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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gibt es dann noch"'ein Anderes, was die Richter fort und fort absetzen wird,
nämlich die einseitige politische oder sittliche Anschauung ihrer Standesgenossen,
eine Vehme, die in der That noch viel mehr zu fürchten ist, als das früher
zulässige Maßregeln im Verwaltungswege. Hier gab es denn doch gewisse
Grenzen, hier entschieden wenigstens in Eid und Pflicht genommene Beamte nach
gewissen Regel". Allein eine solche Aechtung ihrer Mitglieder, wie sie jetzt von
den vier Gerichtshöfen versucht wird, hat gar keine Schranke; die sällt ganz in
das unendliche Meer subjectiver Willkür. Das aber ist der Charakter unsrer Zeit,
baß wir eine solche Willkür, die sich bei sehr ehrenwerthen Leuten in's Ungeheuer¬
liche verirren kann, überall verbannen, daß wir an ihre Stelle allgemein giltige,
handgreifliche Normen und Regeln setzen wolle". Reichen diese einmal nicht aus,
ein moralisch auch noch so verderbliches Handeln zur Strafe zu ziehen, so darf
man nicht dagegen ankämpfen, und hat sich, eingedenk, daß es bei dem Bestände
wahrer Freiheit immer einen großen, freien Spielraum zwischen Gut und Böse
geben wird, welcher sich der Einwirkung des Gesetzes entzieht, bei der Unzuläng¬
lichkeit dieser Normen und Regeln als Glied des Ganzen in Demuth zu beru¬
higen. Es ist kein Unglück, wenn nicht jede unsittliche Handlung ihre Strafe
findet, aber ein Unglück ist es, wenn auch nur die Möglichkeit da ist, daß irgend
Jemand politischer Leidenschaft oder moralischer Bornüthcit zum Opfer fallen kann;
ein Unglück ist es, sowohl für das ganze Volk, als für den Richterstand selbst,
wenn dem Richter das Gefühl geraubt wird, daß er keine andere Richtschnur zu
befolgen hat, als die, welche der Gesammtwille im Gesetze vorgezeichnet, wenn
er neben dieser noch eine andere ungreif- und unsichtbare, verschwimmende Richt¬
schnur befolgen soll.

Vou diesem Standpunkt ans fanden wir es höchst tadelnswert!), als vor
mehre" Jahren die KammcrgcrichtSasscssoreu Schritte thaten, um ihren College" Op¬
penheim -- nachdem derselbe in seinem bekannten Processe vor der Jury zu Köln
freigesprochen war -- zum Austritt aus dem Justizdicnst zu veranlassen. Wo gibt
es eine Instanz, die zu entscheiden wagt, ob das formelle Recht, welches ein Rich-
terspruch gibt, zugleich auch materielles Recht ist? Und weil es keine gibt, darum
habe" wir das formelle Recht in Rücksicht aller äußern Folgen stets so zu achten,
als ob es das einzig richtige materielle Recht wäre. Die Assisen zu Köln hatten
entschieden, daß Oppenheim kein Dieb war, und wenn die Kainnrergerichtsassesso-
rc" glaubten, daß ihr Landrecht sie ein Anderes lehre, oder, daß Oppenheim
sich sonst unehrenhaft benommen habe, so mußten sie doch die Folgen jenes Rich-
terspruchs wenigstens so weit anerkennen, daß sie in keiner Weise die äußere
Stellung ihres Kollegen anzutasten wagten. Sie fehlten, indem sie ihre subjec-
tive Ueberzeugung höher stellten als einen bereits ergangenen Richterspruch.
Jetzt haben die genannte" Gerichtshöfe gefehlt, indem sie ohne einen Richter-
spruch abzuwarten, durch moralischen Zwang eine Wirkung hervorbringen wollen,


gibt es dann noch"'ein Anderes, was die Richter fort und fort absetzen wird,
nämlich die einseitige politische oder sittliche Anschauung ihrer Standesgenossen,
eine Vehme, die in der That noch viel mehr zu fürchten ist, als das früher
zulässige Maßregeln im Verwaltungswege. Hier gab es denn doch gewisse
Grenzen, hier entschieden wenigstens in Eid und Pflicht genommene Beamte nach
gewissen Regel». Allein eine solche Aechtung ihrer Mitglieder, wie sie jetzt von
den vier Gerichtshöfen versucht wird, hat gar keine Schranke; die sällt ganz in
das unendliche Meer subjectiver Willkür. Das aber ist der Charakter unsrer Zeit,
baß wir eine solche Willkür, die sich bei sehr ehrenwerthen Leuten in's Ungeheuer¬
liche verirren kann, überall verbannen, daß wir an ihre Stelle allgemein giltige,
handgreifliche Normen und Regeln setzen wolle». Reichen diese einmal nicht aus,
ein moralisch auch noch so verderbliches Handeln zur Strafe zu ziehen, so darf
man nicht dagegen ankämpfen, und hat sich, eingedenk, daß es bei dem Bestände
wahrer Freiheit immer einen großen, freien Spielraum zwischen Gut und Böse
geben wird, welcher sich der Einwirkung des Gesetzes entzieht, bei der Unzuläng¬
lichkeit dieser Normen und Regeln als Glied des Ganzen in Demuth zu beru¬
higen. Es ist kein Unglück, wenn nicht jede unsittliche Handlung ihre Strafe
findet, aber ein Unglück ist es, wenn auch nur die Möglichkeit da ist, daß irgend
Jemand politischer Leidenschaft oder moralischer Bornüthcit zum Opfer fallen kann;
ein Unglück ist es, sowohl für das ganze Volk, als für den Richterstand selbst,
wenn dem Richter das Gefühl geraubt wird, daß er keine andere Richtschnur zu
befolgen hat, als die, welche der Gesammtwille im Gesetze vorgezeichnet, wenn
er neben dieser noch eine andere ungreif- und unsichtbare, verschwimmende Richt¬
schnur befolgen soll.

Vou diesem Standpunkt ans fanden wir es höchst tadelnswert!), als vor
mehre» Jahren die KammcrgcrichtSasscssoreu Schritte thaten, um ihren College» Op¬
penheim — nachdem derselbe in seinem bekannten Processe vor der Jury zu Köln
freigesprochen war — zum Austritt aus dem Justizdicnst zu veranlassen. Wo gibt
es eine Instanz, die zu entscheiden wagt, ob das formelle Recht, welches ein Rich-
terspruch gibt, zugleich auch materielles Recht ist? Und weil es keine gibt, darum
habe» wir das formelle Recht in Rücksicht aller äußern Folgen stets so zu achten,
als ob es das einzig richtige materielle Recht wäre. Die Assisen zu Köln hatten
entschieden, daß Oppenheim kein Dieb war, und wenn die Kainnrergerichtsassesso-
rc» glaubten, daß ihr Landrecht sie ein Anderes lehre, oder, daß Oppenheim
sich sonst unehrenhaft benommen habe, so mußten sie doch die Folgen jenes Rich-
terspruchs wenigstens so weit anerkennen, daß sie in keiner Weise die äußere
Stellung ihres Kollegen anzutasten wagten. Sie fehlten, indem sie ihre subjec-
tive Ueberzeugung höher stellten als einen bereits ergangenen Richterspruch.
Jetzt haben die genannte» Gerichtshöfe gefehlt, indem sie ohne einen Richter-
spruch abzuwarten, durch moralischen Zwang eine Wirkung hervorbringen wollen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/58>, abgerufen am 23.07.2024.