Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Männern, die aus theoretischem Interesse sich ihr anschlössen, hatte sich eine ganze Die Ironie eines derartigen Treibens gegen die praktischen Versuche, die Männern, die aus theoretischem Interesse sich ihr anschlössen, hatte sich eine ganze Die Ironie eines derartigen Treibens gegen die praktischen Versuche, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278844"/> <p xml:id="ID_1024" prev="#ID_1023"> Männern, die aus theoretischem Interesse sich ihr anschlössen, hatte sich eine ganze<lb/> Reihe von Bummlern um sie geschaart, welche wenn Bauer sprach — es geschah<lb/> selten — ehrfurchtsvoll an den passenden Stellen lachten oder schimpften, und im<lb/> Uebrigen ihre Nichtsnutzigkeit durch die Lehre von der Souveränität individueller<lb/> Caprice» gerechtfertigt sahen. Die Bummelei wurde in diesem Kreise mit einem<lb/> gewissen Pathos getrieben, feierlich, gleichsam als Religion. Man kam Abends<lb/> bei Hippel zusammen, eine Kneipe, die als Sitz der „Freien" einen gewissen Nus<lb/> hatte, und die man gesehn haben mußte, wenn man sich auf die Merkwürdigkeiten<lb/> von Berlin legte. Cmancipirte Frauen, ein Seidel vor sich, und die Cigarre<lb/> im Munde, mußten dabei sein — nicht etwa die liebenswürdigen, naiven Grisetten,<lb/> sondern Schülerinnen der Kritik, die aus Pflichtgefühl kneipten. Es war Pflicht,<lb/> cynisch zu sprechen, einander zu schimpfen, gelegentlich zu schlagen und dabei zu<lb/> bemerken, daß mau über das Duell hinaus sei. Mau erzählte die Mythen von<lb/> der Kritik, daß sie ihre Theorie von der Uugiltigkeit des sittlichen Wesens durch<lb/> diese oder jene Aeußerung zur Erscheinung gebracht habe: es waren nicht indi¬<lb/> viduell interessante Geschichten, sondern Dogmen, in Anekdoten übersetzt, wie es<lb/> die Kritik von den Evangelisten nachgewiesen hatte. Dies Wesen machte sich auch<lb/> in der Literatur geltend: aus der Literaturzeitung wurde der „Charlottenburger<lb/> Beobachter," ein Blatt für Bummler, das sich von ähnlichen nur durch die ge¬<lb/> legentliche Andeutung unterschied, es sei Alles Ironie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1025" next="#ID_1026"> Die Ironie eines derartigen Treibens gegen die praktischen Versuche, die<lb/> Verbesserungen, welche man sonst vom Staat erwartete, durch unmittelbare bür¬<lb/> gerliche Thätigkeit herbeizuführen, hatten keine Berechtigung. Vieles in diese»<lb/> Bestrebungen — z. B. der Central - und Localverein zur Hebung der unter»<lb/> Volksclassen, hatte den Anstrich der gewöhnlichen Berliner Schwindelei, dagegen<lb/> war z. B. im Johaunesverein durch die sittliche Kräftigung des Geselleustandes<lb/> eine vortreffliche Grundlage gelegt, die leider in der Berliner Barrikadenzeit un¬<lb/> tergraben wurde. Die Kritik stand mit ihren socialistischen Tendenzen, ans die<lb/> sie auch mitunter verfiel, trotz ihrer Abneigung gegen die Gleichmacherei, ungefähr<lb/> auf dem Standpunkt Stieber's, der sich eine gründliche Kenntniß von der Berli¬<lb/> ner Prostitution erwarb, aber keinen Weg anzugeben mußte, ihr abzuhelfen. Als<lb/> Bettine, die damals aus den ästhetische» Phantasien ins Religiös - Communistische<lb/> übersprang, „dies Buch gehört dem Könige" schrieb, waren es Schüler der Ku-<lb/> lik, die die Voigtländer Zustände verarbeiteten, Ueberhaupt war das Verhältniß<lb/> zwischen Frau v. Arnim und Bruno Bauer ein Bild von der Verwandschaft der<lb/> alten Romantik mit der neuen; beide richten auf dem schwankende» Grund der<lb/> individuellen Stimmung. Sie verstanden einander nicht, aber sie schätzten siel)'<lb/> Bcttiucus Sohn, Freimnud, verfocht gegen Bauer „die gute Sache der Seele,<lb/> in sehr nnbcschrciblichni Ausdrücken; er hätte gern den Kritiker, den er achtete'<lb/> weil er gleich ihm die Masse geringschätzte, durch Einwirkung ans sein Gemüth</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0334]
Männern, die aus theoretischem Interesse sich ihr anschlössen, hatte sich eine ganze
Reihe von Bummlern um sie geschaart, welche wenn Bauer sprach — es geschah
selten — ehrfurchtsvoll an den passenden Stellen lachten oder schimpften, und im
Uebrigen ihre Nichtsnutzigkeit durch die Lehre von der Souveränität individueller
Caprice» gerechtfertigt sahen. Die Bummelei wurde in diesem Kreise mit einem
gewissen Pathos getrieben, feierlich, gleichsam als Religion. Man kam Abends
bei Hippel zusammen, eine Kneipe, die als Sitz der „Freien" einen gewissen Nus
hatte, und die man gesehn haben mußte, wenn man sich auf die Merkwürdigkeiten
von Berlin legte. Cmancipirte Frauen, ein Seidel vor sich, und die Cigarre
im Munde, mußten dabei sein — nicht etwa die liebenswürdigen, naiven Grisetten,
sondern Schülerinnen der Kritik, die aus Pflichtgefühl kneipten. Es war Pflicht,
cynisch zu sprechen, einander zu schimpfen, gelegentlich zu schlagen und dabei zu
bemerken, daß mau über das Duell hinaus sei. Mau erzählte die Mythen von
der Kritik, daß sie ihre Theorie von der Uugiltigkeit des sittlichen Wesens durch
diese oder jene Aeußerung zur Erscheinung gebracht habe: es waren nicht indi¬
viduell interessante Geschichten, sondern Dogmen, in Anekdoten übersetzt, wie es
die Kritik von den Evangelisten nachgewiesen hatte. Dies Wesen machte sich auch
in der Literatur geltend: aus der Literaturzeitung wurde der „Charlottenburger
Beobachter," ein Blatt für Bummler, das sich von ähnlichen nur durch die ge¬
legentliche Andeutung unterschied, es sei Alles Ironie.
Die Ironie eines derartigen Treibens gegen die praktischen Versuche, die
Verbesserungen, welche man sonst vom Staat erwartete, durch unmittelbare bür¬
gerliche Thätigkeit herbeizuführen, hatten keine Berechtigung. Vieles in diese»
Bestrebungen — z. B. der Central - und Localverein zur Hebung der unter»
Volksclassen, hatte den Anstrich der gewöhnlichen Berliner Schwindelei, dagegen
war z. B. im Johaunesverein durch die sittliche Kräftigung des Geselleustandes
eine vortreffliche Grundlage gelegt, die leider in der Berliner Barrikadenzeit un¬
tergraben wurde. Die Kritik stand mit ihren socialistischen Tendenzen, ans die
sie auch mitunter verfiel, trotz ihrer Abneigung gegen die Gleichmacherei, ungefähr
auf dem Standpunkt Stieber's, der sich eine gründliche Kenntniß von der Berli¬
ner Prostitution erwarb, aber keinen Weg anzugeben mußte, ihr abzuhelfen. Als
Bettine, die damals aus den ästhetische» Phantasien ins Religiös - Communistische
übersprang, „dies Buch gehört dem Könige" schrieb, waren es Schüler der Ku-
lik, die die Voigtländer Zustände verarbeiteten, Ueberhaupt war das Verhältniß
zwischen Frau v. Arnim und Bruno Bauer ein Bild von der Verwandschaft der
alten Romantik mit der neuen; beide richten auf dem schwankende» Grund der
individuellen Stimmung. Sie verstanden einander nicht, aber sie schätzten siel)'
Bcttiucus Sohn, Freimnud, verfocht gegen Bauer „die gute Sache der Seele,
in sehr nnbcschrciblichni Ausdrücken; er hätte gern den Kritiker, den er achtete'
weil er gleich ihm die Masse geringschätzte, durch Einwirkung ans sein Gemüth
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