bekehrt. Daß plötzliche Umgestaltungen in der Grundansicht sophistischer Bildung, durch die Macht irgend eiuer Reflexion oder das Hervortreten einer zufälligen Stimmung, keineswegs etwas ungewöhnliches sind, zeigt das Beispiel von Julius und Jordan. -
Ueber die historischen Arbeiten des Bauer ist wenig zu sagen. Die Geschichte ist ihm ein ewig verzehrendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer. Sie fängt ihm u>it dem 18. Jahrhundert an und hat bis jetzt nichts gezeigt, als Symptome der Aulniß. Vou einsamer Höhe herab schaut er ans die Cultur des 18. und 19. Jahrhunderts, und beweist von jeder Erscheinung, die ihm zufällig aufstößt, --- je uach der Quelle, die ihm gerade in die Hand fällt -- daß sie nothwendig und -- nichtig sei. In dem weiten Strom der Zeiten sucht die Kritik "ewig nur ihr eigen Bild." Er kann nicht erzählen, denn er hat keine Lust am Objectiven; er kann bei aller geistvollen Auffassung im Einzelnen, für das Ganze den richtigen Gesichtspunkt nicht finden, weil er mit der Ungeduld eines Schülers, was er heute lernte, der Welt vorträgt, als habe es die Wissenschaft erst jetzt entdeckt. Der Dilettantismus ist um so gefährlicher, wenn er mit philosophischem Dünkel und mit wirklicher Bildung verbunden ist. "Ekel, schaal und unersprießlich," das ist die einzige Kategorie, die seine Geschichtschreibung in beständigen Variationen wiederholt. Dazu kommt, daß er den Theologen nie verleugnen kann; als per¬ sönlicher Feind des lieben Gottes sieht er in jeder Erscheinung, die ihm mißfällt, ein Symptom des Christenthums. Die "Geschichte der bürgerlichen Revolution von 1844--48" hat das meiste, wenigstens subjective Interesse, weil die Stimmung, die es characterisirt, selbst erlebt und uicht erst einem frühern Zeitalter untergelegt ist. Die kurze Moral dieses Werks ist: "Hängt euch alle auf, wie ihr da seid, denn einen Schuß Pulver seid ihr insgesammt nicht werth."
Bei dieser Stimmung könnte es seltsam erscheinen, daß Bauer sich im vori¬ ge" Johve auch an der praktischen Politik zu betyciligen versucht hat. Indeß ist die Sehnsucht nach einer realen Thätigkeit bei einem ursprünglich kräftigen Geiste uur zu natürlich und für ihn selbst würde es von dem heilsamsten Einfluß sein, obgleich der Staat durch die Theilnahme eines souveränen Kritikers nicht wesent¬ lich gefördert werdeu dürfte. Komisch genug war es, wie Bauer in der Rheini¬ schen Zeitung seine Entrüstung darüber aussprach, daß in den Berliner Wahlen die Bourgeoisie -- nicht einmal in dem Ausdruck ist er originell -- gesiegt habe, ^le man Männern von so zurückgebliebenen Standpunkt, wie Waldeck und Jacoby, Zu Volksrepräsentanten habe wählen können! Die meisten der Schule haben sich, um doch etwas Positives auszusprechen, dem Freihandclssysteme angeschlossen -- dem schönsten Ausdruck jener abstrakten, gedankenlosen Freiheit, wie sie der sou- verainen Kritik recht ist. Edgar ist Theilnehmer, ich glaube auch Präsident des demokratischen Clubs gewesen, was keine Veränderung seines Standpunktes ist,
bekehrt. Daß plötzliche Umgestaltungen in der Grundansicht sophistischer Bildung, durch die Macht irgend eiuer Reflexion oder das Hervortreten einer zufälligen Stimmung, keineswegs etwas ungewöhnliches sind, zeigt das Beispiel von Julius und Jordan. -
Ueber die historischen Arbeiten des Bauer ist wenig zu sagen. Die Geschichte ist ihm ein ewig verzehrendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer. Sie fängt ihm u>it dem 18. Jahrhundert an und hat bis jetzt nichts gezeigt, als Symptome der Aulniß. Vou einsamer Höhe herab schaut er ans die Cultur des 18. und 19. Jahrhunderts, und beweist von jeder Erscheinung, die ihm zufällig aufstößt, —- je uach der Quelle, die ihm gerade in die Hand fällt — daß sie nothwendig und — nichtig sei. In dem weiten Strom der Zeiten sucht die Kritik „ewig nur ihr eigen Bild." Er kann nicht erzählen, denn er hat keine Lust am Objectiven; er kann bei aller geistvollen Auffassung im Einzelnen, für das Ganze den richtigen Gesichtspunkt nicht finden, weil er mit der Ungeduld eines Schülers, was er heute lernte, der Welt vorträgt, als habe es die Wissenschaft erst jetzt entdeckt. Der Dilettantismus ist um so gefährlicher, wenn er mit philosophischem Dünkel und mit wirklicher Bildung verbunden ist. „Ekel, schaal und unersprießlich," das ist die einzige Kategorie, die seine Geschichtschreibung in beständigen Variationen wiederholt. Dazu kommt, daß er den Theologen nie verleugnen kann; als per¬ sönlicher Feind des lieben Gottes sieht er in jeder Erscheinung, die ihm mißfällt, ein Symptom des Christenthums. Die „Geschichte der bürgerlichen Revolution von 1844—48" hat das meiste, wenigstens subjective Interesse, weil die Stimmung, die es characterisirt, selbst erlebt und uicht erst einem frühern Zeitalter untergelegt ist. Die kurze Moral dieses Werks ist: „Hängt euch alle auf, wie ihr da seid, denn einen Schuß Pulver seid ihr insgesammt nicht werth."
Bei dieser Stimmung könnte es seltsam erscheinen, daß Bauer sich im vori¬ ge« Johve auch an der praktischen Politik zu betyciligen versucht hat. Indeß ist die Sehnsucht nach einer realen Thätigkeit bei einem ursprünglich kräftigen Geiste uur zu natürlich und für ihn selbst würde es von dem heilsamsten Einfluß sein, obgleich der Staat durch die Theilnahme eines souveränen Kritikers nicht wesent¬ lich gefördert werdeu dürfte. Komisch genug war es, wie Bauer in der Rheini¬ schen Zeitung seine Entrüstung darüber aussprach, daß in den Berliner Wahlen die Bourgeoisie — nicht einmal in dem Ausdruck ist er originell — gesiegt habe, ^le man Männern von so zurückgebliebenen Standpunkt, wie Waldeck und Jacoby, Zu Volksrepräsentanten habe wählen können! Die meisten der Schule haben sich, um doch etwas Positives auszusprechen, dem Freihandclssysteme angeschlossen — dem schönsten Ausdruck jener abstrakten, gedankenlosen Freiheit, wie sie der sou- verainen Kritik recht ist. Edgar ist Theilnehmer, ich glaube auch Präsident des demokratischen Clubs gewesen, was keine Veränderung seines Standpunktes ist,
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durch die Macht irgend eiuer Reflexion oder das Hervortreten einer zufälligen
Stimmung, keineswegs etwas ungewöhnliches sind, zeigt das Beispiel von Julius
und Jordan. -
Ueber die historischen Arbeiten des Bauer ist wenig zu sagen. Die Geschichte
ist ihm ein ewig verzehrendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer. Sie fängt ihm
u>it dem 18. Jahrhundert an und hat bis jetzt nichts gezeigt, als Symptome der
Aulniß. Vou einsamer Höhe herab schaut er ans die Cultur des 18. und 19.
Jahrhunderts, und beweist von jeder Erscheinung, die ihm zufällig aufstößt,
—- je uach der Quelle, die ihm gerade in die Hand fällt — daß sie nothwendig
und — nichtig sei. In dem weiten Strom der Zeiten sucht die Kritik „ewig nur
ihr eigen Bild." Er kann nicht erzählen, denn er hat keine Lust am Objectiven;
er kann bei aller geistvollen Auffassung im Einzelnen, für das Ganze den richtigen
Gesichtspunkt nicht finden, weil er mit der Ungeduld eines Schülers, was er
heute lernte, der Welt vorträgt, als habe es die Wissenschaft erst jetzt entdeckt.
Der Dilettantismus ist um so gefährlicher, wenn er mit philosophischem Dünkel
und mit wirklicher Bildung verbunden ist. „Ekel, schaal und unersprießlich," das
ist die einzige Kategorie, die seine Geschichtschreibung in beständigen Variationen
wiederholt. Dazu kommt, daß er den Theologen nie verleugnen kann; als per¬
sönlicher Feind des lieben Gottes sieht er in jeder Erscheinung, die ihm mißfällt,
ein Symptom des Christenthums. Die „Geschichte der bürgerlichen Revolution
von 1844—48" hat das meiste, wenigstens subjective Interesse, weil die Stimmung,
die es characterisirt, selbst erlebt und uicht erst einem frühern Zeitalter untergelegt ist.
Die kurze Moral dieses Werks ist: „Hängt euch alle auf, wie ihr da seid, denn
einen Schuß Pulver seid ihr insgesammt nicht werth."
Bei dieser Stimmung könnte es seltsam erscheinen, daß Bauer sich im vori¬
ge« Johve auch an der praktischen Politik zu betyciligen versucht hat. Indeß ist
die Sehnsucht nach einer realen Thätigkeit bei einem ursprünglich kräftigen Geiste
uur zu natürlich und für ihn selbst würde es von dem heilsamsten Einfluß sein,
obgleich der Staat durch die Theilnahme eines souveränen Kritikers nicht wesent¬
lich gefördert werdeu dürfte. Komisch genug war es, wie Bauer in der Rheini¬
schen Zeitung seine Entrüstung darüber aussprach, daß in den Berliner Wahlen
die Bourgeoisie — nicht einmal in dem Ausdruck ist er originell — gesiegt habe,
^le man Männern von so zurückgebliebenen Standpunkt, wie Waldeck und Jacoby,
Zu Volksrepräsentanten habe wählen können! Die meisten der Schule haben sich,
um doch etwas Positives auszusprechen, dem Freihandclssysteme angeschlossen —
dem schönsten Ausdruck jener abstrakten, gedankenlosen Freiheit, wie sie der sou-
verainen Kritik recht ist. Edgar ist Theilnehmer, ich glaube auch Präsident des
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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/335>, abgerufen am 23.01.2025.
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