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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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einen Widerwillen, welcher mehr als einmal wichtige politische Wirkungen her--
vorgebracht hat. Seine Frau und Tochter standen in Geschmack und Fertigkeiten
unter einer Haushälterin oder einem Kammermädchen des heutigen Tages. Sie
nähten und spannen, brauler Stachelbeerwein, legten Ringelblumen ein und machten
die Kruste zur Wildpastete.

Nach dieser Beschreibung könnte man annehmen, daß der englische Esquire
des 17. Jahrhunderts sich nicht wesentlich von einem Müller oder Bierhauswirth
auf dem Lande unterschieden hätte. Indeß gibt es einige noch anzuführende wich¬
tige Bestandtheile seines Charakters, welche dieses Urtheil wesentlich modificiren
werden. Wie fremd er der geistigen Bildung und feinen Manieren war, so war
er doch in einigen wichtigen Punkten ein Gentleman. Er war ein Mitglied einer
stolzen und mächtigen Aristokratie, und viele sowohl der guten als der schlimmen
Eigenschaften, die den Aristokraten angehören, bezeichneten ihn. Sein Familien-
stolz ging über den eines Talbot oder Howard. Er kannte die Stammbäume und
Wappen seiner ganzen Nachbarn und konnte angeben, welche von ihnen ohne Recht
dazu Schildhalter angenommen hätten, und welche so unglücklich wären, die Ur¬
enkel von Aldermen zu sein. Er war eine Magistratsperson und handhabte, als
solche, unentgeldlich, für seine Umwohner eine rohe patriarchalische Justiz, welche,
trotz unzähliger Schnitzer und gelegentlicher Acte der Tyrannei, doch besser war,
als wenn es gar keine Justiz gegeben hätte. Er war ein Offizier der Miliz, und
wem, auch seine militärische Würde die Heiterkeit der Tapfern, die eine Campagne
in Flandern mitgemacht, errege" mochte, so hob sie doch seinen Charakter in sei¬
nen eignen Augen und in den Augen seiner Nachbarn. Auch war sein Soldaten-
thum in der That kein Gegenstand, welcher Spott verdiente. In jeder Grafschaft
gab es ältere Gentlemen, welche Dienst gesehen hatten, der kein Kinderspiel war.
Der Eine war von Karl I., uach der Schlacht vou Edgehill, zum Ritter geschla¬
gen worden. Ein Anderer trug noch immer ein Pflaster über der Narbe, die er
bei Naseby davon getragen. Ein Dritter hatte sein altes Haus vertheidigt, bis
Fairfax die Thüre mit einer Petarde aufsprengte. Die Gegenwart dieser alten
Cavaliere, mit ihren alten Schwertern und Halftern und mit ihren alten Geschich¬
ten über Göring und Lnnsford gab den Musterungen der Miliz all den Ernst
und das kriegerische Aussehen, woran es ihnen sonst gefehlt haben würde. Selbst
diejenigen Landgentlemen, welche zu jung waren, um selbst mit den Kürassierer
des Parlaments Hiebe gewechselt zu haben, waren von Kindheit auf von den
Spuren des erst kürzlich beendigten Krieges umgeben gewesen und mit Geschichten
von den kriegerischen Thaten ihrer Väter und Oheime vollgestopft worden. So
war der Charakter des englischen Esquire des 17. Jahrhunderts ans zwei Ele¬
mente" zusammengesetzt, die wir nicht gewöhnt sind, vereinigt zu finden. Seine
Unwissenheit und Plumpheit, sein niedriger Geschmack und seine groben Redens¬
arten würden in unsrer Zeit als Zeichen einer durch und durch plebejischen Natur


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einen Widerwillen, welcher mehr als einmal wichtige politische Wirkungen her--
vorgebracht hat. Seine Frau und Tochter standen in Geschmack und Fertigkeiten
unter einer Haushälterin oder einem Kammermädchen des heutigen Tages. Sie
nähten und spannen, brauler Stachelbeerwein, legten Ringelblumen ein und machten
die Kruste zur Wildpastete.

Nach dieser Beschreibung könnte man annehmen, daß der englische Esquire
des 17. Jahrhunderts sich nicht wesentlich von einem Müller oder Bierhauswirth
auf dem Lande unterschieden hätte. Indeß gibt es einige noch anzuführende wich¬
tige Bestandtheile seines Charakters, welche dieses Urtheil wesentlich modificiren
werden. Wie fremd er der geistigen Bildung und feinen Manieren war, so war
er doch in einigen wichtigen Punkten ein Gentleman. Er war ein Mitglied einer
stolzen und mächtigen Aristokratie, und viele sowohl der guten als der schlimmen
Eigenschaften, die den Aristokraten angehören, bezeichneten ihn. Sein Familien-
stolz ging über den eines Talbot oder Howard. Er kannte die Stammbäume und
Wappen seiner ganzen Nachbarn und konnte angeben, welche von ihnen ohne Recht
dazu Schildhalter angenommen hätten, und welche so unglücklich wären, die Ur¬
enkel von Aldermen zu sein. Er war eine Magistratsperson und handhabte, als
solche, unentgeldlich, für seine Umwohner eine rohe patriarchalische Justiz, welche,
trotz unzähliger Schnitzer und gelegentlicher Acte der Tyrannei, doch besser war,
als wenn es gar keine Justiz gegeben hätte. Er war ein Offizier der Miliz, und
wem, auch seine militärische Würde die Heiterkeit der Tapfern, die eine Campagne
in Flandern mitgemacht, errege» mochte, so hob sie doch seinen Charakter in sei¬
nen eignen Augen und in den Augen seiner Nachbarn. Auch war sein Soldaten-
thum in der That kein Gegenstand, welcher Spott verdiente. In jeder Grafschaft
gab es ältere Gentlemen, welche Dienst gesehen hatten, der kein Kinderspiel war.
Der Eine war von Karl I., uach der Schlacht vou Edgehill, zum Ritter geschla¬
gen worden. Ein Anderer trug noch immer ein Pflaster über der Narbe, die er
bei Naseby davon getragen. Ein Dritter hatte sein altes Haus vertheidigt, bis
Fairfax die Thüre mit einer Petarde aufsprengte. Die Gegenwart dieser alten
Cavaliere, mit ihren alten Schwertern und Halftern und mit ihren alten Geschich¬
ten über Göring und Lnnsford gab den Musterungen der Miliz all den Ernst
und das kriegerische Aussehen, woran es ihnen sonst gefehlt haben würde. Selbst
diejenigen Landgentlemen, welche zu jung waren, um selbst mit den Kürassierer
des Parlaments Hiebe gewechselt zu haben, waren von Kindheit auf von den
Spuren des erst kürzlich beendigten Krieges umgeben gewesen und mit Geschichten
von den kriegerischen Thaten ihrer Väter und Oheime vollgestopft worden. So
war der Charakter des englischen Esquire des 17. Jahrhunderts ans zwei Ele¬
mente» zusammengesetzt, die wir nicht gewöhnt sind, vereinigt zu finden. Seine
Unwissenheit und Plumpheit, sein niedriger Geschmack und seine groben Redens¬
arten würden in unsrer Zeit als Zeichen einer durch und durch plebejischen Natur


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[0339] einen Widerwillen, welcher mehr als einmal wichtige politische Wirkungen her-- vorgebracht hat. Seine Frau und Tochter standen in Geschmack und Fertigkeiten unter einer Haushälterin oder einem Kammermädchen des heutigen Tages. Sie nähten und spannen, brauler Stachelbeerwein, legten Ringelblumen ein und machten die Kruste zur Wildpastete. Nach dieser Beschreibung könnte man annehmen, daß der englische Esquire des 17. Jahrhunderts sich nicht wesentlich von einem Müller oder Bierhauswirth auf dem Lande unterschieden hätte. Indeß gibt es einige noch anzuführende wich¬ tige Bestandtheile seines Charakters, welche dieses Urtheil wesentlich modificiren werden. Wie fremd er der geistigen Bildung und feinen Manieren war, so war er doch in einigen wichtigen Punkten ein Gentleman. Er war ein Mitglied einer stolzen und mächtigen Aristokratie, und viele sowohl der guten als der schlimmen Eigenschaften, die den Aristokraten angehören, bezeichneten ihn. Sein Familien- stolz ging über den eines Talbot oder Howard. Er kannte die Stammbäume und Wappen seiner ganzen Nachbarn und konnte angeben, welche von ihnen ohne Recht dazu Schildhalter angenommen hätten, und welche so unglücklich wären, die Ur¬ enkel von Aldermen zu sein. Er war eine Magistratsperson und handhabte, als solche, unentgeldlich, für seine Umwohner eine rohe patriarchalische Justiz, welche, trotz unzähliger Schnitzer und gelegentlicher Acte der Tyrannei, doch besser war, als wenn es gar keine Justiz gegeben hätte. Er war ein Offizier der Miliz, und wem, auch seine militärische Würde die Heiterkeit der Tapfern, die eine Campagne in Flandern mitgemacht, errege» mochte, so hob sie doch seinen Charakter in sei¬ nen eignen Augen und in den Augen seiner Nachbarn. Auch war sein Soldaten- thum in der That kein Gegenstand, welcher Spott verdiente. In jeder Grafschaft gab es ältere Gentlemen, welche Dienst gesehen hatten, der kein Kinderspiel war. Der Eine war von Karl I., uach der Schlacht vou Edgehill, zum Ritter geschla¬ gen worden. Ein Anderer trug noch immer ein Pflaster über der Narbe, die er bei Naseby davon getragen. Ein Dritter hatte sein altes Haus vertheidigt, bis Fairfax die Thüre mit einer Petarde aufsprengte. Die Gegenwart dieser alten Cavaliere, mit ihren alten Schwertern und Halftern und mit ihren alten Geschich¬ ten über Göring und Lnnsford gab den Musterungen der Miliz all den Ernst und das kriegerische Aussehen, woran es ihnen sonst gefehlt haben würde. Selbst diejenigen Landgentlemen, welche zu jung waren, um selbst mit den Kürassierer des Parlaments Hiebe gewechselt zu haben, waren von Kindheit auf von den Spuren des erst kürzlich beendigten Krieges umgeben gewesen und mit Geschichten von den kriegerischen Thaten ihrer Väter und Oheime vollgestopft worden. So war der Charakter des englischen Esquire des 17. Jahrhunderts ans zwei Ele¬ mente» zusammengesetzt, die wir nicht gewöhnt sind, vereinigt zu finden. Seine Unwissenheit und Plumpheit, sein niedriger Geschmack und seine groben Redens¬ arten würden in unsrer Zeit als Zeichen einer durch und durch plebejischen Natur 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/339>, abgerufen am 15.01.2025.