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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Vierzehnter Vries.
Der alte Fritz und die Epigonen.

"Wäre ich wie Friedrich der Große," soll unser König zu Herrn v. Becke-
rath gesagt haben, als dieser ihn zu bewegen suchte, ans die Anträge des deut¬
schen Parlaments einzugehn, "so würde ich mich auf eine kühne Politik einlassen;
ich kann aber nur nach meinem Naturell handeln." Daß Friedrich Wilhelm IV.
kein Friedrich der Große ist, können wir nach diesem Eingeständniß als Factum
gelten lassen; es handelt sich hier nur darum, was unter den gegenwärtigen Um¬
ständen gefährlicher war, die Kühnheit eines Friedrich, oder die Zaghaftigkeit
seines Epigonen.

Das Ministerium Brandenburg -- denn es würde unmöglich sein, den eigent¬
lichen intellectuellen Urheber der gegenwärtigen preußischen Politik herauszufinden,
und so halten wir uns nach constitutionellen Gebrauch an den verantwortlichen
Träger derselben -- das Ministerium gab als einen der Gründe, welche es be¬
stimmten , dem Könige die Annahme der Kaiserkrone anzurathen, die Nothwendig¬
keit an, in welche Preußen dadurch gesetzt sein würde, mit deutscheu Bruderstäm¬
men Krieg zu führen. Diese Nothwendigkeit war sehr problematisch, im Gegen¬
theil hätte es aller Wahrscheinlichkeit nach nur eines Vorgangs von Seiten Preußens
bedurft, um auf friedlichem Wege die übrigen deutschen Fürsten -- mit Ausnahme
Oestreichs -- im Einverständnis) mit ihren Ständen zu einer Anerkennung des
deutschen Reichs zu bewegen. Der König von Sachsen hat als das wesentliche
Motiv seiner Weigerung das Versprechen angeführt, das er dem König von Preußen
gegeben. Und sieht sich Preußen jetzt in einer besseren Lage? Die Ablehnung
der Kaiserwürde war unmittelbar verbunden mit der Nichtanerkennung der deut¬
schen Verfassung; für diese stehn aber nicht nur die Mehrzahl aller deutschen "Unter¬
thanen" ein --darauf würde es de" Männern des alten Regime wenig ankommen
sondern auch eine Reihe souveräner Fürsten, die im Einvernehmen mit ihren Stän¬
den die deutsche Verfassung anerkannt haben, und jeden Augenblick dazu bereit
sind, ihr Heer und ihre Beamte" aus dieselbe zu vereidigen. Preußen sieht sich
also jetzt genöthigt, wenn es nicht die Bildung eines zweiten Rheinbundes dulden
will, den Krieg, den es gegen seine Feinde scheute, jetzt gegen seine Freunde zu
führen, deun jene Fürsten waren es, welche sich zuerst für die preußische Supre¬
matie aussprachen. Und seine neuen Bundesgenossen sind mehr als zweideutig.
Noch schwankt Baiern, wenn sich aber das Parlament dazu entschließt, in der
letzten Noth dem König von Baiern die Rolle zu übertragen, welche Preußens
Zaghaftigkeit verschmähte, so wird man plötzlich alle Parteien einig, und alle ge¬
gen Preußen die Fahne erheben sehn, Herrn v. Abel mit Herrn v. Beisler und


Vierzehnter Vries.
Der alte Fritz und die Epigonen.

„Wäre ich wie Friedrich der Große," soll unser König zu Herrn v. Becke-
rath gesagt haben, als dieser ihn zu bewegen suchte, ans die Anträge des deut¬
schen Parlaments einzugehn, „so würde ich mich auf eine kühne Politik einlassen;
ich kann aber nur nach meinem Naturell handeln." Daß Friedrich Wilhelm IV.
kein Friedrich der Große ist, können wir nach diesem Eingeständniß als Factum
gelten lassen; es handelt sich hier nur darum, was unter den gegenwärtigen Um¬
ständen gefährlicher war, die Kühnheit eines Friedrich, oder die Zaghaftigkeit
seines Epigonen.

Das Ministerium Brandenburg — denn es würde unmöglich sein, den eigent¬
lichen intellectuellen Urheber der gegenwärtigen preußischen Politik herauszufinden,
und so halten wir uns nach constitutionellen Gebrauch an den verantwortlichen
Träger derselben — das Ministerium gab als einen der Gründe, welche es be¬
stimmten , dem Könige die Annahme der Kaiserkrone anzurathen, die Nothwendig¬
keit an, in welche Preußen dadurch gesetzt sein würde, mit deutscheu Bruderstäm¬
men Krieg zu führen. Diese Nothwendigkeit war sehr problematisch, im Gegen¬
theil hätte es aller Wahrscheinlichkeit nach nur eines Vorgangs von Seiten Preußens
bedurft, um auf friedlichem Wege die übrigen deutschen Fürsten — mit Ausnahme
Oestreichs — im Einverständnis) mit ihren Ständen zu einer Anerkennung des
deutschen Reichs zu bewegen. Der König von Sachsen hat als das wesentliche
Motiv seiner Weigerung das Versprechen angeführt, das er dem König von Preußen
gegeben. Und sieht sich Preußen jetzt in einer besseren Lage? Die Ablehnung
der Kaiserwürde war unmittelbar verbunden mit der Nichtanerkennung der deut¬
schen Verfassung; für diese stehn aber nicht nur die Mehrzahl aller deutschen „Unter¬
thanen" ein —darauf würde es de» Männern des alten Regime wenig ankommen
sondern auch eine Reihe souveräner Fürsten, die im Einvernehmen mit ihren Stän¬
den die deutsche Verfassung anerkannt haben, und jeden Augenblick dazu bereit
sind, ihr Heer und ihre Beamte» aus dieselbe zu vereidigen. Preußen sieht sich
also jetzt genöthigt, wenn es nicht die Bildung eines zweiten Rheinbundes dulden
will, den Krieg, den es gegen seine Feinde scheute, jetzt gegen seine Freunde zu
führen, deun jene Fürsten waren es, welche sich zuerst für die preußische Supre¬
matie aussprachen. Und seine neuen Bundesgenossen sind mehr als zweideutig.
Noch schwankt Baiern, wenn sich aber das Parlament dazu entschließt, in der
letzten Noth dem König von Baiern die Rolle zu übertragen, welche Preußens
Zaghaftigkeit verschmähte, so wird man plötzlich alle Parteien einig, und alle ge¬
gen Preußen die Fahne erheben sehn, Herrn v. Abel mit Herrn v. Beisler und


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[0278] Vierzehnter Vries. Der alte Fritz und die Epigonen. „Wäre ich wie Friedrich der Große," soll unser König zu Herrn v. Becke- rath gesagt haben, als dieser ihn zu bewegen suchte, ans die Anträge des deut¬ schen Parlaments einzugehn, „so würde ich mich auf eine kühne Politik einlassen; ich kann aber nur nach meinem Naturell handeln." Daß Friedrich Wilhelm IV. kein Friedrich der Große ist, können wir nach diesem Eingeständniß als Factum gelten lassen; es handelt sich hier nur darum, was unter den gegenwärtigen Um¬ ständen gefährlicher war, die Kühnheit eines Friedrich, oder die Zaghaftigkeit seines Epigonen. Das Ministerium Brandenburg — denn es würde unmöglich sein, den eigent¬ lichen intellectuellen Urheber der gegenwärtigen preußischen Politik herauszufinden, und so halten wir uns nach constitutionellen Gebrauch an den verantwortlichen Träger derselben — das Ministerium gab als einen der Gründe, welche es be¬ stimmten , dem Könige die Annahme der Kaiserkrone anzurathen, die Nothwendig¬ keit an, in welche Preußen dadurch gesetzt sein würde, mit deutscheu Bruderstäm¬ men Krieg zu führen. Diese Nothwendigkeit war sehr problematisch, im Gegen¬ theil hätte es aller Wahrscheinlichkeit nach nur eines Vorgangs von Seiten Preußens bedurft, um auf friedlichem Wege die übrigen deutschen Fürsten — mit Ausnahme Oestreichs — im Einverständnis) mit ihren Ständen zu einer Anerkennung des deutschen Reichs zu bewegen. Der König von Sachsen hat als das wesentliche Motiv seiner Weigerung das Versprechen angeführt, das er dem König von Preußen gegeben. Und sieht sich Preußen jetzt in einer besseren Lage? Die Ablehnung der Kaiserwürde war unmittelbar verbunden mit der Nichtanerkennung der deut¬ schen Verfassung; für diese stehn aber nicht nur die Mehrzahl aller deutschen „Unter¬ thanen" ein —darauf würde es de» Männern des alten Regime wenig ankommen sondern auch eine Reihe souveräner Fürsten, die im Einvernehmen mit ihren Stän¬ den die deutsche Verfassung anerkannt haben, und jeden Augenblick dazu bereit sind, ihr Heer und ihre Beamte» aus dieselbe zu vereidigen. Preußen sieht sich also jetzt genöthigt, wenn es nicht die Bildung eines zweiten Rheinbundes dulden will, den Krieg, den es gegen seine Feinde scheute, jetzt gegen seine Freunde zu führen, deun jene Fürsten waren es, welche sich zuerst für die preußische Supre¬ matie aussprachen. Und seine neuen Bundesgenossen sind mehr als zweideutig. Noch schwankt Baiern, wenn sich aber das Parlament dazu entschließt, in der letzten Noth dem König von Baiern die Rolle zu übertragen, welche Preußens Zaghaftigkeit verschmähte, so wird man plötzlich alle Parteien einig, und alle ge¬ gen Preußen die Fahne erheben sehn, Herrn v. Abel mit Herrn v. Beisler und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/278>, abgerufen am 15.01.2025.