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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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es der Regierung erleichtert hat, die zweideutige Politik, die sie namentlich ihren
Anhängern in Frankfurt gegenüber getrieben, weiter fortzuführen. Es kam hin¬
zu, daß es damals den Anschein hatte, als ob die verfassungsmäßigen Gewalten
der deutschen Königreiche sich gegen das Gagernsche Programm aussprächen. Mit
der definitiven Feststellung der Verfassung aber und mit dem Eindruck, deu die
Aufnahme derselben von Seiten des Königs in Deutschland erregte, änderte sich
die Sache. Die Volksrepräsentanten der gesammten deutschen Staaten erklärten
ihren Willen, die von der deutschen Nationalversammlung entworfene Verfassung
für rechtsgiltig zu erachten -- ob sie es auch ohne diese Zustimmung war, ist
eine ebenso zweifelhafte und unerhebliche Frage, als bei der Konstitution, welche
Manteuffel und Genossen dem preußischen Staat octroyirt haben. Als die soge¬
nannte Rechtspartei in der Paulskirche, von Vinke geleitet, gegen deu Anspruch
der Nationalversammlung, ausschließlich über die deutsche Verfassung entscheiden zu
wollen, Protest einlegte und den Regierungen der einzelnen Staaten das Recht
vindicirte, ihre Stimme dabei abzugeben, so meinte sie damit die constitutio-
nellen Regierungen d. h. die aus der Majorität der Volksvertretungen hervor-
gegangenen Ministerien. Die reinen Royalisten aber verstehn nnter Negierung nichts
anders, als die Person der Gesalbten und es ist eine Inconsequenz, die lediglich
aus der Kürze und Ungewohntheit ihrer neuen Herrschaft zu erklären ist, wenn
sie nicht auch für sämmtliche Agnaten der regierenden Fürsten das Recht in An¬
spruch nehmen, durch ihr Veto die deutsche Verfassung aufzuheben, wie es ja im
Jahr 1838 mit der hannöverschen Verfassung der Fall gewesen ist. Gegen diese
Partei von Gottes Gnaden ist mit Gründen nicht zu streiten, denn sie bewegen
sich in dem transcendenter Gebiet des unmittelbaren göttlichen Einflusses, gegen
sie gelten andere Waffen. Wer sich dagegen an das constitutionelle Princip hält,
wird nicht in Abrede stellen können, daß die preußische Regierung die Verpflich¬
tung hatte, ihren definitiven Entschluß in Beziehung auf die deutsche Angelegen¬
heit den Kammern zur Begutachtung, resp. Genehmigung vorzulegen, daß daher,
als die Regierung diese constitutionelle Pflicht versäumte und im Gegentheil an¬
deutete, sie werde sich "niemals, niemals, niemals!" von den Fluchen der Volks-
meinung treiben lassen, die Kammern vollständig in ihrem Rechte waren, ihre Auf¬
fassung der Frage durch einen bestimmten Beschluß zu formuliren. Wenn dagegen
die Regierung, gleich nachdem sie die Kammer aufgelöst, ihre definitive Erklärung
an Frankfurt abgab, worin sie erstens die Reichsverfassung, zweitens die auf
Grund derselben dem König vou Preußen übertragene Kaiserkrone ablehnte, so
ließe sich allenfalls über die Berechtigung des letzteren streiten, da hier eine be¬
stimmte Persönlichkeit in Betracht zu kommen scheint; ich sage scheint, denn ge¬
setzt, Friedrich Wilden IV. wäre der Ueberzeugung, er könne die dem König von
Preußen übertragene Kaiserkrone nicht annehmen und gesetzt, der preußische Staat
wäre der Ueberzeugung, daß sein König die deutsche Kaiserkrone tragen müsse, so


es der Regierung erleichtert hat, die zweideutige Politik, die sie namentlich ihren
Anhängern in Frankfurt gegenüber getrieben, weiter fortzuführen. Es kam hin¬
zu, daß es damals den Anschein hatte, als ob die verfassungsmäßigen Gewalten
der deutschen Königreiche sich gegen das Gagernsche Programm aussprächen. Mit
der definitiven Feststellung der Verfassung aber und mit dem Eindruck, deu die
Aufnahme derselben von Seiten des Königs in Deutschland erregte, änderte sich
die Sache. Die Volksrepräsentanten der gesammten deutschen Staaten erklärten
ihren Willen, die von der deutschen Nationalversammlung entworfene Verfassung
für rechtsgiltig zu erachten — ob sie es auch ohne diese Zustimmung war, ist
eine ebenso zweifelhafte und unerhebliche Frage, als bei der Konstitution, welche
Manteuffel und Genossen dem preußischen Staat octroyirt haben. Als die soge¬
nannte Rechtspartei in der Paulskirche, von Vinke geleitet, gegen deu Anspruch
der Nationalversammlung, ausschließlich über die deutsche Verfassung entscheiden zu
wollen, Protest einlegte und den Regierungen der einzelnen Staaten das Recht
vindicirte, ihre Stimme dabei abzugeben, so meinte sie damit die constitutio-
nellen Regierungen d. h. die aus der Majorität der Volksvertretungen hervor-
gegangenen Ministerien. Die reinen Royalisten aber verstehn nnter Negierung nichts
anders, als die Person der Gesalbten und es ist eine Inconsequenz, die lediglich
aus der Kürze und Ungewohntheit ihrer neuen Herrschaft zu erklären ist, wenn
sie nicht auch für sämmtliche Agnaten der regierenden Fürsten das Recht in An¬
spruch nehmen, durch ihr Veto die deutsche Verfassung aufzuheben, wie es ja im
Jahr 1838 mit der hannöverschen Verfassung der Fall gewesen ist. Gegen diese
Partei von Gottes Gnaden ist mit Gründen nicht zu streiten, denn sie bewegen
sich in dem transcendenter Gebiet des unmittelbaren göttlichen Einflusses, gegen
sie gelten andere Waffen. Wer sich dagegen an das constitutionelle Princip hält,
wird nicht in Abrede stellen können, daß die preußische Regierung die Verpflich¬
tung hatte, ihren definitiven Entschluß in Beziehung auf die deutsche Angelegen¬
heit den Kammern zur Begutachtung, resp. Genehmigung vorzulegen, daß daher,
als die Regierung diese constitutionelle Pflicht versäumte und im Gegentheil an¬
deutete, sie werde sich „niemals, niemals, niemals!" von den Fluchen der Volks-
meinung treiben lassen, die Kammern vollständig in ihrem Rechte waren, ihre Auf¬
fassung der Frage durch einen bestimmten Beschluß zu formuliren. Wenn dagegen
die Regierung, gleich nachdem sie die Kammer aufgelöst, ihre definitive Erklärung
an Frankfurt abgab, worin sie erstens die Reichsverfassung, zweitens die auf
Grund derselben dem König vou Preußen übertragene Kaiserkrone ablehnte, so
ließe sich allenfalls über die Berechtigung des letzteren streiten, da hier eine be¬
stimmte Persönlichkeit in Betracht zu kommen scheint; ich sage scheint, denn ge¬
setzt, Friedrich Wilden IV. wäre der Ueberzeugung, er könne die dem König von
Preußen übertragene Kaiserkrone nicht annehmen und gesetzt, der preußische Staat
wäre der Ueberzeugung, daß sein König die deutsche Kaiserkrone tragen müsse, so


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[0236] es der Regierung erleichtert hat, die zweideutige Politik, die sie namentlich ihren Anhängern in Frankfurt gegenüber getrieben, weiter fortzuführen. Es kam hin¬ zu, daß es damals den Anschein hatte, als ob die verfassungsmäßigen Gewalten der deutschen Königreiche sich gegen das Gagernsche Programm aussprächen. Mit der definitiven Feststellung der Verfassung aber und mit dem Eindruck, deu die Aufnahme derselben von Seiten des Königs in Deutschland erregte, änderte sich die Sache. Die Volksrepräsentanten der gesammten deutschen Staaten erklärten ihren Willen, die von der deutschen Nationalversammlung entworfene Verfassung für rechtsgiltig zu erachten — ob sie es auch ohne diese Zustimmung war, ist eine ebenso zweifelhafte und unerhebliche Frage, als bei der Konstitution, welche Manteuffel und Genossen dem preußischen Staat octroyirt haben. Als die soge¬ nannte Rechtspartei in der Paulskirche, von Vinke geleitet, gegen deu Anspruch der Nationalversammlung, ausschließlich über die deutsche Verfassung entscheiden zu wollen, Protest einlegte und den Regierungen der einzelnen Staaten das Recht vindicirte, ihre Stimme dabei abzugeben, so meinte sie damit die constitutio- nellen Regierungen d. h. die aus der Majorität der Volksvertretungen hervor- gegangenen Ministerien. Die reinen Royalisten aber verstehn nnter Negierung nichts anders, als die Person der Gesalbten und es ist eine Inconsequenz, die lediglich aus der Kürze und Ungewohntheit ihrer neuen Herrschaft zu erklären ist, wenn sie nicht auch für sämmtliche Agnaten der regierenden Fürsten das Recht in An¬ spruch nehmen, durch ihr Veto die deutsche Verfassung aufzuheben, wie es ja im Jahr 1838 mit der hannöverschen Verfassung der Fall gewesen ist. Gegen diese Partei von Gottes Gnaden ist mit Gründen nicht zu streiten, denn sie bewegen sich in dem transcendenter Gebiet des unmittelbaren göttlichen Einflusses, gegen sie gelten andere Waffen. Wer sich dagegen an das constitutionelle Princip hält, wird nicht in Abrede stellen können, daß die preußische Regierung die Verpflich¬ tung hatte, ihren definitiven Entschluß in Beziehung auf die deutsche Angelegen¬ heit den Kammern zur Begutachtung, resp. Genehmigung vorzulegen, daß daher, als die Regierung diese constitutionelle Pflicht versäumte und im Gegentheil an¬ deutete, sie werde sich „niemals, niemals, niemals!" von den Fluchen der Volks- meinung treiben lassen, die Kammern vollständig in ihrem Rechte waren, ihre Auf¬ fassung der Frage durch einen bestimmten Beschluß zu formuliren. Wenn dagegen die Regierung, gleich nachdem sie die Kammer aufgelöst, ihre definitive Erklärung an Frankfurt abgab, worin sie erstens die Reichsverfassung, zweitens die auf Grund derselben dem König vou Preußen übertragene Kaiserkrone ablehnte, so ließe sich allenfalls über die Berechtigung des letzteren streiten, da hier eine be¬ stimmte Persönlichkeit in Betracht zu kommen scheint; ich sage scheint, denn ge¬ setzt, Friedrich Wilden IV. wäre der Ueberzeugung, er könne die dem König von Preußen übertragene Kaiserkrone nicht annehmen und gesetzt, der preußische Staat wäre der Ueberzeugung, daß sein König die deutsche Kaiserkrone tragen müsse, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/236>, abgerufen am 15.01.2025.