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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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mordung Lichnowski's und Auerswald's veranlaßte zunächst von Seiten der Reichs-
gewalt eine entschiedene Reaction gegen das Demagogenthm", das alle Rechts¬
verhältnisse aufzulösen drohte. Die Rückkehr der Armee aus Schleswig-Holstein
gab der preußischen Negierung eine Waffe, wenn sie den Muth fand, dieselbe
zu gebrauchen. Das Ministerium Auerswald hatte diesen Muth nicht. Es wagte
keinen entschiednen Einspruch, als die constituireude Versammlung durch den An¬
trag, die reactionären Officiere mit der Entlassung zu bedrohen, unzweifelhaft in
das Gebiet der Verwaltung übergriff. Als der Antrag durchging, fand es nur
den Muth der Resignation; wenigstens wahrte es in seinem Abschiedsmanifest das
Recht der Krone, die executive Gewalt selbstständig zu führen, wenn es dasselbe
auch nicht weiter vertreten mochte.

Als nun das Ministerium Pfuel durchweg aus Männern des -melen re^imo sich
zusammensetzte, war alle Welt davon überzeugt, daß um? die bewaffnete Reaction
anHübe. Zum allgemeinen Erstaunen zeigte sich diese Regierung schwächer, als
irgend eine der vorhergehenden. Sie sanctionirte den Uebergriff der constituiren-
den Versammlung, wenn auch nur bedingt, sie desavonirte die Generale, welche
Miene gemacht hatten, den Degen in die Wagschale der Entscheidung zu werfen.
Sie schien selbst nicht abgeneigt, in die finanziellen Reformen der frühern Ver¬
waltung einzugehn.

Mittlerweile brach in Wien der. Oktoberaufstand aus. Darüber wird alle
Welt einig sein, daß, wenn hier die Revolution gesiegt hätte, eine vieljährige
Anarchie für ganz Deutschland die nothwendige Folge war. Unter diesen Umstän¬
den stellte Waldeck den Antrag, mit den preußischen Truppen der Revolution zu
Hilfe zu kommen, und der vollständig zügellose Pöbel der Hauptstadt unterstützte
mit dem Gewicht seiner Fäuste diesen Antrag. Die Freiheit der Berathungen war
moralisch und selbst materiell aufgehoben. Die neue Negierung zeigte sich der
überall hervorbrechenden Anarchie nicht gewachsen, ja der Ministerpräsident ging
soweit, einem wenn anch ermäßigten Antrag zur Intervention in der Wiener Sache
seine Stimme zu geben. Und bei alledem war es in den Augen der Radicalen
doch das Ministerium der bewaffneten Reaction.

Was blieb unter diesen Umständen der Negierung übrig? Die constitnirende
Versammlung war theils unter fremdartigen Einflüssen, theils hatte sie sich selber
in eine Hohe hineingeschwindelt, die es unmöglich machte, von dieser Seite an
eine Grundlegung des neuen Staatswesens denken zu können. Bereits waren
mehrere Bestimmungen der Art, daß die Krone, wenn sie dieselben sanctionirt
hätte, mit allen Elementen, auf die sie bis dahin zählen konnte, namentlich mit
dem Grundbesitz und dem Heer, entschieden hätte brechen müssen. Zudem ward
die Sprache der Linken immer drohender, eine Revolution, wenn sich die Krone
nicht auf Gnade und Ungnade ergebe, wurde in nächste Aussicht gestellt. Als nun
gar von dem Ministerium Brandenburg die Nedj: war, steigerte sich der Conflict


mordung Lichnowski's und Auerswald's veranlaßte zunächst von Seiten der Reichs-
gewalt eine entschiedene Reaction gegen das Demagogenthm», das alle Rechts¬
verhältnisse aufzulösen drohte. Die Rückkehr der Armee aus Schleswig-Holstein
gab der preußischen Negierung eine Waffe, wenn sie den Muth fand, dieselbe
zu gebrauchen. Das Ministerium Auerswald hatte diesen Muth nicht. Es wagte
keinen entschiednen Einspruch, als die constituireude Versammlung durch den An¬
trag, die reactionären Officiere mit der Entlassung zu bedrohen, unzweifelhaft in
das Gebiet der Verwaltung übergriff. Als der Antrag durchging, fand es nur
den Muth der Resignation; wenigstens wahrte es in seinem Abschiedsmanifest das
Recht der Krone, die executive Gewalt selbstständig zu führen, wenn es dasselbe
auch nicht weiter vertreten mochte.

Als nun das Ministerium Pfuel durchweg aus Männern des -melen re^imo sich
zusammensetzte, war alle Welt davon überzeugt, daß um? die bewaffnete Reaction
anHübe. Zum allgemeinen Erstaunen zeigte sich diese Regierung schwächer, als
irgend eine der vorhergehenden. Sie sanctionirte den Uebergriff der constituiren-
den Versammlung, wenn auch nur bedingt, sie desavonirte die Generale, welche
Miene gemacht hatten, den Degen in die Wagschale der Entscheidung zu werfen.
Sie schien selbst nicht abgeneigt, in die finanziellen Reformen der frühern Ver¬
waltung einzugehn.

Mittlerweile brach in Wien der. Oktoberaufstand aus. Darüber wird alle
Welt einig sein, daß, wenn hier die Revolution gesiegt hätte, eine vieljährige
Anarchie für ganz Deutschland die nothwendige Folge war. Unter diesen Umstän¬
den stellte Waldeck den Antrag, mit den preußischen Truppen der Revolution zu
Hilfe zu kommen, und der vollständig zügellose Pöbel der Hauptstadt unterstützte
mit dem Gewicht seiner Fäuste diesen Antrag. Die Freiheit der Berathungen war
moralisch und selbst materiell aufgehoben. Die neue Negierung zeigte sich der
überall hervorbrechenden Anarchie nicht gewachsen, ja der Ministerpräsident ging
soweit, einem wenn anch ermäßigten Antrag zur Intervention in der Wiener Sache
seine Stimme zu geben. Und bei alledem war es in den Augen der Radicalen
doch das Ministerium der bewaffneten Reaction.

Was blieb unter diesen Umständen der Negierung übrig? Die constitnirende
Versammlung war theils unter fremdartigen Einflüssen, theils hatte sie sich selber
in eine Hohe hineingeschwindelt, die es unmöglich machte, von dieser Seite an
eine Grundlegung des neuen Staatswesens denken zu können. Bereits waren
mehrere Bestimmungen der Art, daß die Krone, wenn sie dieselben sanctionirt
hätte, mit allen Elementen, auf die sie bis dahin zählen konnte, namentlich mit
dem Grundbesitz und dem Heer, entschieden hätte brechen müssen. Zudem ward
die Sprache der Linken immer drohender, eine Revolution, wenn sich die Krone
nicht auf Gnade und Ungnade ergebe, wurde in nächste Aussicht gestellt. Als nun
gar von dem Ministerium Brandenburg die Nedj: war, steigerte sich der Conflict


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[0496] mordung Lichnowski's und Auerswald's veranlaßte zunächst von Seiten der Reichs- gewalt eine entschiedene Reaction gegen das Demagogenthm», das alle Rechts¬ verhältnisse aufzulösen drohte. Die Rückkehr der Armee aus Schleswig-Holstein gab der preußischen Negierung eine Waffe, wenn sie den Muth fand, dieselbe zu gebrauchen. Das Ministerium Auerswald hatte diesen Muth nicht. Es wagte keinen entschiednen Einspruch, als die constituireude Versammlung durch den An¬ trag, die reactionären Officiere mit der Entlassung zu bedrohen, unzweifelhaft in das Gebiet der Verwaltung übergriff. Als der Antrag durchging, fand es nur den Muth der Resignation; wenigstens wahrte es in seinem Abschiedsmanifest das Recht der Krone, die executive Gewalt selbstständig zu führen, wenn es dasselbe auch nicht weiter vertreten mochte. Als nun das Ministerium Pfuel durchweg aus Männern des -melen re^imo sich zusammensetzte, war alle Welt davon überzeugt, daß um? die bewaffnete Reaction anHübe. Zum allgemeinen Erstaunen zeigte sich diese Regierung schwächer, als irgend eine der vorhergehenden. Sie sanctionirte den Uebergriff der constituiren- den Versammlung, wenn auch nur bedingt, sie desavonirte die Generale, welche Miene gemacht hatten, den Degen in die Wagschale der Entscheidung zu werfen. Sie schien selbst nicht abgeneigt, in die finanziellen Reformen der frühern Ver¬ waltung einzugehn. Mittlerweile brach in Wien der. Oktoberaufstand aus. Darüber wird alle Welt einig sein, daß, wenn hier die Revolution gesiegt hätte, eine vieljährige Anarchie für ganz Deutschland die nothwendige Folge war. Unter diesen Umstän¬ den stellte Waldeck den Antrag, mit den preußischen Truppen der Revolution zu Hilfe zu kommen, und der vollständig zügellose Pöbel der Hauptstadt unterstützte mit dem Gewicht seiner Fäuste diesen Antrag. Die Freiheit der Berathungen war moralisch und selbst materiell aufgehoben. Die neue Negierung zeigte sich der überall hervorbrechenden Anarchie nicht gewachsen, ja der Ministerpräsident ging soweit, einem wenn anch ermäßigten Antrag zur Intervention in der Wiener Sache seine Stimme zu geben. Und bei alledem war es in den Augen der Radicalen doch das Ministerium der bewaffneten Reaction. Was blieb unter diesen Umständen der Negierung übrig? Die constitnirende Versammlung war theils unter fremdartigen Einflüssen, theils hatte sie sich selber in eine Hohe hineingeschwindelt, die es unmöglich machte, von dieser Seite an eine Grundlegung des neuen Staatswesens denken zu können. Bereits waren mehrere Bestimmungen der Art, daß die Krone, wenn sie dieselben sanctionirt hätte, mit allen Elementen, auf die sie bis dahin zählen konnte, namentlich mit dem Grundbesitz und dem Heer, entschieden hätte brechen müssen. Zudem ward die Sprache der Linken immer drohender, eine Revolution, wenn sich die Krone nicht auf Gnade und Ungnade ergebe, wurde in nächste Aussicht gestellt. Als nun gar von dem Ministerium Brandenburg die Nedj: war, steigerte sich der Conflict

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/496>, abgerufen am 27.11.2024.