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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ches Graf Stadion unternahm, indem er gleichsam ein neues Volk schuf, das
seinen Ursprung selbst nur aus dunklen Ueberlieferungen kannte -- indem er fer¬
ner den Leuten eine Tracht vorschrieb, die ihnen vollkommen neu war und eine
Sprache zu reden befahl, welche ein großer Theil der Bevölkerung gar nicht ver¬
steht -- um dieses tragikomische Experiment zu veranschaulichen, will ich ein Bei¬
spiel ans unseren engern Vaterlande anführen.

Denken Sie Sich, es fiele der preußischen Negierung plötzlich ein, ein Ma¬
nifest an die Pommern zu erlassen, des Inhalts: "Ihr guten Pommern lebt in
einem seltsamen Irrthum! Ihr haltet Euch für Deutsche, und uoch dazu sür
specifische Preußen, und seid doch in Wahrheit den größten Theile' nach ächte
Slave"! Ihr scheint dies freilich selbst nicht zu wissen, aber die Negierung hält
es für ihre Pflicht, Euch darüber aufzuklären, denn wir leben in der Zeit der
Gleichberechtigung aller Nationalitäten, nud es liegt in der Absicht der Regierung
auch Euch gleich zu berechtigen. Pommern, Ihr lieben Leute, ist ein germanisirtes
aber kein ursprünglich deutsches Wort; es stammt aus dem Slavischen, gleichwie
Ihr selbst, und hieß in seiner alten Form no morum, d. h. "Am Meere," Ihr
aber wurdet darnach benannt ?c>mvnmu, d. h. "die am Meere Wohnenden", oder
mit andern Worten "Küstenbewohner". Daraus hat sich denn im Laufe der Zeit
das deutsche Wort "Pommern" gebildet, gleichwie Ihr Euch selbst so verdeutscht
habt, daß Ihr Eure eigene Sprache nicht mehr versteht. Das kann aber nicht
so bleiben; die Regierung wird nachforschen lassen, welchen slavischen Dialekt Ihr
einst geredet habt, und den müßt Ihr wieder erlernen. Auch Eure Kleidung müßt
Ihr ändern und Euch tragen, wie einst Eure Väter gethan: blaue Hosen, gelbe
Stiefeln, rothe Jacken und weiße Mützen mit schwarzem Pelz verbrämt. Die Re¬
gierung wird Sorge tragen, die Landesgesetze in Eure Sprache übersetzen zu las¬
sen; bis dieses geschehen, und bis ein passender Name sür Euch gefunden ist,
dürft Ihr noch deutsch reden und Euch Pommern nennen.

Wir erklären Euch hiemit als gleichberechtigt! Ihr schwebt der Regierung
vor als ein neues Volk; es wird Sorge getragen werden, daß Euch in besonderen
Schulen Eure Sprache und Geschichte gelehrt wird. Einstweilen zieht gelbe Stie¬
feln, blaue Hosen nud rothe Jacken an und wahrt Eure Nationalität vor deut¬
schem Einfluß. Und damit alles dieses ohne Störung der öffentlichen Ruhe ge¬
schehe, versetzt Euch die Negierung vorläufig in Belagerungszustand."

Sie lachen, lieber Freund, die Geschichte erscheint Ihnen komisch, und sie ist
doch nichts als eine Version der ruthenischen Natioualitätserfindung. Nach diesem
wunderlichen Staatsexperimente nahm Graf Stadion als galizischer Abgeordneter
seinen Sitz im Reichstage zu Wien. Die Rolle, welche er hier gespielt, läßt sich mit
wenigen Worten schildern. Als Redner konnte er nicht glänzen, da er eine seltsame
Schwerfälligkeit der Zunge und des' Gedankens besitzt, und nicht im Stande ist,
einen Satz fließend und vernehmlich vorzutragen. So beschränkte sich denn seine


ches Graf Stadion unternahm, indem er gleichsam ein neues Volk schuf, das
seinen Ursprung selbst nur aus dunklen Ueberlieferungen kannte — indem er fer¬
ner den Leuten eine Tracht vorschrieb, die ihnen vollkommen neu war und eine
Sprache zu reden befahl, welche ein großer Theil der Bevölkerung gar nicht ver¬
steht — um dieses tragikomische Experiment zu veranschaulichen, will ich ein Bei¬
spiel ans unseren engern Vaterlande anführen.

Denken Sie Sich, es fiele der preußischen Negierung plötzlich ein, ein Ma¬
nifest an die Pommern zu erlassen, des Inhalts: „Ihr guten Pommern lebt in
einem seltsamen Irrthum! Ihr haltet Euch für Deutsche, und uoch dazu sür
specifische Preußen, und seid doch in Wahrheit den größten Theile' nach ächte
Slave»! Ihr scheint dies freilich selbst nicht zu wissen, aber die Negierung hält
es für ihre Pflicht, Euch darüber aufzuklären, denn wir leben in der Zeit der
Gleichberechtigung aller Nationalitäten, nud es liegt in der Absicht der Regierung
auch Euch gleich zu berechtigen. Pommern, Ihr lieben Leute, ist ein germanisirtes
aber kein ursprünglich deutsches Wort; es stammt aus dem Slavischen, gleichwie
Ihr selbst, und hieß in seiner alten Form no morum, d. h. „Am Meere," Ihr
aber wurdet darnach benannt ?c>mvnmu, d. h. „die am Meere Wohnenden", oder
mit andern Worten „Küstenbewohner". Daraus hat sich denn im Laufe der Zeit
das deutsche Wort „Pommern" gebildet, gleichwie Ihr Euch selbst so verdeutscht
habt, daß Ihr Eure eigene Sprache nicht mehr versteht. Das kann aber nicht
so bleiben; die Regierung wird nachforschen lassen, welchen slavischen Dialekt Ihr
einst geredet habt, und den müßt Ihr wieder erlernen. Auch Eure Kleidung müßt
Ihr ändern und Euch tragen, wie einst Eure Väter gethan: blaue Hosen, gelbe
Stiefeln, rothe Jacken und weiße Mützen mit schwarzem Pelz verbrämt. Die Re¬
gierung wird Sorge tragen, die Landesgesetze in Eure Sprache übersetzen zu las¬
sen; bis dieses geschehen, und bis ein passender Name sür Euch gefunden ist,
dürft Ihr noch deutsch reden und Euch Pommern nennen.

Wir erklären Euch hiemit als gleichberechtigt! Ihr schwebt der Regierung
vor als ein neues Volk; es wird Sorge getragen werden, daß Euch in besonderen
Schulen Eure Sprache und Geschichte gelehrt wird. Einstweilen zieht gelbe Stie¬
feln, blaue Hosen nud rothe Jacken an und wahrt Eure Nationalität vor deut¬
schem Einfluß. Und damit alles dieses ohne Störung der öffentlichen Ruhe ge¬
schehe, versetzt Euch die Negierung vorläufig in Belagerungszustand."

Sie lachen, lieber Freund, die Geschichte erscheint Ihnen komisch, und sie ist
doch nichts als eine Version der ruthenischen Natioualitätserfindung. Nach diesem
wunderlichen Staatsexperimente nahm Graf Stadion als galizischer Abgeordneter
seinen Sitz im Reichstage zu Wien. Die Rolle, welche er hier gespielt, läßt sich mit
wenigen Worten schildern. Als Redner konnte er nicht glänzen, da er eine seltsame
Schwerfälligkeit der Zunge und des' Gedankens besitzt, und nicht im Stande ist,
einen Satz fließend und vernehmlich vorzutragen. So beschränkte sich denn seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/166>, abgerufen am 15.01.2025.