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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Geschichte des schlesischen Gebirges ein starker Beweis, daß für das Gedeihn
jeder Industrie große Capitalien in einer Hand und eine freie, strebsame Intel¬
ligenz nöthig sind. Noch in neuerer Zeit ist es einzelnen Kaufleuten, welche
mit größerer Intelligenz und stärkerem Kapital arbeiteten, gelungen, sich selbst
Reichthum und einer Anzahl von Webern dauernde Beschäftigung zu geben,
aber das Ungesunde dieser handwerksmäßigen Freiweberei bewies sich selbst in
solchen Ausnahmsfällen, denn der elende Weber wurde wenig durch das Gedeihn
des Kaufmanns gefördert. Wenn von Zeit zu Zeit hastige Menschenliebe durch
Geldunterstützung und Waarenbestellungen der sterbenden Industrie aufzuhelfen
suchte, so war solche Hilfe nutzlos, uur eine Verlängerung des Todeskampfes.
Hilfe gibt es für dies klägliche verkommene Geschlecht der Weber nur dadurch,
daß ihre Kinder gezwungen werden, andere Nahrungszweige zu ergreifen, oder die
Linnenkultur in zeitgemäßer Verbindung mit Kapital und Intelligenz treiben zu
lernen. Was bis jetzt in dieser Richtung durch die Regierung und Privatleute
geschah, war wohlgemeint, aber durchaus unzureichend.

Das größte Unglück des schönen Landes aber ist gegenwärtig seine Lage.
Auf der einen Seite die russische, aus der andern die östreichische Grenze, die er¬
stere mit eherner Mauer verschlossen, die andere durch lästige Zollgesetze fast eben
so sehr abgesperrt. Seiner Lage nach ist Schlesien auf den Verkehr mit dem Osten
hingewiesen, seinen frühern Wohlstand, ein zweihundertjähriges Gedeihen seiner
kleinen Städte verdankt es dieser Lage. Schlesische Tuche und andere Gewirke,
die Produkte des deutschen Handwerkerfleißes, gingen zugleich mit den Colonial-
waaren in großen Massen durch Polen, Rußland, bis Kiächta an die chinesische
Grenze. Ju großen Caravanen brachten die Söhne des Ostens Erzeugnisse ihrer
Viehheerden: Leder, Talg, grobe Wolle, Wachs ?c. nach Breslau und tauschten
dafür ein, was ihr Land nicht erzeugte. Eine goldene Zeit für Kaufmann und
Handwerker, mühelos und hundertfältig war der Gewinn. Da kam Rußlands
Absperrungssystem und an die Stelle des Völkerverkehrs trat ein trauriger Schmug¬
gelhandel in den verarmenden Grenzstädten. Aber noch war ein Thor für den
Absatz geöffnet, Krakau. Dieser kleine Freistaat war für Schlesien von unendlicher
Wichtigkeit, denn ganz Galizien, die Bukowina und was darum lag, war durch
alte Vorliebe, Gewohnheit und die große Handelsstraße in kaufmännischer Abhän¬
gigkeit von Krakau, und der Handel dorthin war für den Schlesier frei und
ehrlich. Da ließ die preußische Regierung sich bereit finden, Krakau an Oestreich
zu überlassen, ohne für den schlesischen Handel nach Krakau die Privilegien zu
erwirken, deren die Provinz dringend bedürfte, und so erhielt der schlesische Gro߬
handel und ein großer Theil der Industrie seinen Todesstoß. Mau hat der preußi¬
schen Regierung harten Vorwurf über die Unterzeichnung des Einverleibuugtractats
gemacht und in der That war die Hast, mit welcher die Unterschrist gegeben wurde,
sehr unnöthig. Der König hatte unterzeichnet, und die Mehrzahl seiner Minister


Geschichte des schlesischen Gebirges ein starker Beweis, daß für das Gedeihn
jeder Industrie große Capitalien in einer Hand und eine freie, strebsame Intel¬
ligenz nöthig sind. Noch in neuerer Zeit ist es einzelnen Kaufleuten, welche
mit größerer Intelligenz und stärkerem Kapital arbeiteten, gelungen, sich selbst
Reichthum und einer Anzahl von Webern dauernde Beschäftigung zu geben,
aber das Ungesunde dieser handwerksmäßigen Freiweberei bewies sich selbst in
solchen Ausnahmsfällen, denn der elende Weber wurde wenig durch das Gedeihn
des Kaufmanns gefördert. Wenn von Zeit zu Zeit hastige Menschenliebe durch
Geldunterstützung und Waarenbestellungen der sterbenden Industrie aufzuhelfen
suchte, so war solche Hilfe nutzlos, uur eine Verlängerung des Todeskampfes.
Hilfe gibt es für dies klägliche verkommene Geschlecht der Weber nur dadurch,
daß ihre Kinder gezwungen werden, andere Nahrungszweige zu ergreifen, oder die
Linnenkultur in zeitgemäßer Verbindung mit Kapital und Intelligenz treiben zu
lernen. Was bis jetzt in dieser Richtung durch die Regierung und Privatleute
geschah, war wohlgemeint, aber durchaus unzureichend.

Das größte Unglück des schönen Landes aber ist gegenwärtig seine Lage.
Auf der einen Seite die russische, aus der andern die östreichische Grenze, die er¬
stere mit eherner Mauer verschlossen, die andere durch lästige Zollgesetze fast eben
so sehr abgesperrt. Seiner Lage nach ist Schlesien auf den Verkehr mit dem Osten
hingewiesen, seinen frühern Wohlstand, ein zweihundertjähriges Gedeihen seiner
kleinen Städte verdankt es dieser Lage. Schlesische Tuche und andere Gewirke,
die Produkte des deutschen Handwerkerfleißes, gingen zugleich mit den Colonial-
waaren in großen Massen durch Polen, Rußland, bis Kiächta an die chinesische
Grenze. Ju großen Caravanen brachten die Söhne des Ostens Erzeugnisse ihrer
Viehheerden: Leder, Talg, grobe Wolle, Wachs ?c. nach Breslau und tauschten
dafür ein, was ihr Land nicht erzeugte. Eine goldene Zeit für Kaufmann und
Handwerker, mühelos und hundertfältig war der Gewinn. Da kam Rußlands
Absperrungssystem und an die Stelle des Völkerverkehrs trat ein trauriger Schmug¬
gelhandel in den verarmenden Grenzstädten. Aber noch war ein Thor für den
Absatz geöffnet, Krakau. Dieser kleine Freistaat war für Schlesien von unendlicher
Wichtigkeit, denn ganz Galizien, die Bukowina und was darum lag, war durch
alte Vorliebe, Gewohnheit und die große Handelsstraße in kaufmännischer Abhän¬
gigkeit von Krakau, und der Handel dorthin war für den Schlesier frei und
ehrlich. Da ließ die preußische Regierung sich bereit finden, Krakau an Oestreich
zu überlassen, ohne für den schlesischen Handel nach Krakau die Privilegien zu
erwirken, deren die Provinz dringend bedürfte, und so erhielt der schlesische Gro߬
handel und ein großer Theil der Industrie seinen Todesstoß. Mau hat der preußi¬
schen Regierung harten Vorwurf über die Unterzeichnung des Einverleibuugtractats
gemacht und in der That war die Hast, mit welcher die Unterschrist gegeben wurde,
sehr unnöthig. Der König hatte unterzeichnet, und die Mehrzahl seiner Minister


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[0096] Geschichte des schlesischen Gebirges ein starker Beweis, daß für das Gedeihn jeder Industrie große Capitalien in einer Hand und eine freie, strebsame Intel¬ ligenz nöthig sind. Noch in neuerer Zeit ist es einzelnen Kaufleuten, welche mit größerer Intelligenz und stärkerem Kapital arbeiteten, gelungen, sich selbst Reichthum und einer Anzahl von Webern dauernde Beschäftigung zu geben, aber das Ungesunde dieser handwerksmäßigen Freiweberei bewies sich selbst in solchen Ausnahmsfällen, denn der elende Weber wurde wenig durch das Gedeihn des Kaufmanns gefördert. Wenn von Zeit zu Zeit hastige Menschenliebe durch Geldunterstützung und Waarenbestellungen der sterbenden Industrie aufzuhelfen suchte, so war solche Hilfe nutzlos, uur eine Verlängerung des Todeskampfes. Hilfe gibt es für dies klägliche verkommene Geschlecht der Weber nur dadurch, daß ihre Kinder gezwungen werden, andere Nahrungszweige zu ergreifen, oder die Linnenkultur in zeitgemäßer Verbindung mit Kapital und Intelligenz treiben zu lernen. Was bis jetzt in dieser Richtung durch die Regierung und Privatleute geschah, war wohlgemeint, aber durchaus unzureichend. Das größte Unglück des schönen Landes aber ist gegenwärtig seine Lage. Auf der einen Seite die russische, aus der andern die östreichische Grenze, die er¬ stere mit eherner Mauer verschlossen, die andere durch lästige Zollgesetze fast eben so sehr abgesperrt. Seiner Lage nach ist Schlesien auf den Verkehr mit dem Osten hingewiesen, seinen frühern Wohlstand, ein zweihundertjähriges Gedeihen seiner kleinen Städte verdankt es dieser Lage. Schlesische Tuche und andere Gewirke, die Produkte des deutschen Handwerkerfleißes, gingen zugleich mit den Colonial- waaren in großen Massen durch Polen, Rußland, bis Kiächta an die chinesische Grenze. Ju großen Caravanen brachten die Söhne des Ostens Erzeugnisse ihrer Viehheerden: Leder, Talg, grobe Wolle, Wachs ?c. nach Breslau und tauschten dafür ein, was ihr Land nicht erzeugte. Eine goldene Zeit für Kaufmann und Handwerker, mühelos und hundertfältig war der Gewinn. Da kam Rußlands Absperrungssystem und an die Stelle des Völkerverkehrs trat ein trauriger Schmug¬ gelhandel in den verarmenden Grenzstädten. Aber noch war ein Thor für den Absatz geöffnet, Krakau. Dieser kleine Freistaat war für Schlesien von unendlicher Wichtigkeit, denn ganz Galizien, die Bukowina und was darum lag, war durch alte Vorliebe, Gewohnheit und die große Handelsstraße in kaufmännischer Abhän¬ gigkeit von Krakau, und der Handel dorthin war für den Schlesier frei und ehrlich. Da ließ die preußische Regierung sich bereit finden, Krakau an Oestreich zu überlassen, ohne für den schlesischen Handel nach Krakau die Privilegien zu erwirken, deren die Provinz dringend bedürfte, und so erhielt der schlesische Gro߬ handel und ein großer Theil der Industrie seinen Todesstoß. Mau hat der preußi¬ schen Regierung harten Vorwurf über die Unterzeichnung des Einverleibuugtractats gemacht und in der That war die Hast, mit welcher die Unterschrist gegeben wurde, sehr unnöthig. Der König hatte unterzeichnet, und die Mehrzahl seiner Minister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/96>, abgerufen am 22.12.2024.