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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Führer an der Spitze das Verlorne Italien und heute erklärt sich Odillon-Barrot
gegen die Friedensbedingungen, welche das Ministerium zu dictiren für gut fin¬
det! Ein anderes tapferes Heer verblutet in Ungarn an den Fehlern seiner unum¬
schränkten Feldherrn und aus -- Mangel an Munition und Geschütz! -- Und
nach allem dem schilt man uns Träumer, weil wir den Lenkern von oben nicht
weiter vertrauen wollen? -- Es ist nicht praktisch, die Tretmühle des Un¬
glücks weiter zu treten, weil das Rad einmal im Gange ist; es ist nicht prak¬
tisch eine Provinz zu erobern und die Monarchie dafür zu verkaufen. Es wäre
sentimental, ewig und immer zu vertrauen, weil Vertrauen eine schöne Tu¬
gend ist, weil ein Mädchen ihrem Geliebten noch vertraut, wenn er sie dreimal
getäuscht hat. Wir vertrauen längst nicht mehr, darum sind wir praktisch.
Und wenn es Rußland heute einfiele, Nein zu sagen, uun dann -- wird der
Lloyd sagen, wenden wir uns an die Araber, an die Chinesen, an die Kaffern,
oder an die Rothhäute in den Urwäldern. Sind lauter charmaute Leute, wenn
sie auch keine Konstitution haben und werden die Ungarn zu Paaren treiben.
Als wenn alles gethan wäre, wenn wir aus Ungarn ein östreichisch Italien, ein
russisch Polen gemacht haben, als wenn Rußland nicht seine Bedingungen stellte,
als wenn es ihm um Gotteslohn zu thun wäre; doch davon im zweiten Theil
des Aussatzes.

Der Lloyd hat zwei Arten zu argumeutireu, wenn er den Staatsanwalt oder
Advokaten seines Herr" und Meister spielt. Entweder er bringt Gemeinplätze und
allgemeine Maximen vor, trotz einem La Rochefoucauld, oder er schlägt in dem gro¬
ßen schwarzen Register nach, wo die Leiden anderer freien Völker und die Mi߬
griffe ihrer Regierungen verzeichnet sind, und dann ist ihm nicht bange, irgend eine
Passende Stelle zu finden; die schreibt er uns dann ab und sagt: "Seht, England
ist frei, Amerika ist frei, Frankreich ist freiheitsdnrstig und doch ist dort Analoges
mit unserem gegenwärtigen Zustande zu finden"!! Zumeist benimmt sich der Lloyd
bei solchen Vergleichen grob und ungeschickt, und man brauchte weder Mezcray noch
Hume zu sein, um ihn zu widerlegen; immer aber vergißt er klüglich auf die
Consequenzen jener Mißgriffe einzugehen; er erzählte uns wohl, daß England
erst in neuester Zeit die Habeas-Corpus-Acte in Irland aufhob und mit bewaff-
neter Macht dem drohenden Aufstande dieser unglücklichen Schwesterinsel entgegen¬
trat, aber das erzählt er nicht, daß jener Suspension ein Parlamentsbeschluß
zu Grnnde lag, und daß keiner von den Rädelsführern in Irland mit Pulver
und Blei hingerichtet wurde, das erzählt er nicht, daß den Assignaten in Paris
die Füsiladeu und Noyaden in ganz Frankreich die Hinrichtung des Königs und
die Proklamirung der Republik folgte. -- Ju solchen Gemeinplätzen und Analo-
gieen bewegt sich der Lloyd auch in seinem Leitartikel vom 27., wo er der russischen
Intervention das große Wort führt. "Wenn wir fremde Hilfe brauchen, müssen
wir uns zuvörderst an jene Macht wenden, welche Willens ist, sie uns zu leihen."


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Führer an der Spitze das Verlorne Italien und heute erklärt sich Odillon-Barrot
gegen die Friedensbedingungen, welche das Ministerium zu dictiren für gut fin¬
det! Ein anderes tapferes Heer verblutet in Ungarn an den Fehlern seiner unum¬
schränkten Feldherrn und aus — Mangel an Munition und Geschütz! — Und
nach allem dem schilt man uns Träumer, weil wir den Lenkern von oben nicht
weiter vertrauen wollen? — Es ist nicht praktisch, die Tretmühle des Un¬
glücks weiter zu treten, weil das Rad einmal im Gange ist; es ist nicht prak¬
tisch eine Provinz zu erobern und die Monarchie dafür zu verkaufen. Es wäre
sentimental, ewig und immer zu vertrauen, weil Vertrauen eine schöne Tu¬
gend ist, weil ein Mädchen ihrem Geliebten noch vertraut, wenn er sie dreimal
getäuscht hat. Wir vertrauen längst nicht mehr, darum sind wir praktisch.
Und wenn es Rußland heute einfiele, Nein zu sagen, uun dann — wird der
Lloyd sagen, wenden wir uns an die Araber, an die Chinesen, an die Kaffern,
oder an die Rothhäute in den Urwäldern. Sind lauter charmaute Leute, wenn
sie auch keine Konstitution haben und werden die Ungarn zu Paaren treiben.
Als wenn alles gethan wäre, wenn wir aus Ungarn ein östreichisch Italien, ein
russisch Polen gemacht haben, als wenn Rußland nicht seine Bedingungen stellte,
als wenn es ihm um Gotteslohn zu thun wäre; doch davon im zweiten Theil
des Aussatzes.

Der Lloyd hat zwei Arten zu argumeutireu, wenn er den Staatsanwalt oder
Advokaten seines Herr» und Meister spielt. Entweder er bringt Gemeinplätze und
allgemeine Maximen vor, trotz einem La Rochefoucauld, oder er schlägt in dem gro¬
ßen schwarzen Register nach, wo die Leiden anderer freien Völker und die Mi߬
griffe ihrer Regierungen verzeichnet sind, und dann ist ihm nicht bange, irgend eine
Passende Stelle zu finden; die schreibt er uns dann ab und sagt: „Seht, England
ist frei, Amerika ist frei, Frankreich ist freiheitsdnrstig und doch ist dort Analoges
mit unserem gegenwärtigen Zustande zu finden"!! Zumeist benimmt sich der Lloyd
bei solchen Vergleichen grob und ungeschickt, und man brauchte weder Mezcray noch
Hume zu sein, um ihn zu widerlegen; immer aber vergißt er klüglich auf die
Consequenzen jener Mißgriffe einzugehen; er erzählte uns wohl, daß England
erst in neuester Zeit die Habeas-Corpus-Acte in Irland aufhob und mit bewaff-
neter Macht dem drohenden Aufstande dieser unglücklichen Schwesterinsel entgegen¬
trat, aber das erzählt er nicht, daß jener Suspension ein Parlamentsbeschluß
zu Grnnde lag, und daß keiner von den Rädelsführern in Irland mit Pulver
und Blei hingerichtet wurde, das erzählt er nicht, daß den Assignaten in Paris
die Füsiladeu und Noyaden in ganz Frankreich die Hinrichtung des Königs und
die Proklamirung der Republik folgte. — Ju solchen Gemeinplätzen und Analo-
gieen bewegt sich der Lloyd auch in seinem Leitartikel vom 27., wo er der russischen
Intervention das große Wort führt. „Wenn wir fremde Hilfe brauchen, müssen
wir uns zuvörderst an jene Macht wenden, welche Willens ist, sie uns zu leihen."


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[0259] Führer an der Spitze das Verlorne Italien und heute erklärt sich Odillon-Barrot gegen die Friedensbedingungen, welche das Ministerium zu dictiren für gut fin¬ det! Ein anderes tapferes Heer verblutet in Ungarn an den Fehlern seiner unum¬ schränkten Feldherrn und aus — Mangel an Munition und Geschütz! — Und nach allem dem schilt man uns Träumer, weil wir den Lenkern von oben nicht weiter vertrauen wollen? — Es ist nicht praktisch, die Tretmühle des Un¬ glücks weiter zu treten, weil das Rad einmal im Gange ist; es ist nicht prak¬ tisch eine Provinz zu erobern und die Monarchie dafür zu verkaufen. Es wäre sentimental, ewig und immer zu vertrauen, weil Vertrauen eine schöne Tu¬ gend ist, weil ein Mädchen ihrem Geliebten noch vertraut, wenn er sie dreimal getäuscht hat. Wir vertrauen längst nicht mehr, darum sind wir praktisch. Und wenn es Rußland heute einfiele, Nein zu sagen, uun dann — wird der Lloyd sagen, wenden wir uns an die Araber, an die Chinesen, an die Kaffern, oder an die Rothhäute in den Urwäldern. Sind lauter charmaute Leute, wenn sie auch keine Konstitution haben und werden die Ungarn zu Paaren treiben. Als wenn alles gethan wäre, wenn wir aus Ungarn ein östreichisch Italien, ein russisch Polen gemacht haben, als wenn Rußland nicht seine Bedingungen stellte, als wenn es ihm um Gotteslohn zu thun wäre; doch davon im zweiten Theil des Aussatzes. Der Lloyd hat zwei Arten zu argumeutireu, wenn er den Staatsanwalt oder Advokaten seines Herr» und Meister spielt. Entweder er bringt Gemeinplätze und allgemeine Maximen vor, trotz einem La Rochefoucauld, oder er schlägt in dem gro¬ ßen schwarzen Register nach, wo die Leiden anderer freien Völker und die Mi߬ griffe ihrer Regierungen verzeichnet sind, und dann ist ihm nicht bange, irgend eine Passende Stelle zu finden; die schreibt er uns dann ab und sagt: „Seht, England ist frei, Amerika ist frei, Frankreich ist freiheitsdnrstig und doch ist dort Analoges mit unserem gegenwärtigen Zustande zu finden"!! Zumeist benimmt sich der Lloyd bei solchen Vergleichen grob und ungeschickt, und man brauchte weder Mezcray noch Hume zu sein, um ihn zu widerlegen; immer aber vergißt er klüglich auf die Consequenzen jener Mißgriffe einzugehen; er erzählte uns wohl, daß England erst in neuester Zeit die Habeas-Corpus-Acte in Irland aufhob und mit bewaff- neter Macht dem drohenden Aufstande dieser unglücklichen Schwesterinsel entgegen¬ trat, aber das erzählt er nicht, daß jener Suspension ein Parlamentsbeschluß zu Grnnde lag, und daß keiner von den Rädelsführern in Irland mit Pulver und Blei hingerichtet wurde, das erzählt er nicht, daß den Assignaten in Paris die Füsiladeu und Noyaden in ganz Frankreich die Hinrichtung des Königs und die Proklamirung der Republik folgte. — Ju solchen Gemeinplätzen und Analo- gieen bewegt sich der Lloyd auch in seinem Leitartikel vom 27., wo er der russischen Intervention das große Wort führt. „Wenn wir fremde Hilfe brauchen, müssen wir uns zuvörderst an jene Macht wenden, welche Willens ist, sie uns zu leihen." 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/259>, abgerufen am 15.01.2025.