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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Aus Kremsier.



Ehe ich in die Klagen Hekuba's, als sie vom entweichenden Kiele Ilium in
Rauch und Trümmer sinken sah, mit aller Resignation eines Politikers aufbreche,
trete ich noch einmal vor das erzbischöfliche Palais, welches die Väter des Reiches,
wenigstens des West- und Nordreichcs von Oestreich mit jener Unsicherheit bewohn¬
ten, welche fürchtet, mit jedem Augenblicke in die unabsehbare Tiefe der Auflösung
zu stürzen, wo es zweifelhaft ist, wer von den Nixen eines neuen Wahlgesetzes nach
mehr monatlicher Ruhe wieder verklärt in die Höhe gehoben werden wird. Ich strecke
die Arme prophetisch aus über die gesegneten Fluren: "Kremsier, du hast das Heil
nicht erkannt, welches dir wiederfahren, du hast die Hände in den Schooß gelegt,
in welche das Geschick und die Ehre der östreichischen Volksthümlichkeit gelegt
ward! Du hast schnöden, eitlen Geldprofit gezogen aus unserer Schande! Und
dn konntest so viel thun!" -- Sie glauben vielleicht, ich rede irre, wenn ich dem
kleinen hanakischen Städtchen zumuthe, die Ehre Oestreichs zu retten, welche in
Prag, Mailand, Wien, Pesth, Krakau, Lemberg und Klausenburg von verschiedenen
Seiten nicht salvirt werden konnte! Aber ich stehe mit klarem unbeirrtem Verstand
vor dem erzbischöflichen Palais in Kremsier. Unser Unglück war, daß der Reichs¬
tag fortgeführt wurde von Wien, ans der Nähe von Menschenwohnungen und
Menschenherzen; in einer großen Stadt wäre Oestreich diese Schmach nicht wieder¬
fahren. Und dn, unglückliches Nest Kremsier, du barecht dich wehren sollen gegen
die Hicrherverlegnug des Reichstages! Du hättest die Wohnungsmiethe noch hun¬
dertmal höher steigern sollen, ja den Herren das Bier und Essen noch tausendfach
fehle.'leer bereiten sollen, als es ohnedies der Fall war; mittelst Luftzug und rau¬
chigen Oesen hättest du den Reichstag sammt dem Ministerium sprengen sollen,
ehe dn das zugabst in deinen Mauern!

Und nun, kaum mit dem Einpacken in Ordnung, dringt die Nachricht zu mir,
von der schmählichen, alle Grenzen der Höflichkeit mit rohem Uebermuthe übertre¬
tende" Entlassung Ausbrennung des östreichischen constitutionellen Reichstages,
welcher seit dem ersten Jänner an Ehre und Achtung gewann im Volke, durch die
freisinnigen Männer mit allen Hoffnungen und mit Vertrauensadressen belohnt
wurde! Der Reichstag ist von der Infanterie einiger Compagnien auf den Weg
gebracht worden, nämlich auf den Heimweg ! Die Polizeidiener Kremsiers sind zu
stolz, um den Herren in ihre Wohnung die Meldung zu bringen, mit den Plataeer
nur an die Ecken getreten, haben ihnen die Neuigkeit wie jedem Handwerksburschen
an die Cake der Straße gehängt und wie auf der Fnchsprelle hat man den gejag¬
ten Mitgliedern der Linken den Rauch angefacht, um sie zu erwischen in erster


Aus Kremsier.



Ehe ich in die Klagen Hekuba's, als sie vom entweichenden Kiele Ilium in
Rauch und Trümmer sinken sah, mit aller Resignation eines Politikers aufbreche,
trete ich noch einmal vor das erzbischöfliche Palais, welches die Väter des Reiches,
wenigstens des West- und Nordreichcs von Oestreich mit jener Unsicherheit bewohn¬
ten, welche fürchtet, mit jedem Augenblicke in die unabsehbare Tiefe der Auflösung
zu stürzen, wo es zweifelhaft ist, wer von den Nixen eines neuen Wahlgesetzes nach
mehr monatlicher Ruhe wieder verklärt in die Höhe gehoben werden wird. Ich strecke
die Arme prophetisch aus über die gesegneten Fluren: „Kremsier, du hast das Heil
nicht erkannt, welches dir wiederfahren, du hast die Hände in den Schooß gelegt,
in welche das Geschick und die Ehre der östreichischen Volksthümlichkeit gelegt
ward! Du hast schnöden, eitlen Geldprofit gezogen aus unserer Schande! Und
dn konntest so viel thun!" — Sie glauben vielleicht, ich rede irre, wenn ich dem
kleinen hanakischen Städtchen zumuthe, die Ehre Oestreichs zu retten, welche in
Prag, Mailand, Wien, Pesth, Krakau, Lemberg und Klausenburg von verschiedenen
Seiten nicht salvirt werden konnte! Aber ich stehe mit klarem unbeirrtem Verstand
vor dem erzbischöflichen Palais in Kremsier. Unser Unglück war, daß der Reichs¬
tag fortgeführt wurde von Wien, ans der Nähe von Menschenwohnungen und
Menschenherzen; in einer großen Stadt wäre Oestreich diese Schmach nicht wieder¬
fahren. Und dn, unglückliches Nest Kremsier, du barecht dich wehren sollen gegen
die Hicrherverlegnug des Reichstages! Du hättest die Wohnungsmiethe noch hun¬
dertmal höher steigern sollen, ja den Herren das Bier und Essen noch tausendfach
fehle.'leer bereiten sollen, als es ohnedies der Fall war; mittelst Luftzug und rau¬
chigen Oesen hättest du den Reichstag sammt dem Ministerium sprengen sollen,
ehe dn das zugabst in deinen Mauern!

Und nun, kaum mit dem Einpacken in Ordnung, dringt die Nachricht zu mir,
von der schmählichen, alle Grenzen der Höflichkeit mit rohem Uebermuthe übertre¬
tende» Entlassung Ausbrennung des östreichischen constitutionellen Reichstages,
welcher seit dem ersten Jänner an Ehre und Achtung gewann im Volke, durch die
freisinnigen Männer mit allen Hoffnungen und mit Vertrauensadressen belohnt
wurde! Der Reichstag ist von der Infanterie einiger Compagnien auf den Weg
gebracht worden, nämlich auf den Heimweg ! Die Polizeidiener Kremsiers sind zu
stolz, um den Herren in ihre Wohnung die Meldung zu bringen, mit den Plataeer
nur an die Ecken getreten, haben ihnen die Neuigkeit wie jedem Handwerksburschen
an die Cake der Straße gehängt und wie auf der Fnchsprelle hat man den gejag¬
ten Mitgliedern der Linken den Rauch angefacht, um sie zu erwischen in erster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/510>, abgerufen am 29.11.2024.