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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gesponnen zu den Wochenmärkten der Kreisstädte von den Landbauern selbst oder
von kleinen Flachshändlern oder den Spinnern gebracht, stets fand der Weber
das Material in unmittelbarer Nähe. Seine Waare ließ er vom Bleicher ent¬
weder gegen Lohn bleichen, oder er trug sie roh auf den Markt und verkaufte
sie an die Handelsleute seiner Gegend. Nur der geringere Theil der Leinwand
wurde im Lande selbst verbraucht, der größere ging zu Lande nach Polen und
Nußland, oder durch die Seestädte nach Spanien und den südamerikanischen Ko¬
lonien. Der schlesische Kaufmann war bei diesem Handel selten mit eigenen Capi¬
talien, in der Regel nur als Commissionär betheiligt. So blühte die Lcinwand-
industrie ohne große Capitalien in einer Hand, es hing an jedem Schock fertiger
Leinwand ein Bruchtheil der Existenz von fünf bis sechs selbstständigen Haushal¬
tungen, der des Flachsbaners, des Flachs- nud Garnhändlers, des Spinners,
des Webers, des Bleichers und des Kaufmanns. Der Verkehr zwischen diesen
Allen hatte zwar wenig von den Formen, welche der moderne Socialismus vor¬
schreibt, war aber doch in so fern entschieden socialistisch, als das Ineinander¬
greifen der einzelnen Thätigkeiten ein sehr schnelles und geordnetes, der Privat-
vorthcil jedes Einzelnen gering, fast bis auf den Pfennig zu berechnen und ziem¬
lich gleichförmig war, von der Art, daß er bei mittelmäßiger Energie dem Flachs-
Händler, dem Spinner und Weber, so wie dem kaufmännischen Kommissionär das
Leben in einfachen Formen sicherte. Die Hilflosigkeit eines solchen Betriebes kam
zu Tage, als England in diesem Jahrhundert seine Maschinen baute und die
Linuenindnstrie mit großen Capitalien in Fabriken zu betreiben anfing. Die schle¬
sische Leinwand konnte die Concurrenz mit der englischen nicht aushalten, und die
Bekanntschaft mit der Baumwolle und ihren Twisten verführte den speculirenden
Händler von seinen Webern verfälschte Waare schaffen zu lassen, wodurch die
schlesische Leinwand sich im Ausland vollends diScreditirtc. Von dem Augenblick
an brach das Verderben über die kleinen Dorfweber herein. Der Preis ihrer
Waare war gesunken und der schwache Kaufmann drückte sie mehr und mehr, weil
er selbst durch fremde Concurrenz gedrückt wurde; die alterthümlichen, unvollkom¬
menen Webstuhle wurden wnrmstichich und unbrauchbar, es fehlte diesen Kindern
des Volkes sowohl an Mitteln, sich bessere zu schassen, als mich an Intelligenz
und gutem Willen. Die frühere bessere Lage hatte unter ihnen einen Kastengeist,
einen Stolz auf ihr Handwerk hervorgerufen, jetzt machte sie die Erinnerung daran
störrisch und unzugänglich für Neuerungen, sie nannten sich "freie Weber" und
verachteten den Landbauer und Fabrikarbeiter. Und doch brachte steigende Verar¬
mung die nachtheiligen Folgen der sitzenden Lebensweise an ihnen auf erschreckende
Weise zu Tage. Ihre ganze Sippschaft kam in einen Zustand von Physischer und
Moralischer Schwäche, der körperliche Mißbildungen, Krankheiten und ein jammer-
volles scrvph ulöses Aussehe" zur Folge hatte. Nur wenige junge Männer aus
den Weberdörfern sind jetzt noch fähig ihre Militärjahre abzudienen. So ist hie


gesponnen zu den Wochenmärkten der Kreisstädte von den Landbauern selbst oder
von kleinen Flachshändlern oder den Spinnern gebracht, stets fand der Weber
das Material in unmittelbarer Nähe. Seine Waare ließ er vom Bleicher ent¬
weder gegen Lohn bleichen, oder er trug sie roh auf den Markt und verkaufte
sie an die Handelsleute seiner Gegend. Nur der geringere Theil der Leinwand
wurde im Lande selbst verbraucht, der größere ging zu Lande nach Polen und
Nußland, oder durch die Seestädte nach Spanien und den südamerikanischen Ko¬
lonien. Der schlesische Kaufmann war bei diesem Handel selten mit eigenen Capi¬
talien, in der Regel nur als Commissionär betheiligt. So blühte die Lcinwand-
industrie ohne große Capitalien in einer Hand, es hing an jedem Schock fertiger
Leinwand ein Bruchtheil der Existenz von fünf bis sechs selbstständigen Haushal¬
tungen, der des Flachsbaners, des Flachs- nud Garnhändlers, des Spinners,
des Webers, des Bleichers und des Kaufmanns. Der Verkehr zwischen diesen
Allen hatte zwar wenig von den Formen, welche der moderne Socialismus vor¬
schreibt, war aber doch in so fern entschieden socialistisch, als das Ineinander¬
greifen der einzelnen Thätigkeiten ein sehr schnelles und geordnetes, der Privat-
vorthcil jedes Einzelnen gering, fast bis auf den Pfennig zu berechnen und ziem¬
lich gleichförmig war, von der Art, daß er bei mittelmäßiger Energie dem Flachs-
Händler, dem Spinner und Weber, so wie dem kaufmännischen Kommissionär das
Leben in einfachen Formen sicherte. Die Hilflosigkeit eines solchen Betriebes kam
zu Tage, als England in diesem Jahrhundert seine Maschinen baute und die
Linuenindnstrie mit großen Capitalien in Fabriken zu betreiben anfing. Die schle¬
sische Leinwand konnte die Concurrenz mit der englischen nicht aushalten, und die
Bekanntschaft mit der Baumwolle und ihren Twisten verführte den speculirenden
Händler von seinen Webern verfälschte Waare schaffen zu lassen, wodurch die
schlesische Leinwand sich im Ausland vollends diScreditirtc. Von dem Augenblick
an brach das Verderben über die kleinen Dorfweber herein. Der Preis ihrer
Waare war gesunken und der schwache Kaufmann drückte sie mehr und mehr, weil
er selbst durch fremde Concurrenz gedrückt wurde; die alterthümlichen, unvollkom¬
menen Webstuhle wurden wnrmstichich und unbrauchbar, es fehlte diesen Kindern
des Volkes sowohl an Mitteln, sich bessere zu schassen, als mich an Intelligenz
und gutem Willen. Die frühere bessere Lage hatte unter ihnen einen Kastengeist,
einen Stolz auf ihr Handwerk hervorgerufen, jetzt machte sie die Erinnerung daran
störrisch und unzugänglich für Neuerungen, sie nannten sich „freie Weber" und
verachteten den Landbauer und Fabrikarbeiter. Und doch brachte steigende Verar¬
mung die nachtheiligen Folgen der sitzenden Lebensweise an ihnen auf erschreckende
Weise zu Tage. Ihre ganze Sippschaft kam in einen Zustand von Physischer und
Moralischer Schwäche, der körperliche Mißbildungen, Krankheiten und ein jammer-
volles scrvph ulöses Aussehe» zur Folge hatte. Nur wenige junge Männer aus
den Weberdörfern sind jetzt noch fähig ihre Militärjahre abzudienen. So ist hie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/95>, abgerufen am 23.07.2024.