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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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jenen rothen Aufwiegeln angehören? da ist sie wieder in einem verhängnißvollen
Irrthum. Der Kern der deutschen Nation, der sichere angesessene Mann ist's, der
sehr, sehr niedrig von ihr denkt, und sie für treulos und heuchlerisch hält, wäh¬
rend sie doch nur ans Schwäche gewaltthätig ist. Was auch die jetzige Regierung
Preußens dem deutschen Volk noch bringe, und sei es wie eine Gabe des Him¬
mels, es wird mit Haß und Verachtung zurückgewiesen werden, und vou einem
großen Theil der Preußen erst recht. Der jetzige König von Preußen hat den Stolz
einer weichfühlenden und träumerischen Nation tödtlich verletzt, denn als sie grade
entschlossen war, ihn zu lieben, hat er sie in ihren Vertretern gedemütdigt. Er
kann Deutschland keinen Frieden mehr geben, und die Hohenzollern können es
nur noch, wenn ein anderes Haupt ihre Krone trägt, und wenn das lange aus¬
steht, gar nicht mehr.

Die Stunde, in welcher der König von Preußen in seinem Audienzsaal der
Frankfurter Deputation die vielbesprochene Antwort gab, war die unglückseligste
Stunde seines Lebens; damals öffnete sein zweideutiges Wort die Thüren der
Hölle, in welche die Geister der Zerstörung und des Bürgerkriegs zurückgedrängt
waren. Wir trauern nicht darüber, daß ihm die Verfassung nicht gefiel, sondern
darüber, daß er, den man als geistreich rühmt, nicht einsah, wie ihm gar keine
Wahl blieb, sie anzunehmen oder abzulehnen. Die Annahme der Verfassung war
das Opfer, welches die Fürsten bringen mußten, zu ihrer und des Volkes Ret¬
tung, der letzte Preis, um welchen sie den Dämonen der Zerstörung unser Vater¬
land abkaufen konnten. Daß Friedrich Wilhelm IV. und seine Verbündeten das
nicht verstanden, wird vielleicht ein Verhängniß für sie selbst; wir haben die
Verpflichtung zu verhindern, daß das Unheil nicht auch uns und den Staat
verderbe.

Die Ereignisse überstürzen sich, der Rheinbund, an welchen unsere süddeut¬
schen Brüder jetzt denken, ist nur ein Erzeugniß der Opposition gegen die nord¬
deutschen Könige, auch er ist eine Vernichtung der Einheit Deutschlands, seine
Möglichkeit und Lebensfähigkeit höchst zweifelhaft. Ueberall aus dem Kriegslärm
Und Tumult, aus der Anarchie und dem Bürgerkriege werden Urtheil und Rechts¬
gefühl auf das einzige Positive, das Gesetz der Nation, auf die Verfassung zurück¬
kommen müssen. Denn Aufstand und Bürgerkriege bauen nichts ans, sie reißen
nur nieder. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß eine wilde Zukunft die Ur¬
sache des Kampfes, die Verfassung, zeitweise vergessen wird, es ist möglich, daß
das Endziel des beginnenden Kampfes sich so weit von dem Ausgangspunkt ent¬
fernt, daß die Verfassung nicht mehr in all' ihren Paragraphen anwendbar ist,
aber immer und in jeder Lage wird sie, die Schöpfung des Volkes und sein
besetz' wieder der Grund werden müssen, auf dem die gebrochene Burg unsers
Rechtes sich von Neuem aufbaut. Und deshalb müssen wir daran festhalten bis
Zur letzten Möglichkeit in jeder Lage; jetzt aber ist die Möglichkeit noch vorhält-


jenen rothen Aufwiegeln angehören? da ist sie wieder in einem verhängnißvollen
Irrthum. Der Kern der deutschen Nation, der sichere angesessene Mann ist's, der
sehr, sehr niedrig von ihr denkt, und sie für treulos und heuchlerisch hält, wäh¬
rend sie doch nur ans Schwäche gewaltthätig ist. Was auch die jetzige Regierung
Preußens dem deutschen Volk noch bringe, und sei es wie eine Gabe des Him¬
mels, es wird mit Haß und Verachtung zurückgewiesen werden, und vou einem
großen Theil der Preußen erst recht. Der jetzige König von Preußen hat den Stolz
einer weichfühlenden und träumerischen Nation tödtlich verletzt, denn als sie grade
entschlossen war, ihn zu lieben, hat er sie in ihren Vertretern gedemütdigt. Er
kann Deutschland keinen Frieden mehr geben, und die Hohenzollern können es
nur noch, wenn ein anderes Haupt ihre Krone trägt, und wenn das lange aus¬
steht, gar nicht mehr.

Die Stunde, in welcher der König von Preußen in seinem Audienzsaal der
Frankfurter Deputation die vielbesprochene Antwort gab, war die unglückseligste
Stunde seines Lebens; damals öffnete sein zweideutiges Wort die Thüren der
Hölle, in welche die Geister der Zerstörung und des Bürgerkriegs zurückgedrängt
waren. Wir trauern nicht darüber, daß ihm die Verfassung nicht gefiel, sondern
darüber, daß er, den man als geistreich rühmt, nicht einsah, wie ihm gar keine
Wahl blieb, sie anzunehmen oder abzulehnen. Die Annahme der Verfassung war
das Opfer, welches die Fürsten bringen mußten, zu ihrer und des Volkes Ret¬
tung, der letzte Preis, um welchen sie den Dämonen der Zerstörung unser Vater¬
land abkaufen konnten. Daß Friedrich Wilhelm IV. und seine Verbündeten das
nicht verstanden, wird vielleicht ein Verhängniß für sie selbst; wir haben die
Verpflichtung zu verhindern, daß das Unheil nicht auch uns und den Staat
verderbe.

Die Ereignisse überstürzen sich, der Rheinbund, an welchen unsere süddeut¬
schen Brüder jetzt denken, ist nur ein Erzeugniß der Opposition gegen die nord¬
deutschen Könige, auch er ist eine Vernichtung der Einheit Deutschlands, seine
Möglichkeit und Lebensfähigkeit höchst zweifelhaft. Ueberall aus dem Kriegslärm
Und Tumult, aus der Anarchie und dem Bürgerkriege werden Urtheil und Rechts¬
gefühl auf das einzige Positive, das Gesetz der Nation, auf die Verfassung zurück¬
kommen müssen. Denn Aufstand und Bürgerkriege bauen nichts ans, sie reißen
nur nieder. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß eine wilde Zukunft die Ur¬
sache des Kampfes, die Verfassung, zeitweise vergessen wird, es ist möglich, daß
das Endziel des beginnenden Kampfes sich so weit von dem Ausgangspunkt ent¬
fernt, daß die Verfassung nicht mehr in all' ihren Paragraphen anwendbar ist,
aber immer und in jeder Lage wird sie, die Schöpfung des Volkes und sein
besetz' wieder der Grund werden müssen, auf dem die gebrochene Burg unsers
Rechtes sich von Neuem aufbaut. Und deshalb müssen wir daran festhalten bis
Zur letzten Möglichkeit in jeder Lage; jetzt aber ist die Möglichkeit noch vorhält-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/293>, abgerufen am 15.01.2025.