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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Irrthum gewahr wurde, gerieth es außer Fassung, und die Waffen fielen ihm
aus der Hand. Die Revolution meinte: nur einige Junker aus Hinterpommern,
und einige verthierte Söldlinge glauben nicht an mich; das tapfere Volk, auch
das unter der preußischen Pickelhaube, setzt sein Leben für mich ein. Als sie sich
betrogen sah, wußte sie nicht, was sie thun sollte, bis ihr in einer glücklichen In¬
spiration die Idee des passiven Widerstandes kam, durch den sie der Reaction
ihre Verachtung bezeigen konnte.

In allen Geschichtsbüchern wurden die Worte des Grafen Mirabeau -- "Nur
den Bajonnetten weichen wir!" -- mit einem gewissen dramatischen Effect berichtet.
Der preußische Mirabeau, der ehrenwerthe Abgeordnete ans Jülich, gebrauchte
dieselbe Phrase, aber sie verlor die Pointe, denn die Bajonnette kamen wirklich;
Wrangel ließ nicht imponiren.

Das "Cabinet der bewaffneten Furcht," wie es die Linke nennt, bestand theils
aus alten Haudegen, die hingingen, wo ihr Herr und König commandirte, theils
aus allen Burcauchefs, die an eine ordentliche, regelmäßige Arbeit gewöhnt wa¬
ren, und denen die geistreich liederliche Wirthschaft der frühem Ministerien zu¬
wider war. Es war nicht Genialität, was ihnen den Sieg verschaffte, man kann
getrost den Spruch Schiller'S aus sie anwenden:


Was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.

Aber der Erfolg hat diese Männer verblendet. Sie haben in ihren, im Ver¬
hältniß zu der öffentlichen Meinung immer auffallenden Schritten keinen erhebli-
chen Widerstand gefunden, sie haben selbst durch die so sehr gefürchteten Urwahleu
^ne Kammer zusammengebracht, deren Majorität ihre Schöpfung, die neue Con-
stitution, anerkannt hat, nud sie schweben jetzt in der süßen Tünschnng, sie könn¬
en ja wohl auch weiter fort nach der alte" Weise deu Staat regieren, wozu sie
ohnehin als treue Diener ihres Herrn die Verpflichtung fühlen. Der Irrthum
^se gefährlich. Nicht die Kammer ist es, die sie darin hindern wird, denn diese
^ nicht im Stande, ihren eignen Willen zu formuliren, nicht das Volk, sondern
Hre eigne Unfähigkeit. Sie würden auch einen absoluten Staat nicht regieren
^unen, wenigstens nicht in aufgeregten Zeiten, denn nur was einen bestimmten
sittlichen Inhalt hat, eine productive Kraft, kauu sich behaupten. Ein Ministe¬
rin, welches die Naivität hat, mit den famosen Märzgesetzen vor die Kammer
treten, die abgesehn von ihrem politischen Charakter auch in sich selbst geradezu
widersinnig sind -- ich erinnere nur an den h. des Preßgesetzes, nach welchem die
^'nit gerade derjenigen Männer, welche der Oeffentlichkeit angehören, der Beam-
und der Volksvertreter untersagt ist -- ein solches Ministerium würde sich
selber untergraben, wenn sich keine anderen Kräfte vorfänden, die ihm den Boden
unterwühlten.

Ich weiß nicht, soll ich es ein Glück nennen, daß in diesen Tagen die deutsche


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Irrthum gewahr wurde, gerieth es außer Fassung, und die Waffen fielen ihm
aus der Hand. Die Revolution meinte: nur einige Junker aus Hinterpommern,
und einige verthierte Söldlinge glauben nicht an mich; das tapfere Volk, auch
das unter der preußischen Pickelhaube, setzt sein Leben für mich ein. Als sie sich
betrogen sah, wußte sie nicht, was sie thun sollte, bis ihr in einer glücklichen In¬
spiration die Idee des passiven Widerstandes kam, durch den sie der Reaction
ihre Verachtung bezeigen konnte.

In allen Geschichtsbüchern wurden die Worte des Grafen Mirabeau — „Nur
den Bajonnetten weichen wir!" — mit einem gewissen dramatischen Effect berichtet.
Der preußische Mirabeau, der ehrenwerthe Abgeordnete ans Jülich, gebrauchte
dieselbe Phrase, aber sie verlor die Pointe, denn die Bajonnette kamen wirklich;
Wrangel ließ nicht imponiren.

Das „Cabinet der bewaffneten Furcht," wie es die Linke nennt, bestand theils
aus alten Haudegen, die hingingen, wo ihr Herr und König commandirte, theils
aus allen Burcauchefs, die an eine ordentliche, regelmäßige Arbeit gewöhnt wa¬
ren, und denen die geistreich liederliche Wirthschaft der frühem Ministerien zu¬
wider war. Es war nicht Genialität, was ihnen den Sieg verschaffte, man kann
getrost den Spruch Schiller'S aus sie anwenden:


Was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.

Aber der Erfolg hat diese Männer verblendet. Sie haben in ihren, im Ver¬
hältniß zu der öffentlichen Meinung immer auffallenden Schritten keinen erhebli-
chen Widerstand gefunden, sie haben selbst durch die so sehr gefürchteten Urwahleu
^ne Kammer zusammengebracht, deren Majorität ihre Schöpfung, die neue Con-
stitution, anerkannt hat, nud sie schweben jetzt in der süßen Tünschnng, sie könn¬
en ja wohl auch weiter fort nach der alte» Weise deu Staat regieren, wozu sie
ohnehin als treue Diener ihres Herrn die Verpflichtung fühlen. Der Irrthum
^se gefährlich. Nicht die Kammer ist es, die sie darin hindern wird, denn diese
^ nicht im Stande, ihren eignen Willen zu formuliren, nicht das Volk, sondern
Hre eigne Unfähigkeit. Sie würden auch einen absoluten Staat nicht regieren
^unen, wenigstens nicht in aufgeregten Zeiten, denn nur was einen bestimmten
sittlichen Inhalt hat, eine productive Kraft, kauu sich behaupten. Ein Ministe¬
rin, welches die Naivität hat, mit den famosen Märzgesetzen vor die Kammer
treten, die abgesehn von ihrem politischen Charakter auch in sich selbst geradezu
widersinnig sind — ich erinnere nur an den h. des Preßgesetzes, nach welchem die
^'nit gerade derjenigen Männer, welche der Oeffentlichkeit angehören, der Beam-
und der Volksvertreter untersagt ist — ein solches Ministerium würde sich
selber untergraben, wenn sich keine anderen Kräfte vorfänden, die ihm den Boden
unterwühlten.

Ich weiß nicht, soll ich es ein Glück nennen, daß in diesen Tagen die deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/195>, abgerufen am 15.01.2025.