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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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das man den süddeutschen Staaten im Staatenhause zu geben gedenkt, gleicht das
Mißverhältniß uicht aus, weil es ohne natürliche Grundlage und daher ohne
Berechtigung ist; oder man will, wie es nach den neuesten Erklärungen den An¬
schein hat, Preußen in seine Bestandtheile auflösen, und dann bleibt immer die
Frage, warum stellt man es denn an die Spitze? Der König von Preußen wird
Kaiser, weil er der mächtigste Fürst ist, und dann nimmt man ihm diese Macht.
Das ist doch ein sonderbarer Cirkel, ganz abgesehen davon, daß es denn doch
immer seine Bedenken hat, einen bereits bestehenden Organismus zu Gunsten eines
erst werdenden, von dem man noch keinen rechten Begriff hat, zu zerschlagen. Auch
findet dieser Plan selbst bei den Berliner Demokraten keinen großen Beifall.

Ein zweiter Umstand, den die erbkaiserliche Partei zu übersehen scheint, ist
die Schleswjg-Holsteinsche Angelegenheit. Welche Rechtsansprüche das neue Reich
gegen Dänemark erheben kann, ist doch auf alle Fälle sehr fraglich. Und dabei
bleiben die Verpflichtungen, die man einmal von Seite des Reichs gegen die
Herzogthümer übernommen hat, in ihrem vollen, drückenden Gewicht bestehn.

Endlich ist das Recht der Nationalversammlung, dem deutlich ausgesprochenen
Willen der bairischen, würtemberger, sächsischen und hannöverschen Stände entge¬
gen, die darin mit ihren Regierungen ganz einig sind, die deutsche Krone an
Preußen zu übertragen, mehr als fraglich. Sie hat Recht, so lange sie mit der
öffentlichen Meinung Hand in Hand geht, ohne sie ist ihre Macht eine Illusion.
Ich glaube, daß die Annahme des Welkerschen Antrags das Preußische Gouverne-
ment in die größte Verlegenheit gesetzt haben würde. Denn Preußen hätte sich
ein die Spitze der Revolution stellen und ziemlich dem ganzen Europa zum zweiten
Mal die Spitze bieten müssen, während es sehr zu bezweifeln ist, ob die Parteien
soviel Patriotismus gehabt hätten, sich im entschiedenen Augenblick mit einander
zu versöhnen.

Ich darf aber nicht verschweigen, daß innerhalb der preußischen Kammern'
selbst das Project einen bedeutenden Anhang zählt. Die Partei Vincke wie die
Partei Nodbertus kommen, jede aus ihre besondere Weise, darauf hinaus. Es
ist lehrreich, die Stellung dieser Parteien zum Gouvernement näher in's Auge zu
fassen.

Vincke hat das große Verdienst, die rechte Seite disciplinirt zu haben. Er
halt die widerstrebenden Elemente, ich möchte sagen, mehr mit militärischer als
parlamentarischer Strenge zusammen und wird mehr gefürchtet als geliebt. Mit
der Linken, auch in ihren gemäßigten Fractionen, hat er sich durch kleine Rei¬
bungen, durch Persönlichkeiten, die ein Staatsmann von seiner Bedeutung billiger
Weise vermeiden sollte, so überwerfen, daß an eine Aussöhnung schwer zu denken
ist; die rechte Seite hat er durch sein brüskes Wesen beständig verletzt. Es ist


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das man den süddeutschen Staaten im Staatenhause zu geben gedenkt, gleicht das
Mißverhältniß uicht aus, weil es ohne natürliche Grundlage und daher ohne
Berechtigung ist; oder man will, wie es nach den neuesten Erklärungen den An¬
schein hat, Preußen in seine Bestandtheile auflösen, und dann bleibt immer die
Frage, warum stellt man es denn an die Spitze? Der König von Preußen wird
Kaiser, weil er der mächtigste Fürst ist, und dann nimmt man ihm diese Macht.
Das ist doch ein sonderbarer Cirkel, ganz abgesehen davon, daß es denn doch
immer seine Bedenken hat, einen bereits bestehenden Organismus zu Gunsten eines
erst werdenden, von dem man noch keinen rechten Begriff hat, zu zerschlagen. Auch
findet dieser Plan selbst bei den Berliner Demokraten keinen großen Beifall.

Ein zweiter Umstand, den die erbkaiserliche Partei zu übersehen scheint, ist
die Schleswjg-Holsteinsche Angelegenheit. Welche Rechtsansprüche das neue Reich
gegen Dänemark erheben kann, ist doch auf alle Fälle sehr fraglich. Und dabei
bleiben die Verpflichtungen, die man einmal von Seite des Reichs gegen die
Herzogthümer übernommen hat, in ihrem vollen, drückenden Gewicht bestehn.

Endlich ist das Recht der Nationalversammlung, dem deutlich ausgesprochenen
Willen der bairischen, würtemberger, sächsischen und hannöverschen Stände entge¬
gen, die darin mit ihren Regierungen ganz einig sind, die deutsche Krone an
Preußen zu übertragen, mehr als fraglich. Sie hat Recht, so lange sie mit der
öffentlichen Meinung Hand in Hand geht, ohne sie ist ihre Macht eine Illusion.
Ich glaube, daß die Annahme des Welkerschen Antrags das Preußische Gouverne-
ment in die größte Verlegenheit gesetzt haben würde. Denn Preußen hätte sich
ein die Spitze der Revolution stellen und ziemlich dem ganzen Europa zum zweiten
Mal die Spitze bieten müssen, während es sehr zu bezweifeln ist, ob die Parteien
soviel Patriotismus gehabt hätten, sich im entschiedenen Augenblick mit einander
zu versöhnen.

Ich darf aber nicht verschweigen, daß innerhalb der preußischen Kammern'
selbst das Project einen bedeutenden Anhang zählt. Die Partei Vincke wie die
Partei Nodbertus kommen, jede aus ihre besondere Weise, darauf hinaus. Es
ist lehrreich, die Stellung dieser Parteien zum Gouvernement näher in's Auge zu
fassen.

Vincke hat das große Verdienst, die rechte Seite disciplinirt zu haben. Er
halt die widerstrebenden Elemente, ich möchte sagen, mehr mit militärischer als
parlamentarischer Strenge zusammen und wird mehr gefürchtet als geliebt. Mit
der Linken, auch in ihren gemäßigten Fractionen, hat er sich durch kleine Rei¬
bungen, durch Persönlichkeiten, die ein Staatsmann von seiner Bedeutung billiger
Weise vermeiden sollte, so überwerfen, daß an eine Aussöhnung schwer zu denken
ist; die rechte Seite hat er durch sein brüskes Wesen beständig verletzt. Es ist


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[0021] das man den süddeutschen Staaten im Staatenhause zu geben gedenkt, gleicht das Mißverhältniß uicht aus, weil es ohne natürliche Grundlage und daher ohne Berechtigung ist; oder man will, wie es nach den neuesten Erklärungen den An¬ schein hat, Preußen in seine Bestandtheile auflösen, und dann bleibt immer die Frage, warum stellt man es denn an die Spitze? Der König von Preußen wird Kaiser, weil er der mächtigste Fürst ist, und dann nimmt man ihm diese Macht. Das ist doch ein sonderbarer Cirkel, ganz abgesehen davon, daß es denn doch immer seine Bedenken hat, einen bereits bestehenden Organismus zu Gunsten eines erst werdenden, von dem man noch keinen rechten Begriff hat, zu zerschlagen. Auch findet dieser Plan selbst bei den Berliner Demokraten keinen großen Beifall. Ein zweiter Umstand, den die erbkaiserliche Partei zu übersehen scheint, ist die Schleswjg-Holsteinsche Angelegenheit. Welche Rechtsansprüche das neue Reich gegen Dänemark erheben kann, ist doch auf alle Fälle sehr fraglich. Und dabei bleiben die Verpflichtungen, die man einmal von Seite des Reichs gegen die Herzogthümer übernommen hat, in ihrem vollen, drückenden Gewicht bestehn. Endlich ist das Recht der Nationalversammlung, dem deutlich ausgesprochenen Willen der bairischen, würtemberger, sächsischen und hannöverschen Stände entge¬ gen, die darin mit ihren Regierungen ganz einig sind, die deutsche Krone an Preußen zu übertragen, mehr als fraglich. Sie hat Recht, so lange sie mit der öffentlichen Meinung Hand in Hand geht, ohne sie ist ihre Macht eine Illusion. Ich glaube, daß die Annahme des Welkerschen Antrags das Preußische Gouverne- ment in die größte Verlegenheit gesetzt haben würde. Denn Preußen hätte sich ein die Spitze der Revolution stellen und ziemlich dem ganzen Europa zum zweiten Mal die Spitze bieten müssen, während es sehr zu bezweifeln ist, ob die Parteien soviel Patriotismus gehabt hätten, sich im entschiedenen Augenblick mit einander zu versöhnen. Ich darf aber nicht verschweigen, daß innerhalb der preußischen Kammern' selbst das Project einen bedeutenden Anhang zählt. Die Partei Vincke wie die Partei Nodbertus kommen, jede aus ihre besondere Weise, darauf hinaus. Es ist lehrreich, die Stellung dieser Parteien zum Gouvernement näher in's Auge zu fassen. Vincke hat das große Verdienst, die rechte Seite disciplinirt zu haben. Er halt die widerstrebenden Elemente, ich möchte sagen, mehr mit militärischer als parlamentarischer Strenge zusammen und wird mehr gefürchtet als geliebt. Mit der Linken, auch in ihren gemäßigten Fractionen, hat er sich durch kleine Rei¬ bungen, durch Persönlichkeiten, die ein Staatsmann von seiner Bedeutung billiger Weise vermeiden sollte, so überwerfen, daß an eine Aussöhnung schwer zu denken ist; die rechte Seite hat er durch sein brüskes Wesen beständig verletzt. Es ist Hr«nzbo,t„. II, IÜ4S. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/21>, abgerufen am 15.01.2025.