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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Verwirrung! Wer dich gesehen hat, östreichisch constitutioneller Reichstag im Jahre
184S, am 7. März, dich, auf welchen die Oestreicher noch vertrauten, welche die
Russen nicht brauchten, um frei, glorreich und machtvoll im Sonnenlichte europäischer
Großmächte dazustehen -- dem stürzt mehr als Ilium in Rauch und Trümmer!
Der Glaube an menschliche Besonnenheit und Mäßigung erstirbt uns im tiefsten
Busen, wenn wir mit solchem Hohn die Bevollmächtigten von 18 Millionen Men¬
schen, wie ein altes, elendes Möbel in den Winkel werfen und so ganz zwecklos
noch beschimpfen sehen! Als gäbe es keinen Tag nach dem 7. März für Oestreich,
kein Gedächtniß an die Tage des Jahres 1848 und den folgenden 7. März in
den Köpfen unserer Leute, keinen Platz auf den Seiten der Geschichte!

Als ob die Herren nicht ruhig und manierlich gegangen wären, wenn ihnen
auf anständige Weise die Eröffnung gemacht worden wäre! Und als ob sie hätten
anders gehen können in Kleinster, in dem gedankenlosesten, theilnahmlosen Städt¬
chen der Hanna!

Und nachdem Alles bereitet war, um einen Schimpf, eine bittere Rache in
die Herzen von 380 Vertretern und 20 Millionen Oestreichern zu senken, unver¬
geßlich für die nächsten Generationen hat man es ihnen auch auf den Druckpapieren
mitgegeben, es fliegt ihnen nach an alle Straßenecken, an alle Kirchenthüren, in
allen Zeitungen ohne Unterschied der Farbe, mit welcher Verachtung der östreichische
Reichstag vom Hofe behandelt wurde. Als leere Theorienmacher, jeden Rechtszu-
stand untergrabend und den verbrecherischen Umsturz ermunternd wird der Reichs¬
tag, nachdem man ihn unter manchem Bedenken eine Zeitlang geduldet, heimge¬
schickt mit halber Reiseentschüdigung und was zu fangen ist, ans Ansuchen des
Gouverneurs einer Stadt eingepackt! -- "Daß du es doch hättest erkennen wollen,
was dir deine Freunde gerathen haben -- und du selber gegangen wärest, das
Unvermeidliche mit festem Herzen rasch und ehrenvoll ergreifend!"

Lebe wohl, Stadt der Hanna. In dir hat der letzte Theil einer großen Tra¬
gödie Oestreichs gespielt, du hast es nicht gewußt. Deine Bürger werden klagen
über den plötzlich verlorenen Verdienst, über die 50,000 Gulden, welche ihnen
jeder Monat brachte, dann werden sie das gewonnene Geld zählen und anlegen,
und hin und wieder vom gestorbenen Reichstag schwatzen, endlich wird er eine
Sage werden für die Kinder, eine dunkle Erinnerung verschwundener, goldner
Zeit. Was vor einem Jahre der März in Wien mit den großen Glocken von
Se. Stephan ins Leben geläutet, das politische Leben des Vaterlandes, das trug
wieder der März in ländlicher Stille zu Grabe. Glockengeläut hat man keines
Schörl, unsre kleinen Dichter werden sagen, daß die weißen Märzglöckchen das
Traueramt besorgt haben. Es war ein kurzes Leben, voll herrlicher Träume und
unreifer Thaten! -

Lebe wohl, Stadt der Hanna. Wir sehn einander wohl schwerlich wieder.
Unsere Zukunft ist in Dunkel gehüllt. Mit dem Reichstag fliehen auch die Jour-


Verwirrung! Wer dich gesehen hat, östreichisch constitutioneller Reichstag im Jahre
184S, am 7. März, dich, auf welchen die Oestreicher noch vertrauten, welche die
Russen nicht brauchten, um frei, glorreich und machtvoll im Sonnenlichte europäischer
Großmächte dazustehen — dem stürzt mehr als Ilium in Rauch und Trümmer!
Der Glaube an menschliche Besonnenheit und Mäßigung erstirbt uns im tiefsten
Busen, wenn wir mit solchem Hohn die Bevollmächtigten von 18 Millionen Men¬
schen, wie ein altes, elendes Möbel in den Winkel werfen und so ganz zwecklos
noch beschimpfen sehen! Als gäbe es keinen Tag nach dem 7. März für Oestreich,
kein Gedächtniß an die Tage des Jahres 1848 und den folgenden 7. März in
den Köpfen unserer Leute, keinen Platz auf den Seiten der Geschichte!

Als ob die Herren nicht ruhig und manierlich gegangen wären, wenn ihnen
auf anständige Weise die Eröffnung gemacht worden wäre! Und als ob sie hätten
anders gehen können in Kleinster, in dem gedankenlosesten, theilnahmlosen Städt¬
chen der Hanna!

Und nachdem Alles bereitet war, um einen Schimpf, eine bittere Rache in
die Herzen von 380 Vertretern und 20 Millionen Oestreichern zu senken, unver¬
geßlich für die nächsten Generationen hat man es ihnen auch auf den Druckpapieren
mitgegeben, es fliegt ihnen nach an alle Straßenecken, an alle Kirchenthüren, in
allen Zeitungen ohne Unterschied der Farbe, mit welcher Verachtung der östreichische
Reichstag vom Hofe behandelt wurde. Als leere Theorienmacher, jeden Rechtszu-
stand untergrabend und den verbrecherischen Umsturz ermunternd wird der Reichs¬
tag, nachdem man ihn unter manchem Bedenken eine Zeitlang geduldet, heimge¬
schickt mit halber Reiseentschüdigung und was zu fangen ist, ans Ansuchen des
Gouverneurs einer Stadt eingepackt! — „Daß du es doch hättest erkennen wollen,
was dir deine Freunde gerathen haben — und du selber gegangen wärest, das
Unvermeidliche mit festem Herzen rasch und ehrenvoll ergreifend!"

Lebe wohl, Stadt der Hanna. In dir hat der letzte Theil einer großen Tra¬
gödie Oestreichs gespielt, du hast es nicht gewußt. Deine Bürger werden klagen
über den plötzlich verlorenen Verdienst, über die 50,000 Gulden, welche ihnen
jeder Monat brachte, dann werden sie das gewonnene Geld zählen und anlegen,
und hin und wieder vom gestorbenen Reichstag schwatzen, endlich wird er eine
Sage werden für die Kinder, eine dunkle Erinnerung verschwundener, goldner
Zeit. Was vor einem Jahre der März in Wien mit den großen Glocken von
Se. Stephan ins Leben geläutet, das politische Leben des Vaterlandes, das trug
wieder der März in ländlicher Stille zu Grabe. Glockengeläut hat man keines
Schörl, unsre kleinen Dichter werden sagen, daß die weißen Märzglöckchen das
Traueramt besorgt haben. Es war ein kurzes Leben, voll herrlicher Träume und
unreifer Thaten! -

Lebe wohl, Stadt der Hanna. Wir sehn einander wohl schwerlich wieder.
Unsere Zukunft ist in Dunkel gehüllt. Mit dem Reichstag fliehen auch die Jour-


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[0511] Verwirrung! Wer dich gesehen hat, östreichisch constitutioneller Reichstag im Jahre 184S, am 7. März, dich, auf welchen die Oestreicher noch vertrauten, welche die Russen nicht brauchten, um frei, glorreich und machtvoll im Sonnenlichte europäischer Großmächte dazustehen — dem stürzt mehr als Ilium in Rauch und Trümmer! Der Glaube an menschliche Besonnenheit und Mäßigung erstirbt uns im tiefsten Busen, wenn wir mit solchem Hohn die Bevollmächtigten von 18 Millionen Men¬ schen, wie ein altes, elendes Möbel in den Winkel werfen und so ganz zwecklos noch beschimpfen sehen! Als gäbe es keinen Tag nach dem 7. März für Oestreich, kein Gedächtniß an die Tage des Jahres 1848 und den folgenden 7. März in den Köpfen unserer Leute, keinen Platz auf den Seiten der Geschichte! Als ob die Herren nicht ruhig und manierlich gegangen wären, wenn ihnen auf anständige Weise die Eröffnung gemacht worden wäre! Und als ob sie hätten anders gehen können in Kleinster, in dem gedankenlosesten, theilnahmlosen Städt¬ chen der Hanna! Und nachdem Alles bereitet war, um einen Schimpf, eine bittere Rache in die Herzen von 380 Vertretern und 20 Millionen Oestreichern zu senken, unver¬ geßlich für die nächsten Generationen hat man es ihnen auch auf den Druckpapieren mitgegeben, es fliegt ihnen nach an alle Straßenecken, an alle Kirchenthüren, in allen Zeitungen ohne Unterschied der Farbe, mit welcher Verachtung der östreichische Reichstag vom Hofe behandelt wurde. Als leere Theorienmacher, jeden Rechtszu- stand untergrabend und den verbrecherischen Umsturz ermunternd wird der Reichs¬ tag, nachdem man ihn unter manchem Bedenken eine Zeitlang geduldet, heimge¬ schickt mit halber Reiseentschüdigung und was zu fangen ist, ans Ansuchen des Gouverneurs einer Stadt eingepackt! — „Daß du es doch hättest erkennen wollen, was dir deine Freunde gerathen haben — und du selber gegangen wärest, das Unvermeidliche mit festem Herzen rasch und ehrenvoll ergreifend!" Lebe wohl, Stadt der Hanna. In dir hat der letzte Theil einer großen Tra¬ gödie Oestreichs gespielt, du hast es nicht gewußt. Deine Bürger werden klagen über den plötzlich verlorenen Verdienst, über die 50,000 Gulden, welche ihnen jeder Monat brachte, dann werden sie das gewonnene Geld zählen und anlegen, und hin und wieder vom gestorbenen Reichstag schwatzen, endlich wird er eine Sage werden für die Kinder, eine dunkle Erinnerung verschwundener, goldner Zeit. Was vor einem Jahre der März in Wien mit den großen Glocken von Se. Stephan ins Leben geläutet, das politische Leben des Vaterlandes, das trug wieder der März in ländlicher Stille zu Grabe. Glockengeläut hat man keines Schörl, unsre kleinen Dichter werden sagen, daß die weißen Märzglöckchen das Traueramt besorgt haben. Es war ein kurzes Leben, voll herrlicher Träume und unreifer Thaten! - Lebe wohl, Stadt der Hanna. Wir sehn einander wohl schwerlich wieder. Unsere Zukunft ist in Dunkel gehüllt. Mit dem Reichstag fliehen auch die Jour-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/511>, abgerufen am 29.06.2024.