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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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berg war zu der Zeit als Jacobi dort lebte, ein reges politisches Leben, (d.h.
eine rege politische Kaunegießcrei); -- damals zog er sich in die stolze Einsamkeit
des Gelehrten zurück.

Sein Aeußeres macht zunächst einen befremdenden Eindruck. Ein beständiges
Lächeln schwebt um seine Lippen, mir dem Grade nach verschieden, ein Lächeln,
halb ironisch, halb gutmüthig. Bei der freundlichen Art, die er gegen Jedermann
hat, kann man ihm eigentlichen Hochmuth nicht zuschreiben; er interessirt sich nicht
blos für sich, auch nicht blos für die Wissenschaft, auch für Menschen und nament¬
lich für die Bildung der Menschen hat er Herz und Sinn. Daneben aber hat er
wie es sich nicht anders erwarten läßt, das Gefühl von der Ueberlegenheit seines
Geistes, und dies prägt sich nicht minder in seinem Aeußern, als in seinen Reden
ans. Er spricht gern von seinen theils vornehmen, theils gelehrten Verbindungen,
er erwähnte einst in einer Rede, daß er Mitglied fast aller großen Akademien Eu¬
ropa's sei; dann freilich hüllt er sich auch wohl in den Mantel der Bescheiden¬
heit, läßt unbedeutenden Menschen große Anerkennung wiederfahren, ja die uneben-
bürtigsteu Gegner habe ich ihn mit merkwürdiger Schonung behandeln sehen. Diese
eigenthümliche Mischung von Selbstgefühl, Geringschätzung und Wohlwollen drückt
sich in seinem Aeußern ans, daneben eine ungemeine Behaglichkeit und Ruhe. Als
seinetwegen die erbittertste Aufregung im Mielcntz'sehen Saale unter tausend Zuhö¬
rern herrschte, stand er mit der größten Ruhe auf der Tribüne, sprach mehr als
eine Stunde, eben so langsam und behäbig, wie gewöhnlich, auch nicht in dem
Ton der Stimme war eine Spur der Anfregung zu entdecken.

Ein Redner ist Jacobi nicht, und doch macht seine Rede Eindruck dnrch die
Eigenthümlichkeit des Geistes, die vor uns tritt. Er spricht nicht nur langsam
und schwerfällig, er verliert anch oft den-Faden des Vortrags, bringt ungelenke
Sätze zusammen, schweigt längere Zeit gänzlich und überlegt, wie er die Rede
weiter führen soll. Seine Reden haben aber stets Inhalt, Zusammenhang n"d
tragen den Stempel der uiucru Geistesthätigkeit. Er legt sich zuweilen kurz vor¬
her die Hauptgedanken, die er erörtern will zurecht und dann ist sein Vortrag
fließender; oft spricht er ganz improvisirt. Er liebt es, über kleine, ganz unbe¬
deutende Fragen das Wort zu ergreifen, namentlich wenn Alles überzeugt ist, daß
kein Einziger darüber sprechen werde. Er pflegt dann nicht gerade etwas beson¬
ders Erhebliches vorzubringen, aber man hat doch vor seiner Person so viel Ach¬
tung, um die Sache ernstlicher in Erwägung zu ziehen.

Als in der erstem Hälfte des Monats April der constitutionelle Club gegründet
wurde, traten gleich anfaugs drei verschiedene Klassen von Mitgliedern hervor,
erstens diejenigen, die bisher dem alten Systeme treu und ergeben gedient hatten
und nun die Maste des Constitutionalismus vorzunehmen für zweckmäßig hielten,
sodann die aufrichtig "ut gemäßigt Konstitutionellen, endlich solche, die eigentlich
aus dem Boden der Demokratie standen und dem politischen Club nur darum u")


berg war zu der Zeit als Jacobi dort lebte, ein reges politisches Leben, (d.h.
eine rege politische Kaunegießcrei); — damals zog er sich in die stolze Einsamkeit
des Gelehrten zurück.

Sein Aeußeres macht zunächst einen befremdenden Eindruck. Ein beständiges
Lächeln schwebt um seine Lippen, mir dem Grade nach verschieden, ein Lächeln,
halb ironisch, halb gutmüthig. Bei der freundlichen Art, die er gegen Jedermann
hat, kann man ihm eigentlichen Hochmuth nicht zuschreiben; er interessirt sich nicht
blos für sich, auch nicht blos für die Wissenschaft, auch für Menschen und nament¬
lich für die Bildung der Menschen hat er Herz und Sinn. Daneben aber hat er
wie es sich nicht anders erwarten läßt, das Gefühl von der Ueberlegenheit seines
Geistes, und dies prägt sich nicht minder in seinem Aeußern, als in seinen Reden
ans. Er spricht gern von seinen theils vornehmen, theils gelehrten Verbindungen,
er erwähnte einst in einer Rede, daß er Mitglied fast aller großen Akademien Eu¬
ropa's sei; dann freilich hüllt er sich auch wohl in den Mantel der Bescheiden¬
heit, läßt unbedeutenden Menschen große Anerkennung wiederfahren, ja die uneben-
bürtigsteu Gegner habe ich ihn mit merkwürdiger Schonung behandeln sehen. Diese
eigenthümliche Mischung von Selbstgefühl, Geringschätzung und Wohlwollen drückt
sich in seinem Aeußern ans, daneben eine ungemeine Behaglichkeit und Ruhe. Als
seinetwegen die erbittertste Aufregung im Mielcntz'sehen Saale unter tausend Zuhö¬
rern herrschte, stand er mit der größten Ruhe auf der Tribüne, sprach mehr als
eine Stunde, eben so langsam und behäbig, wie gewöhnlich, auch nicht in dem
Ton der Stimme war eine Spur der Anfregung zu entdecken.

Ein Redner ist Jacobi nicht, und doch macht seine Rede Eindruck dnrch die
Eigenthümlichkeit des Geistes, die vor uns tritt. Er spricht nicht nur langsam
und schwerfällig, er verliert anch oft den-Faden des Vortrags, bringt ungelenke
Sätze zusammen, schweigt längere Zeit gänzlich und überlegt, wie er die Rede
weiter führen soll. Seine Reden haben aber stets Inhalt, Zusammenhang n»d
tragen den Stempel der uiucru Geistesthätigkeit. Er legt sich zuweilen kurz vor¬
her die Hauptgedanken, die er erörtern will zurecht und dann ist sein Vortrag
fließender; oft spricht er ganz improvisirt. Er liebt es, über kleine, ganz unbe¬
deutende Fragen das Wort zu ergreifen, namentlich wenn Alles überzeugt ist, daß
kein Einziger darüber sprechen werde. Er pflegt dann nicht gerade etwas beson¬
ders Erhebliches vorzubringen, aber man hat doch vor seiner Person so viel Ach¬
tung, um die Sache ernstlicher in Erwägung zu ziehen.

Als in der erstem Hälfte des Monats April der constitutionelle Club gegründet
wurde, traten gleich anfaugs drei verschiedene Klassen von Mitgliedern hervor,
erstens diejenigen, die bisher dem alten Systeme treu und ergeben gedient hatten
und nun die Maste des Constitutionalismus vorzunehmen für zweckmäßig hielten,
sodann die aufrichtig »ut gemäßigt Konstitutionellen, endlich solche, die eigentlich
aus dem Boden der Demokratie standen und dem politischen Club nur darum u«)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/182>, abgerufen am 15.01.2025.