Gesetz die Geschworenen unnöthig machen wird, oder die Geschworenen das Ge¬
setz. — Wem diese Antithese unverständlich ist, der habe die Güte, noch einige
Wochen zu warten, die Erklärung wird nicht ausbleiben.

Die Einheit des großen Kaiscrstaats, welche in der neuen Verfassung noch
so träumerisch idealisirt würde, erscheint in dem Preßgesetz bereits aufgegeben;
bemerkt, ihr Freunde, daß es für Ungarn und die Südslaven nicht gegeben ist.
— Wir Wiener klagen nicht mehr, Mehrere sind ruhig und werden feist, Andere
werden hager und pressen die Zähne zusammen. Es riecht nach Leichen durch
ganz Wien, wer an einen Gott glaubt, betet ängstlich zu ihm: Herr erhalte
mir meine fünf Sinne! - O es ist abscheulich. —




Physiognomie von Prag.



Es war am 8. März, an einem trüben und unfreundlichen Regentage, als
der große Papierdrache, den mau am 4. März in Olmütz zur Beglückung der
Völker Oestreichs aufsteigen ließ, in die Straßen Prags niederfiel und die oc-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/34>, abgerufen am 15.01.2025.