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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ihnen frei, dem auf die Grundlage der neuen Verfassung aufgerichteten Staat bei¬
zutreten oder nicht. Oder sie beziehn die Vereinbarung auf den Inhalt der Ver¬
fassung selbst.

Die letztere Auffassung wird einfach durch ihre innere Unmöglichkeit wider¬
legt. Die Regierung kann sich nicht mit der Nationalversammlung vereinba¬
ren, denn wenn zwei Parteien sind, die verschiedenes wollen und zwischen ihnen
keine dritte, die entscheidet oder vermittelt, so ist eine Vereinbarung unmöglich.
Die Regierungen können sich aber auch nicht untereinander vereinbaren, denn es
ist keine gesetzliche Modalität vorhanden, eine für ganz Deutschland giltige Ver¬
fassung festzusetzen, seitdem das Institut des Bundestags sich selber aufgelöst hat.

Die erste Ansicht geht von der Voraussetzung aus, durch die Auflösung des
Bundes sei den einzelnen deutscheu Staaten die Souveränität wiedergegeben.
Man kann das bedingt anerkennen. Aber man vergesse nicht, daß jetzt in sämmt¬
lichen dentschen Staaten das constitutionelle System herrscht. Die Regierung ist
im constitutionellen Staat nichts anders, als der Repräsentant des Staats, wie
derselbe seinen bestimmten Willen in den Volksvertretern findet. *) Wenn die
Volksvertretungen der einzelnen dentschen Staaten die Frankfurter Verfassung ver¬
worfen hätten, so wäre es wenigstens sehr fraglich gewesen, mit welchem Rechts¬
grund man sie hätte zum Beitritt zwingen wollen. Es hätten dann andere Rück¬
sichten entschieden, als juristische oder staatsrechtliche: daß Oestreich nicht beitre¬
ten kann, liegt eben einfach darin, daß es keinen constitutionellen Ausdruck für
den Willen seines Staats zu bilden im Stande ist.

Wenn aber die Volksvertretungen sämmtlicher deutschen Staaten die Beschlüsse
der Frankfurter Nationalversammlung sanctivniren -- wie es jetzt der Fall ist --
dann ist es nicht mehr ein Recht, das dieser Einstimmigkeit entgegentritt, es ist
die Gewalt, und diese will wohl abgewogen sein, ehe man sie anwendet.

Es sührt mich diese Frage ans deu zweiten Punkt, der hier zu besprechen ist,
nämlich ans den Inhalt der Verfassung, in welchem eine Reihe von Bestimmungen
""geführt werden, die es Preußen unmöglich machen sollen, sich Frankfurt zu unter¬
werfen. Eine dieser Bestimmungen berührt gerade das vorhin angedeutete consti-
tutionell-monarchische Prinzip: die Aufhebung des absoluten Veto.





*) Herr Graf Schwerin, einer von den liberalen Ministern des vorigen Jahres, hat die
Ansicht ausgesprochen, die Regierung dürfe auf die Ansicht der Kammer über die deutsche Frage
keine Rücksicht nehmen, am wenigsten deshalb zurücktreten. Die parlamentarische Praxis Eng¬
lands, auf welche sich diese Herren so gern berufen, ist eine andere. Als Robert Peel durch
°le Combination der Tones und Whigs in der irische" Zwangsbill eine parlamentarische Nie-
crlage erlitt und nur einen Tag mit seinem Austritt zögerte, nahm die grsammtc Presse eine
lobende Haltung an. Selbst in dem französischen "Scheinconstitutionalismus" wäre eine
>°lebe Ansicht unerhört gewesen.

ihnen frei, dem auf die Grundlage der neuen Verfassung aufgerichteten Staat bei¬
zutreten oder nicht. Oder sie beziehn die Vereinbarung auf den Inhalt der Ver¬
fassung selbst.

Die letztere Auffassung wird einfach durch ihre innere Unmöglichkeit wider¬
legt. Die Regierung kann sich nicht mit der Nationalversammlung vereinba¬
ren, denn wenn zwei Parteien sind, die verschiedenes wollen und zwischen ihnen
keine dritte, die entscheidet oder vermittelt, so ist eine Vereinbarung unmöglich.
Die Regierungen können sich aber auch nicht untereinander vereinbaren, denn es
ist keine gesetzliche Modalität vorhanden, eine für ganz Deutschland giltige Ver¬
fassung festzusetzen, seitdem das Institut des Bundestags sich selber aufgelöst hat.

Die erste Ansicht geht von der Voraussetzung aus, durch die Auflösung des
Bundes sei den einzelnen deutscheu Staaten die Souveränität wiedergegeben.
Man kann das bedingt anerkennen. Aber man vergesse nicht, daß jetzt in sämmt¬
lichen dentschen Staaten das constitutionelle System herrscht. Die Regierung ist
im constitutionellen Staat nichts anders, als der Repräsentant des Staats, wie
derselbe seinen bestimmten Willen in den Volksvertretern findet. *) Wenn die
Volksvertretungen der einzelnen dentschen Staaten die Frankfurter Verfassung ver¬
worfen hätten, so wäre es wenigstens sehr fraglich gewesen, mit welchem Rechts¬
grund man sie hätte zum Beitritt zwingen wollen. Es hätten dann andere Rück¬
sichten entschieden, als juristische oder staatsrechtliche: daß Oestreich nicht beitre¬
ten kann, liegt eben einfach darin, daß es keinen constitutionellen Ausdruck für
den Willen seines Staats zu bilden im Stande ist.

Wenn aber die Volksvertretungen sämmtlicher deutschen Staaten die Beschlüsse
der Frankfurter Nationalversammlung sanctivniren — wie es jetzt der Fall ist —
dann ist es nicht mehr ein Recht, das dieser Einstimmigkeit entgegentritt, es ist
die Gewalt, und diese will wohl abgewogen sein, ehe man sie anwendet.

Es sührt mich diese Frage ans deu zweiten Punkt, der hier zu besprechen ist,
nämlich ans den Inhalt der Verfassung, in welchem eine Reihe von Bestimmungen
""geführt werden, die es Preußen unmöglich machen sollen, sich Frankfurt zu unter¬
werfen. Eine dieser Bestimmungen berührt gerade das vorhin angedeutete consti-
tutionell-monarchische Prinzip: die Aufhebung des absoluten Veto.





*) Herr Graf Schwerin, einer von den liberalen Ministern des vorigen Jahres, hat die
Ansicht ausgesprochen, die Regierung dürfe auf die Ansicht der Kammer über die deutsche Frage
keine Rücksicht nehmen, am wenigsten deshalb zurücktreten. Die parlamentarische Praxis Eng¬
lands, auf welche sich diese Herren so gern berufen, ist eine andere. Als Robert Peel durch
°le Combination der Tones und Whigs in der irische» Zwangsbill eine parlamentarische Nie-
crlage erlitt und nur einen Tag mit seinem Austritt zögerte, nahm die grsammtc Presse eine
lobende Haltung an. Selbst in dem französischen „Scheinconstitutionalismus" wäre eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/197>, abgerufen am 15.01.2025.