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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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fortleben Einfluß einzelner Vorgesetzten sicher zu stellen, würde nur baun stichhal¬
tig sein, wenn deu letzteren auch aus die Besetzung der Richterstellen kein Einfluß
verstattet würde. Der Grundsatz der Anciennität ist dann auch in Preußen we¬
nigstens annäherungsweise angewendet worden, und man hat nur mit den Präsiden-
reustellen eine Ausnahme gemacht. Man geht von der Voraussetzung aus, daß es
bei dem Richter weniger ans eine besondere Befähigung, als ans Gewissenhaftig¬
keit ankommt. Die Brauchbarkeit des Verwaltungsbeamten unterliegt der Kritik
seines Vorgesetzten; die Gewissenhaftigkeit des Richters darf aber nnr dem rich¬
terlichen Urtheil anheimgestellt werden, weil sonst die Entscheidung der subjectiven
Willkür anheimfällt. Ein Grundsatz, der richtig ist, wenn man ihn nur nicht
zu enge saßt.

Die "öffentliche Meinung", die sich auch in dem vorstehenden Votum aus¬
spricht, wird mir es verübeln, wenn ich von einem Ehrengericht anch im Rich¬
terstande spreche, wenn ich also auch hier eine besondere Standesehre geltend
mache. Man hat namentlich gegen die militärischen Ehrengerichte geeifert, an¬
geblich, weil der eine Stand keine besondere Ehre sür sich in Anspruch nehmen
dürfe, der That nach aber nur, weil man den politischen Einfluß des vsprit alö
cori,8 auf die einzelnen Mitglieder aufheben wollte. Und doch spricht die ein¬
fachste Reflexion für diese besondere Ehre. Kein Gericht wird ein beliebiges In¬
dividuum wegen Feigheit bestrafen, aber wer wollte einem Officier vielleicht in
bedenklichen Zeiten, wo die Unentschlossenheit Eines Menschen eine ganze Armee
ins Verderben stürzen kann, die Führung eines Trupps anvertrauen, der sich
notorisch feige benommen hat! Wer wollte in der preußischen Armee einen Officier
dulden, der mit Communisten die Schlacht bei Jena feiert! Und wem soll ein
Urtheil darüber zuflehn, als einem Geschwornengericht von Standesgenossen? --
Aber sie werden vielleicht aus andern Motiven das Urtheil sprechen, als aus deu
angegebenen des Rechts! Hier, mein guter Jurist, wendet sich eure eigne Waffe
gegen euch: nie darf man das formelle Recht antasten, in der Mei¬
nung, es könne mit dem materiellen Recht nicht zusammentreffen.

Bei dem Nichterstande ist es eigentlich noch weit evidenter, als beim Militär,
daß hier von einer noch ganz besonderen Standesehre die Rede sein müsse. Das
angeführte Beispiel, die bekannte Oppenheimsche Geschichte, ist schlagend genug.
Herr Oppenheim setzte sich heimlich in den Besitz einer Cassette, in welcher Geld
und Geldeswerth vorhanden war, um von einzelnen Papieren in derselben Ge¬
brauch zu machen, der sich zum Theil gleichfalls aus pecuniäre Interessen bezog.
Die Jury, vor welche er gestellt wurde, sprach ihn frei, mit den Worten Pistol's:
"Stehlen! Pfuy! Aneignen nennt es der Gebildete!" Sein weniger compro-
mitlirtcr Mitschuldige wurde bald darauf ebenfalls von einer Jury wegen Dieb¬
stahls verurtheilt.

Die bürgerliche Ehre des Angeschuldigten war damit hergestellt. Menschlich


fortleben Einfluß einzelner Vorgesetzten sicher zu stellen, würde nur baun stichhal¬
tig sein, wenn deu letzteren auch aus die Besetzung der Richterstellen kein Einfluß
verstattet würde. Der Grundsatz der Anciennität ist dann auch in Preußen we¬
nigstens annäherungsweise angewendet worden, und man hat nur mit den Präsiden-
reustellen eine Ausnahme gemacht. Man geht von der Voraussetzung aus, daß es
bei dem Richter weniger ans eine besondere Befähigung, als ans Gewissenhaftig¬
keit ankommt. Die Brauchbarkeit des Verwaltungsbeamten unterliegt der Kritik
seines Vorgesetzten; die Gewissenhaftigkeit des Richters darf aber nnr dem rich¬
terlichen Urtheil anheimgestellt werden, weil sonst die Entscheidung der subjectiven
Willkür anheimfällt. Ein Grundsatz, der richtig ist, wenn man ihn nur nicht
zu enge saßt.

Die „öffentliche Meinung", die sich auch in dem vorstehenden Votum aus¬
spricht, wird mir es verübeln, wenn ich von einem Ehrengericht anch im Rich¬
terstande spreche, wenn ich also auch hier eine besondere Standesehre geltend
mache. Man hat namentlich gegen die militärischen Ehrengerichte geeifert, an¬
geblich, weil der eine Stand keine besondere Ehre sür sich in Anspruch nehmen
dürfe, der That nach aber nur, weil man den politischen Einfluß des vsprit alö
cori,8 auf die einzelnen Mitglieder aufheben wollte. Und doch spricht die ein¬
fachste Reflexion für diese besondere Ehre. Kein Gericht wird ein beliebiges In¬
dividuum wegen Feigheit bestrafen, aber wer wollte einem Officier vielleicht in
bedenklichen Zeiten, wo die Unentschlossenheit Eines Menschen eine ganze Armee
ins Verderben stürzen kann, die Führung eines Trupps anvertrauen, der sich
notorisch feige benommen hat! Wer wollte in der preußischen Armee einen Officier
dulden, der mit Communisten die Schlacht bei Jena feiert! Und wem soll ein
Urtheil darüber zuflehn, als einem Geschwornengericht von Standesgenossen? —
Aber sie werden vielleicht aus andern Motiven das Urtheil sprechen, als aus deu
angegebenen des Rechts! Hier, mein guter Jurist, wendet sich eure eigne Waffe
gegen euch: nie darf man das formelle Recht antasten, in der Mei¬
nung, es könne mit dem materiellen Recht nicht zusammentreffen.

Bei dem Nichterstande ist es eigentlich noch weit evidenter, als beim Militär,
daß hier von einer noch ganz besonderen Standesehre die Rede sein müsse. Das
angeführte Beispiel, die bekannte Oppenheimsche Geschichte, ist schlagend genug.
Herr Oppenheim setzte sich heimlich in den Besitz einer Cassette, in welcher Geld
und Geldeswerth vorhanden war, um von einzelnen Papieren in derselben Ge¬
brauch zu machen, der sich zum Theil gleichfalls aus pecuniäre Interessen bezog.
Die Jury, vor welche er gestellt wurde, sprach ihn frei, mit den Worten Pistol's:
„Stehlen! Pfuy! Aneignen nennt es der Gebildete!" Sein weniger compro-
mitlirtcr Mitschuldige wurde bald darauf ebenfalls von einer Jury wegen Dieb¬
stahls verurtheilt.

Die bürgerliche Ehre des Angeschuldigten war damit hergestellt. Menschlich


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[0068] fortleben Einfluß einzelner Vorgesetzten sicher zu stellen, würde nur baun stichhal¬ tig sein, wenn deu letzteren auch aus die Besetzung der Richterstellen kein Einfluß verstattet würde. Der Grundsatz der Anciennität ist dann auch in Preußen we¬ nigstens annäherungsweise angewendet worden, und man hat nur mit den Präsiden- reustellen eine Ausnahme gemacht. Man geht von der Voraussetzung aus, daß es bei dem Richter weniger ans eine besondere Befähigung, als ans Gewissenhaftig¬ keit ankommt. Die Brauchbarkeit des Verwaltungsbeamten unterliegt der Kritik seines Vorgesetzten; die Gewissenhaftigkeit des Richters darf aber nnr dem rich¬ terlichen Urtheil anheimgestellt werden, weil sonst die Entscheidung der subjectiven Willkür anheimfällt. Ein Grundsatz, der richtig ist, wenn man ihn nur nicht zu enge saßt. Die „öffentliche Meinung", die sich auch in dem vorstehenden Votum aus¬ spricht, wird mir es verübeln, wenn ich von einem Ehrengericht anch im Rich¬ terstande spreche, wenn ich also auch hier eine besondere Standesehre geltend mache. Man hat namentlich gegen die militärischen Ehrengerichte geeifert, an¬ geblich, weil der eine Stand keine besondere Ehre sür sich in Anspruch nehmen dürfe, der That nach aber nur, weil man den politischen Einfluß des vsprit alö cori,8 auf die einzelnen Mitglieder aufheben wollte. Und doch spricht die ein¬ fachste Reflexion für diese besondere Ehre. Kein Gericht wird ein beliebiges In¬ dividuum wegen Feigheit bestrafen, aber wer wollte einem Officier vielleicht in bedenklichen Zeiten, wo die Unentschlossenheit Eines Menschen eine ganze Armee ins Verderben stürzen kann, die Führung eines Trupps anvertrauen, der sich notorisch feige benommen hat! Wer wollte in der preußischen Armee einen Officier dulden, der mit Communisten die Schlacht bei Jena feiert! Und wem soll ein Urtheil darüber zuflehn, als einem Geschwornengericht von Standesgenossen? — Aber sie werden vielleicht aus andern Motiven das Urtheil sprechen, als aus deu angegebenen des Rechts! Hier, mein guter Jurist, wendet sich eure eigne Waffe gegen euch: nie darf man das formelle Recht antasten, in der Mei¬ nung, es könne mit dem materiellen Recht nicht zusammentreffen. Bei dem Nichterstande ist es eigentlich noch weit evidenter, als beim Militär, daß hier von einer noch ganz besonderen Standesehre die Rede sein müsse. Das angeführte Beispiel, die bekannte Oppenheimsche Geschichte, ist schlagend genug. Herr Oppenheim setzte sich heimlich in den Besitz einer Cassette, in welcher Geld und Geldeswerth vorhanden war, um von einzelnen Papieren in derselben Ge¬ brauch zu machen, der sich zum Theil gleichfalls aus pecuniäre Interessen bezog. Die Jury, vor welche er gestellt wurde, sprach ihn frei, mit den Worten Pistol's: „Stehlen! Pfuy! Aneignen nennt es der Gebildete!" Sein weniger compro- mitlirtcr Mitschuldige wurde bald darauf ebenfalls von einer Jury wegen Dieb¬ stahls verurtheilt. Die bürgerliche Ehre des Angeschuldigten war damit hergestellt. Menschlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/68>, abgerufen am 23.12.2024.