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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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betrachtet, mußte man ihn bedauern; er hatte einen romantischen Sireich gespielt,
war der Leidenschaft seines Herzens gefolgt; es wäre hart gewesen, ihn deswegen
zu einer diffamirenden Strafe verurtheilt zu sehn und man möchte nur beklagen,
daß die Jury ihren Ausspruch nicht auf das moralische Gefühl, sondern aus ra¬
bulistische Rcchtskünste stutzte.

Aber seine richterliche Ehre war verloren. Ich setze den Fall, Oppenheim
wäre an Waldecks Statt gewesen, so hätte gewiß, wäre nur ein Funken der alt¬
preußischen Ehre in der Brust der Mitglieder des Geheimen Obertribunalö ge¬
blieben, das gesammte Kollegium erklärt, mit einem auf diese Weise freigesprvche-
uen können wir in dein höchsten Gerichtshof des Staats nicht ferner zusammen
sitzen -- eine formell uugiltige Erklärung, so lange das moralische Bewußtsein
des Nichterstandes nicht in der Form eines Gerichts constituirt war, der aber die
gesammte Nation Beifall zugerufen hätte.

Also nicht die Form, in welcher die Ansichten jener Gerichtshöfe in Bezug
auf ihre politisch compromittirten Mitglieder sich äußerten, ist es, was ihnen den
gehässigen Character gibt. Wir müssen vielmehr auf ihren Inhalt eingehn. Se¬
hen wir zunächst auf das Circularschreiben des Justizministers Ninteleu.

Es wird in demselben zunächst die Nothwendigkeit ausgesprochen, gegen die
Vergebung der Justizbeamten mindestens ebenso strenge einzuschreiten, als gegen
das, was Andere verbrochen. Dagegen läßt sich nichts einwenden. Weiter wird
auseinandergesetzt, es sei einer der verderblichsten Irrthümer unserer Tage, daß
man durch die Märzerrungenschaften die frühern strafrechtlichen Bestimmungen min¬
destens in Bezug auf politische Vergehungen, als ausgehoben betrachte. Hier zeigt
sich deutlich der Abstand des formalen und des materiellen Rechts.

Nach formellem Recht war freilich das Rumpfparlament nach der von der
Krone ausgesprochenen Vertagung mir noch als ein Club von Privatmännern an¬
zusehen, und sein Beschluß der Steuerverweigerung fällt in die Kategorie der
"Aufreizung zur Unzufriedenheit" oder vielleicht gar des Hochverraths. Sämmt¬
liche Deputirte, die an demselben Theil nahmen, würden daher dem Criminalge-
richt verfalle".

Dieses formale Recht wäre das materielle Unrecht. Wir haben die Verkehrt¬
heiten dieser unglückseligen preußischen Constituante in einer Zeit, als noch ein
großer Theil der Presse, der jetzt in die loyale Lärmposanne stößt, für sie schwärmte,
mit möglichster Rücksichtslosigkeit angegriffen. Wir müssen es aber ebenso scharf
aussprechen, daß sie im guten Glauben war, in ihrem Rechte zu sei". In einer
Zeit des allgemeinen Schwindels, wo anch der nüchternste Philister aus der fried¬
lichen Unschuld seines Caminfeuers hcrauSgeschreckt wird, wo der Rausch contagiös
wirkt, ohne Verschulde" des Einzelnen, in einer solchen Zeit ist es das Uebermaß
der Verkehrtheit, die absolute Herrschaft des formalen Rechtes geltend machen zu
wollen. Zwei politische Parteien haben um die Herrschaft gekämpft, wenn nnn


betrachtet, mußte man ihn bedauern; er hatte einen romantischen Sireich gespielt,
war der Leidenschaft seines Herzens gefolgt; es wäre hart gewesen, ihn deswegen
zu einer diffamirenden Strafe verurtheilt zu sehn und man möchte nur beklagen,
daß die Jury ihren Ausspruch nicht auf das moralische Gefühl, sondern aus ra¬
bulistische Rcchtskünste stutzte.

Aber seine richterliche Ehre war verloren. Ich setze den Fall, Oppenheim
wäre an Waldecks Statt gewesen, so hätte gewiß, wäre nur ein Funken der alt¬
preußischen Ehre in der Brust der Mitglieder des Geheimen Obertribunalö ge¬
blieben, das gesammte Kollegium erklärt, mit einem auf diese Weise freigesprvche-
uen können wir in dein höchsten Gerichtshof des Staats nicht ferner zusammen
sitzen — eine formell uugiltige Erklärung, so lange das moralische Bewußtsein
des Nichterstandes nicht in der Form eines Gerichts constituirt war, der aber die
gesammte Nation Beifall zugerufen hätte.

Also nicht die Form, in welcher die Ansichten jener Gerichtshöfe in Bezug
auf ihre politisch compromittirten Mitglieder sich äußerten, ist es, was ihnen den
gehässigen Character gibt. Wir müssen vielmehr auf ihren Inhalt eingehn. Se¬
hen wir zunächst auf das Circularschreiben des Justizministers Ninteleu.

Es wird in demselben zunächst die Nothwendigkeit ausgesprochen, gegen die
Vergebung der Justizbeamten mindestens ebenso strenge einzuschreiten, als gegen
das, was Andere verbrochen. Dagegen läßt sich nichts einwenden. Weiter wird
auseinandergesetzt, es sei einer der verderblichsten Irrthümer unserer Tage, daß
man durch die Märzerrungenschaften die frühern strafrechtlichen Bestimmungen min¬
destens in Bezug auf politische Vergehungen, als ausgehoben betrachte. Hier zeigt
sich deutlich der Abstand des formalen und des materiellen Rechts.

Nach formellem Recht war freilich das Rumpfparlament nach der von der
Krone ausgesprochenen Vertagung mir noch als ein Club von Privatmännern an¬
zusehen, und sein Beschluß der Steuerverweigerung fällt in die Kategorie der
„Aufreizung zur Unzufriedenheit" oder vielleicht gar des Hochverraths. Sämmt¬
liche Deputirte, die an demselben Theil nahmen, würden daher dem Criminalge-
richt verfalle».

Dieses formale Recht wäre das materielle Unrecht. Wir haben die Verkehrt¬
heiten dieser unglückseligen preußischen Constituante in einer Zeit, als noch ein
großer Theil der Presse, der jetzt in die loyale Lärmposanne stößt, für sie schwärmte,
mit möglichster Rücksichtslosigkeit angegriffen. Wir müssen es aber ebenso scharf
aussprechen, daß sie im guten Glauben war, in ihrem Rechte zu sei». In einer
Zeit des allgemeinen Schwindels, wo anch der nüchternste Philister aus der fried¬
lichen Unschuld seines Caminfeuers hcrauSgeschreckt wird, wo der Rausch contagiös
wirkt, ohne Verschulde» des Einzelnen, in einer solchen Zeit ist es das Uebermaß
der Verkehrtheit, die absolute Herrschaft des formalen Rechtes geltend machen zu
wollen. Zwei politische Parteien haben um die Herrschaft gekämpft, wenn nnn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/69>, abgerufen am 23.07.2024.