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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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fordert wurde", ihren Völkern die Gelegenheit, sich durch die gemäßigten Organe
über die deutsche Angelegenheit auszusprechen, nicht zu entziehn. Die preußische
Bureaukratie hätte darauf geantwortet: "Just nicht!" -- Man geht zwar ziem¬
lich sicher, wenn man diesem Gouvernement jedesmal die unvernünftigsten Motive
unterlegt, diesmal aber würde es doch deu Horizont des Begreiflicher überschrei¬
ten. Jener Beschluß der Paulskirche war unter allen, die in Frage kamen, der
gelindeste; er war namentlich sür Preußen so günstig, daß ihn nur eine so
gemäßigte Versammlung fassen konnte; er war endlich, was jene Auffor¬
derung betrifft, nicht gegen Preußen gerichtet, sondern gegen Baiern und
Hannover, wo durch die fortdauernde, dem Geist des constitutionellen Staats
widersprechende Vertagung der Kammern dem Volk jede Gelegenheit abgeschnitten
wurde, seinen Willen gesetzlich zu formuliren. Wenn eine äußerliche Thatsache auf
den Entschluß der Negierung eingewirkt hat, so sind es wohl die Vorgänge in
Würtemberg, wo der Eigenwille der königlichen Persönlichkeit dem Willen der von
den Ständen getragenen königlichen Regierung weichen mußte. Der König
hatte erklärt, er würde sich dem Hause Habsburg unterworfen haben, dem Hause
Hohenzollern aber unterwerfe er sich nicht, den" das sei gegen das Wohl des
Landes. Die Negierung und die Stände antworteten ihm: es ist nicht gegen das
Wohl des Landes, das müssen wir besser wissen. Darauf wurde das tel est iw-
U'e pliüsir als letzter Trumpf ausgespielt und verlor: ein bedenklicher Vorgang für
^salbte Häupter, wenn er auch seinem materiellen Inhalt nach dem Geschlecht der
Hohenzollern zu Gute kam. Der König will nicht gedrängt sein! Er wird er¬
messen u. s. w. Man kennt die Phrasen.

Die Motive, durch welche die preußische Regierung die Auflösung der Kam¬
mern begründet, sind folgende: Einmal seien von Seite der Opposition sehr sub¬
versive Theorien ausgesprochen. Die alte Doctrin des Absolutismus! er will nicht
u"r seinen Anhängern, sondern auch seinen Gegnern das, was sie sagen sollen,
^ den Mund lege", und eine Opposition, die andere Ausdrücke gebraucht, als
Hin bequem sind, erklärt er für mißliebig, er findet in ihren Angriffen einen frechen,
unehrerbietigem Tadel der bestehenden Landesgesetze, er verwundert sich über sie
^d weiß ihnen nicht zu antworten, wie der angehende Doctor, der sich auf ein
^isputatvrium nach der Schablone vorbereitet hat und nun durch eine Stegreiffrage
"us der Rolle gebracht wird. Wen" im Uebrigen seine Majorität in der Kammer
^iß wäre, schon eine Opposition von 10--12 Mitgliedern mit subversiven Theo-
würde ihn außer Fassung setzen, er würde die Kammer auflösen, um das
)w unbegreifliche Factum zu constatiren, daß Principien, die er gar nicht ve"
'^t, von einem Theil des Volks gebilligt werden können.

Das zweite Motiv ist die Fluctuation der Majorität. Mit einer Kammer,
°N der sich bei keiner Frage berechnen ließe, wohin die Entscheidung fallen würde,^r


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fordert wurde», ihren Völkern die Gelegenheit, sich durch die gemäßigten Organe
über die deutsche Angelegenheit auszusprechen, nicht zu entziehn. Die preußische
Bureaukratie hätte darauf geantwortet: „Just nicht!" — Man geht zwar ziem¬
lich sicher, wenn man diesem Gouvernement jedesmal die unvernünftigsten Motive
unterlegt, diesmal aber würde es doch deu Horizont des Begreiflicher überschrei¬
ten. Jener Beschluß der Paulskirche war unter allen, die in Frage kamen, der
gelindeste; er war namentlich sür Preußen so günstig, daß ihn nur eine so
gemäßigte Versammlung fassen konnte; er war endlich, was jene Auffor¬
derung betrifft, nicht gegen Preußen gerichtet, sondern gegen Baiern und
Hannover, wo durch die fortdauernde, dem Geist des constitutionellen Staats
widersprechende Vertagung der Kammern dem Volk jede Gelegenheit abgeschnitten
wurde, seinen Willen gesetzlich zu formuliren. Wenn eine äußerliche Thatsache auf
den Entschluß der Negierung eingewirkt hat, so sind es wohl die Vorgänge in
Würtemberg, wo der Eigenwille der königlichen Persönlichkeit dem Willen der von
den Ständen getragenen königlichen Regierung weichen mußte. Der König
hatte erklärt, er würde sich dem Hause Habsburg unterworfen haben, dem Hause
Hohenzollern aber unterwerfe er sich nicht, den» das sei gegen das Wohl des
Landes. Die Negierung und die Stände antworteten ihm: es ist nicht gegen das
Wohl des Landes, das müssen wir besser wissen. Darauf wurde das tel est iw-
U'e pliüsir als letzter Trumpf ausgespielt und verlor: ein bedenklicher Vorgang für
^salbte Häupter, wenn er auch seinem materiellen Inhalt nach dem Geschlecht der
Hohenzollern zu Gute kam. Der König will nicht gedrängt sein! Er wird er¬
messen u. s. w. Man kennt die Phrasen.

Die Motive, durch welche die preußische Regierung die Auflösung der Kam¬
mern begründet, sind folgende: Einmal seien von Seite der Opposition sehr sub¬
versive Theorien ausgesprochen. Die alte Doctrin des Absolutismus! er will nicht
u»r seinen Anhängern, sondern auch seinen Gegnern das, was sie sagen sollen,
^ den Mund lege», und eine Opposition, die andere Ausdrücke gebraucht, als
Hin bequem sind, erklärt er für mißliebig, er findet in ihren Angriffen einen frechen,
unehrerbietigem Tadel der bestehenden Landesgesetze, er verwundert sich über sie
^d weiß ihnen nicht zu antworten, wie der angehende Doctor, der sich auf ein
^isputatvrium nach der Schablone vorbereitet hat und nun durch eine Stegreiffrage
"us der Rolle gebracht wird. Wen» im Uebrigen seine Majorität in der Kammer
^iß wäre, schon eine Opposition von 10—12 Mitgliedern mit subversiven Theo-
würde ihn außer Fassung setzen, er würde die Kammer auflösen, um das
)w unbegreifliche Factum zu constatiren, daß Principien, die er gar nicht ve»
'^t, von einem Theil des Volks gebilligt werden können.

Das zweite Motiv ist die Fluctuation der Majorität. Mit einer Kammer,
°N der sich bei keiner Frage berechnen ließe, wohin die Entscheidung fallen würde,^r


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[0233] fordert wurde», ihren Völkern die Gelegenheit, sich durch die gemäßigten Organe über die deutsche Angelegenheit auszusprechen, nicht zu entziehn. Die preußische Bureaukratie hätte darauf geantwortet: „Just nicht!" — Man geht zwar ziem¬ lich sicher, wenn man diesem Gouvernement jedesmal die unvernünftigsten Motive unterlegt, diesmal aber würde es doch deu Horizont des Begreiflicher überschrei¬ ten. Jener Beschluß der Paulskirche war unter allen, die in Frage kamen, der gelindeste; er war namentlich sür Preußen so günstig, daß ihn nur eine so gemäßigte Versammlung fassen konnte; er war endlich, was jene Auffor¬ derung betrifft, nicht gegen Preußen gerichtet, sondern gegen Baiern und Hannover, wo durch die fortdauernde, dem Geist des constitutionellen Staats widersprechende Vertagung der Kammern dem Volk jede Gelegenheit abgeschnitten wurde, seinen Willen gesetzlich zu formuliren. Wenn eine äußerliche Thatsache auf den Entschluß der Negierung eingewirkt hat, so sind es wohl die Vorgänge in Würtemberg, wo der Eigenwille der königlichen Persönlichkeit dem Willen der von den Ständen getragenen königlichen Regierung weichen mußte. Der König hatte erklärt, er würde sich dem Hause Habsburg unterworfen haben, dem Hause Hohenzollern aber unterwerfe er sich nicht, den» das sei gegen das Wohl des Landes. Die Negierung und die Stände antworteten ihm: es ist nicht gegen das Wohl des Landes, das müssen wir besser wissen. Darauf wurde das tel est iw- U'e pliüsir als letzter Trumpf ausgespielt und verlor: ein bedenklicher Vorgang für ^salbte Häupter, wenn er auch seinem materiellen Inhalt nach dem Geschlecht der Hohenzollern zu Gute kam. Der König will nicht gedrängt sein! Er wird er¬ messen u. s. w. Man kennt die Phrasen. Die Motive, durch welche die preußische Regierung die Auflösung der Kam¬ mern begründet, sind folgende: Einmal seien von Seite der Opposition sehr sub¬ versive Theorien ausgesprochen. Die alte Doctrin des Absolutismus! er will nicht u»r seinen Anhängern, sondern auch seinen Gegnern das, was sie sagen sollen, ^ den Mund lege», und eine Opposition, die andere Ausdrücke gebraucht, als Hin bequem sind, erklärt er für mißliebig, er findet in ihren Angriffen einen frechen, unehrerbietigem Tadel der bestehenden Landesgesetze, er verwundert sich über sie ^d weiß ihnen nicht zu antworten, wie der angehende Doctor, der sich auf ein ^isputatvrium nach der Schablone vorbereitet hat und nun durch eine Stegreiffrage "us der Rolle gebracht wird. Wen» im Uebrigen seine Majorität in der Kammer ^iß wäre, schon eine Opposition von 10—12 Mitgliedern mit subversiven Theo- würde ihn außer Fassung setzen, er würde die Kammer auflösen, um das )w unbegreifliche Factum zu constatiren, daß Principien, die er gar nicht ve» '^t, von einem Theil des Volks gebilligt werden können. Das zweite Motiv ist die Fluctuation der Majorität. Mit einer Kammer, °N der sich bei keiner Frage berechnen ließe, wohin die Entscheidung fallen würde,^r enzbotcn. II. Zg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/233>, abgerufen am 15.01.2025.