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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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wie sie nur ein Richterspruch haben soll. Das Falsche das in den Schritten selbst
liegt, hat denn auch die Gerichtshöfe zu ganz haltlosen und unausführbaren An¬
trägen verleitet. Von dem unschuldigen Verlangen des Oberlandcsgerichts zu Ra-
tibor an den Justizminister, "etwaige Anträge des Herrn v. Kirchmann aus einen
andern Wirkungskreis zu berücksichtigen" wollen wir hier nicht weiter reden. Das
Oberlandesgericht zu Münster bittet Sr. Majestät, "es außer aller amtlichen Bezie¬
hung zu dem Director zu setzen." Wie kommt das gedachte Oberlandesgericht, wie
kommt dieser Träger der Gesetze dazu, um etwas zu bitten, was doch bekanntlich
über die Grenzen der gesetzlichen Befugnisse der Krone hinausgeht! Am konse-
quentesten ist noch das Oberlandesgericht zu Bromberg, welches wenigstens mit einem
Eventnaliter den einzigen möglichen und praktischen Weg zum Ziele einschlägt,
und uicht davor zurückschreckt, die Einleitung der Untersuchung gegen Gierke zu
beantragen. Schon der einzige Umstand, daß dieses Kollegium bereits früher
(und damals, wie wir zugestehen, nicht ganz ohne Grund) gegen die Ernennung
Gierke's zum Präsidenten protestirt hat, hätte es abhalten sollen, einen solchen Schritt
während des Bestandes eines Ministeriums zu thun, dem Gierke als Abgeordneter
mit seinen politischen Freunden im Kampfe erlegen ist. Das Unedle, das hierin
liegt, führt zu der Vermuthung, daß der "Hochverrath", den Gierke begangen
hat weniger in seinem politischen Verhalten, als darin liegt, daß er Präsident
eines Kollegiums geworden ist, dessen jüngstes Mitglied er wohl sein dürste. Dem
Präsidenten Muster, welcher wiederholt im Namen des Geheimen Obertribunals
an ihn das Verlangen gestellt hat, sich von den Sitzungen des Kollegiums fern
zu halten, hat Waldeck bereits in einer würdigen Sprache geantwortet. Wir ru¬
fen Waldeck unsre laute Beistimmung zu, daß er "im Interesse des ganzen Volks,
der Natioualvcrtrcter und des Nichterstandes" jene Zumuthungen unberücksichtigt
lassen und seine amtlichen Functionen unbehindert wahrnehmen wird. Ein Glei¬
ches mögen die andern angegriffenen Männer thun. Mit Recht hebt auch Wal¬
deck unter Hinweisung auf das Beispiel des französischen CassativnShofs die Noth¬
wendigkeit hervor, daß in den Gerichtshöfen die verschiedenartigsten politischen
Ansichten vertreten sein müssen. Nur in dem Kampfe verschiedenartiger Kräfte
wird Recht und Wahrheit zu Tage gefördert, und wir für unser Theil glauben,
daß das Volk viel mehr Vertrauen zu euch, ihr Gerichtshöfe, haben wird, wenn
auch solche Männer unter euch sitzen, als wenn eure Mitglieder alle ein und die¬
selbe uniformirte politische Ueberzeugung hätten. Die Angegriffenen werden aller
Wahrscheinlichkeit nach bald in ein Kollegium berufen werden, das, ohne eurem
Ansehn zu nahe zu treten, denn doch wichtiger und erhabener ist, als ihr -- in
die neu zu wählende Nationalversammlung. Die ganze Nation muß es sich ge¬
fallen lassen, daß diese Männer, so arge politische Sünder sie anch sein mögen,
über ihre höchsten und wichtigsten Angelegenheiten ein, vielleicht nicht uubedeutsames


wie sie nur ein Richterspruch haben soll. Das Falsche das in den Schritten selbst
liegt, hat denn auch die Gerichtshöfe zu ganz haltlosen und unausführbaren An¬
trägen verleitet. Von dem unschuldigen Verlangen des Oberlandcsgerichts zu Ra-
tibor an den Justizminister, „etwaige Anträge des Herrn v. Kirchmann aus einen
andern Wirkungskreis zu berücksichtigen" wollen wir hier nicht weiter reden. Das
Oberlandesgericht zu Münster bittet Sr. Majestät, „es außer aller amtlichen Bezie¬
hung zu dem Director zu setzen." Wie kommt das gedachte Oberlandesgericht, wie
kommt dieser Träger der Gesetze dazu, um etwas zu bitten, was doch bekanntlich
über die Grenzen der gesetzlichen Befugnisse der Krone hinausgeht! Am konse-
quentesten ist noch das Oberlandesgericht zu Bromberg, welches wenigstens mit einem
Eventnaliter den einzigen möglichen und praktischen Weg zum Ziele einschlägt,
und uicht davor zurückschreckt, die Einleitung der Untersuchung gegen Gierke zu
beantragen. Schon der einzige Umstand, daß dieses Kollegium bereits früher
(und damals, wie wir zugestehen, nicht ganz ohne Grund) gegen die Ernennung
Gierke's zum Präsidenten protestirt hat, hätte es abhalten sollen, einen solchen Schritt
während des Bestandes eines Ministeriums zu thun, dem Gierke als Abgeordneter
mit seinen politischen Freunden im Kampfe erlegen ist. Das Unedle, das hierin
liegt, führt zu der Vermuthung, daß der „Hochverrath", den Gierke begangen
hat weniger in seinem politischen Verhalten, als darin liegt, daß er Präsident
eines Kollegiums geworden ist, dessen jüngstes Mitglied er wohl sein dürste. Dem
Präsidenten Muster, welcher wiederholt im Namen des Geheimen Obertribunals
an ihn das Verlangen gestellt hat, sich von den Sitzungen des Kollegiums fern
zu halten, hat Waldeck bereits in einer würdigen Sprache geantwortet. Wir ru¬
fen Waldeck unsre laute Beistimmung zu, daß er „im Interesse des ganzen Volks,
der Natioualvcrtrcter und des Nichterstandes" jene Zumuthungen unberücksichtigt
lassen und seine amtlichen Functionen unbehindert wahrnehmen wird. Ein Glei¬
ches mögen die andern angegriffenen Männer thun. Mit Recht hebt auch Wal¬
deck unter Hinweisung auf das Beispiel des französischen CassativnShofs die Noth¬
wendigkeit hervor, daß in den Gerichtshöfen die verschiedenartigsten politischen
Ansichten vertreten sein müssen. Nur in dem Kampfe verschiedenartiger Kräfte
wird Recht und Wahrheit zu Tage gefördert, und wir für unser Theil glauben,
daß das Volk viel mehr Vertrauen zu euch, ihr Gerichtshöfe, haben wird, wenn
auch solche Männer unter euch sitzen, als wenn eure Mitglieder alle ein und die¬
selbe uniformirte politische Ueberzeugung hätten. Die Angegriffenen werden aller
Wahrscheinlichkeit nach bald in ein Kollegium berufen werden, das, ohne eurem
Ansehn zu nahe zu treten, denn doch wichtiger und erhabener ist, als ihr — in
die neu zu wählende Nationalversammlung. Die ganze Nation muß es sich ge¬
fallen lassen, daß diese Männer, so arge politische Sünder sie anch sein mögen,
über ihre höchsten und wichtigsten Angelegenheiten ein, vielleicht nicht uubedeutsames


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/59>, abgerufen am 23.07.2024.