Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich Herr v. Berg zu Zeiten mit Grazie in anmuthigen Verhältnissen bewegen mag,
läßt lich auch erwarten. Jedenfalls ist Mirabeau deshalb kein schlechterer Politiker
gewesen, weil er dem Cultus des Schönen seine Opfer nicht entzog.




Politische Broschüren.



1. Neue Briefe des Junius. I. Heft. Königsberg, Sander.

Auf diese Weise zum Vergleich mit einem großen Schriftsteller herauszufor-
der, ist mißlich, um so mehr, wenn man an das "Räuspern und Spucken" des¬
selben zu sehr erinnert wird. So ist es zu drollig, nachdem in der neuen Königs-
berger Zeitung zwei Briefe mit der Unterschrist Junius gestanden haben, der eine
an die preußische Nationalversammlung, der andere an den Abgeordneten Tamnau,
gleich darauf folgenden Brief an den Drucker der N. K. Z. zu lesen: "Mein
Herr! Ich bin fest überzeugt, daß es mein böser Genius war, der mich auf den
Gedanken gebracht hat, jemals die Feder zu ergreifen. Alle Welt wird mich has¬
sen und vorgeben, daß sie mich verachte; die bleiche Tugend wird mich meiden,
und das schwarze Laster sich vor nur zurückziehen, um durch meine Berührung
nicht noch schwärzer zu werden. Alle Leute, die man unter meiner Maske ver¬
borgen glaubt, werden betheuernd ihre Hand aufs Herz legen, und feierlich er¬
klären, daß sie weder dieser Mensch seien, noch ihn kennen. Der Zustand, mein
Herr, mit dem ich die Welt bedrohe, ist unerträglich. Jedenfalls werde
ich, wenn ich nicht fortan schweige, den Umsturz alles Bestehenden her¬
beiführen u. f. w." Etwas weniger suffisance, etwas weniger Reminiscenz
und etwas mehr Inhalt würde den Briefen vortheilhaft gewesen sein. Als Ver¬
fasser derselben wird uns übrigens aus ziemlich zuverlässiger Quelle Dr. Ferdi¬
nand Falkson angegeben, der in der vormärzlichen Zeit durch seine Heirath
mit einer Christin und den daraus hervorgegangenen Conflict mit der Staatsge¬
walt eine principielle Frage in Anregung brachte. -- Der Partcistandpnnkt der
Briefe ist der demokratische; aber schon die elegante, beinah etwas gezierte
Form, in der sie gehalten sind, verräth ihren Unterschied von dem Cynismus der
gewöhnlichen Demokratie. Ueberhaupt hat die demokratische Partei in den alten
Provinzen, namentlich Preußen und Pommern, eine wesentlich andere Bedeutung,
als die Berliner, Rheinische oder Süddeutsche. Das alte Preußen ist darin noch
zu stark, als daß es nicht einen ebenso natürlichen als berechtigten Gegensatz her¬
vorrufen sollte. Man darf nur die Neue Königsberger Zeitung, das Organ der
altpreußischen Demokratie, mit der Oderzeitung vergleichen, um sich diesen Unter-


sich Herr v. Berg zu Zeiten mit Grazie in anmuthigen Verhältnissen bewegen mag,
läßt lich auch erwarten. Jedenfalls ist Mirabeau deshalb kein schlechterer Politiker
gewesen, weil er dem Cultus des Schönen seine Opfer nicht entzog.




Politische Broschüren.



1. Neue Briefe des Junius. I. Heft. Königsberg, Sander.

Auf diese Weise zum Vergleich mit einem großen Schriftsteller herauszufor-
der, ist mißlich, um so mehr, wenn man an das „Räuspern und Spucken" des¬
selben zu sehr erinnert wird. So ist es zu drollig, nachdem in der neuen Königs-
berger Zeitung zwei Briefe mit der Unterschrist Junius gestanden haben, der eine
an die preußische Nationalversammlung, der andere an den Abgeordneten Tamnau,
gleich darauf folgenden Brief an den Drucker der N. K. Z. zu lesen: „Mein
Herr! Ich bin fest überzeugt, daß es mein böser Genius war, der mich auf den
Gedanken gebracht hat, jemals die Feder zu ergreifen. Alle Welt wird mich has¬
sen und vorgeben, daß sie mich verachte; die bleiche Tugend wird mich meiden,
und das schwarze Laster sich vor nur zurückziehen, um durch meine Berührung
nicht noch schwärzer zu werden. Alle Leute, die man unter meiner Maske ver¬
borgen glaubt, werden betheuernd ihre Hand aufs Herz legen, und feierlich er¬
klären, daß sie weder dieser Mensch seien, noch ihn kennen. Der Zustand, mein
Herr, mit dem ich die Welt bedrohe, ist unerträglich. Jedenfalls werde
ich, wenn ich nicht fortan schweige, den Umsturz alles Bestehenden her¬
beiführen u. f. w." Etwas weniger suffisance, etwas weniger Reminiscenz
und etwas mehr Inhalt würde den Briefen vortheilhaft gewesen sein. Als Ver¬
fasser derselben wird uns übrigens aus ziemlich zuverlässiger Quelle Dr. Ferdi¬
nand Falkson angegeben, der in der vormärzlichen Zeit durch seine Heirath
mit einer Christin und den daraus hervorgegangenen Conflict mit der Staatsge¬
walt eine principielle Frage in Anregung brachte. — Der Partcistandpnnkt der
Briefe ist der demokratische; aber schon die elegante, beinah etwas gezierte
Form, in der sie gehalten sind, verräth ihren Unterschied von dem Cynismus der
gewöhnlichen Demokratie. Ueberhaupt hat die demokratische Partei in den alten
Provinzen, namentlich Preußen und Pommern, eine wesentlich andere Bedeutung,
als die Berliner, Rheinische oder Süddeutsche. Das alte Preußen ist darin noch
zu stark, als daß es nicht einen ebenso natürlichen als berechtigten Gegensatz her¬
vorrufen sollte. Man darf nur die Neue Königsberger Zeitung, das Organ der
altpreußischen Demokratie, mit der Oderzeitung vergleichen, um sich diesen Unter-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278610"/>
              <p xml:id="ID_317" prev="#ID_316"> sich Herr v. Berg zu Zeiten mit Grazie in anmuthigen Verhältnissen bewegen mag,<lb/>
läßt lich auch erwarten. Jedenfalls ist Mirabeau deshalb kein schlechterer Politiker<lb/>
gewesen, weil er dem Cultus des Schönen seine Opfer nicht entzog.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Politische Broschüren.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1.  Neue Briefe des Junius.  I. Heft.  Königsberg, Sander.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_318" next="#ID_319"> Auf diese Weise zum Vergleich mit einem großen Schriftsteller herauszufor-<lb/>
der, ist mißlich, um so mehr, wenn man an das &#x201E;Räuspern und Spucken" des¬<lb/>
selben zu sehr erinnert wird. So ist es zu drollig, nachdem in der neuen Königs-<lb/>
berger Zeitung zwei Briefe mit der Unterschrist Junius gestanden haben, der eine<lb/>
an die preußische Nationalversammlung, der andere an den Abgeordneten Tamnau,<lb/>
gleich darauf folgenden Brief an den Drucker der N. K. Z. zu lesen: &#x201E;Mein<lb/>
Herr! Ich bin fest überzeugt, daß es mein böser Genius war, der mich auf den<lb/>
Gedanken gebracht hat, jemals die Feder zu ergreifen. Alle Welt wird mich has¬<lb/>
sen und vorgeben, daß sie mich verachte; die bleiche Tugend wird mich meiden,<lb/>
und das schwarze Laster sich vor nur zurückziehen, um durch meine Berührung<lb/>
nicht noch schwärzer zu werden. Alle Leute, die man unter meiner Maske ver¬<lb/>
borgen glaubt, werden betheuernd ihre Hand aufs Herz legen, und feierlich er¬<lb/>
klären, daß sie weder dieser Mensch seien, noch ihn kennen. Der Zustand, mein<lb/>
Herr, mit dem ich die Welt bedrohe, ist unerträglich. Jedenfalls werde<lb/>
ich, wenn ich nicht fortan schweige, den Umsturz alles Bestehenden her¬<lb/>
beiführen u. f. w." Etwas weniger suffisance, etwas weniger Reminiscenz<lb/>
und etwas mehr Inhalt würde den Briefen vortheilhaft gewesen sein. Als Ver¬<lb/>
fasser derselben wird uns übrigens aus ziemlich zuverlässiger Quelle Dr. Ferdi¬<lb/>
nand Falkson angegeben, der in der vormärzlichen Zeit durch seine Heirath<lb/>
mit einer Christin und den daraus hervorgegangenen Conflict mit der Staatsge¬<lb/>
walt eine principielle Frage in Anregung brachte. &#x2014; Der Partcistandpnnkt der<lb/>
Briefe ist der demokratische; aber schon die elegante, beinah etwas gezierte<lb/>
Form, in der sie gehalten sind, verräth ihren Unterschied von dem Cynismus der<lb/>
gewöhnlichen Demokratie. Ueberhaupt hat die demokratische Partei in den alten<lb/>
Provinzen, namentlich Preußen und Pommern, eine wesentlich andere Bedeutung,<lb/>
als die Berliner, Rheinische oder Süddeutsche. Das alte Preußen ist darin noch<lb/>
zu stark, als daß es nicht einen ebenso natürlichen als berechtigten Gegensatz her¬<lb/>
vorrufen sollte. Man darf nur die Neue Königsberger Zeitung, das Organ der<lb/>
altpreußischen Demokratie, mit der Oderzeitung vergleichen, um sich diesen Unter-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] sich Herr v. Berg zu Zeiten mit Grazie in anmuthigen Verhältnissen bewegen mag, läßt lich auch erwarten. Jedenfalls ist Mirabeau deshalb kein schlechterer Politiker gewesen, weil er dem Cultus des Schönen seine Opfer nicht entzog. Politische Broschüren. 1. Neue Briefe des Junius. I. Heft. Königsberg, Sander. Auf diese Weise zum Vergleich mit einem großen Schriftsteller herauszufor- der, ist mißlich, um so mehr, wenn man an das „Räuspern und Spucken" des¬ selben zu sehr erinnert wird. So ist es zu drollig, nachdem in der neuen Königs- berger Zeitung zwei Briefe mit der Unterschrist Junius gestanden haben, der eine an die preußische Nationalversammlung, der andere an den Abgeordneten Tamnau, gleich darauf folgenden Brief an den Drucker der N. K. Z. zu lesen: „Mein Herr! Ich bin fest überzeugt, daß es mein böser Genius war, der mich auf den Gedanken gebracht hat, jemals die Feder zu ergreifen. Alle Welt wird mich has¬ sen und vorgeben, daß sie mich verachte; die bleiche Tugend wird mich meiden, und das schwarze Laster sich vor nur zurückziehen, um durch meine Berührung nicht noch schwärzer zu werden. Alle Leute, die man unter meiner Maske ver¬ borgen glaubt, werden betheuernd ihre Hand aufs Herz legen, und feierlich er¬ klären, daß sie weder dieser Mensch seien, noch ihn kennen. Der Zustand, mein Herr, mit dem ich die Welt bedrohe, ist unerträglich. Jedenfalls werde ich, wenn ich nicht fortan schweige, den Umsturz alles Bestehenden her¬ beiführen u. f. w." Etwas weniger suffisance, etwas weniger Reminiscenz und etwas mehr Inhalt würde den Briefen vortheilhaft gewesen sein. Als Ver¬ fasser derselben wird uns übrigens aus ziemlich zuverlässiger Quelle Dr. Ferdi¬ nand Falkson angegeben, der in der vormärzlichen Zeit durch seine Heirath mit einer Christin und den daraus hervorgegangenen Conflict mit der Staatsge¬ walt eine principielle Frage in Anregung brachte. — Der Partcistandpnnkt der Briefe ist der demokratische; aber schon die elegante, beinah etwas gezierte Form, in der sie gehalten sind, verräth ihren Unterschied von dem Cynismus der gewöhnlichen Demokratie. Ueberhaupt hat die demokratische Partei in den alten Provinzen, namentlich Preußen und Pommern, eine wesentlich andere Bedeutung, als die Berliner, Rheinische oder Süddeutsche. Das alte Preußen ist darin noch zu stark, als daß es nicht einen ebenso natürlichen als berechtigten Gegensatz her¬ vorrufen sollte. Man darf nur die Neue Königsberger Zeitung, das Organ der altpreußischen Demokratie, mit der Oderzeitung vergleichen, um sich diesen Unter-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/100>, abgerufen am 15.01.2025.