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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Schwäche. Die neue Regierung, obgleich sie im Wesentlichen derselben Partei -
angehörte, mußte sich doch in irgend etwas von ihren Vorgängern unterscheiden,
sie mußte sie in einem gewissen Sinn desavouiren, sonst war ja kein Grund der
Veränderung abzusehen. Man versuchte es mit scheinbar unbedeutenden Fragen.
Man gab die Adresse auf, was zu billigen war, da schon die Idee einer Adresse
ans der Fiction einer schon bestehenden constitutionellen Kammer beruhte; man ließ
sich auf eine modificirte Anerkennung der Revolution ein, wenigstens des materiel¬
len Inhalts derselben, wenn man auch die Form des Nechtsprincips zu wahren
suchte. Die Hauptsache war, daß eine parlamentarische Notabilität, welche der
bisherigen Majorität nicht angehört hatte, ins Ministerium gezogen wurde. Aber
schon waren die Actien der radicalen Fraction so gestiegen, daß Herr NodbertuS
wenige Tage nach Bildung des neuen Ministeriums das Portefeuille wieder nie¬
derlegte, um sich nicht unmöglich zu machen. Das sogenannte'linke Centrum con-
stituirte sich nun als dynastische Opposition, wie die Französische unter Thiers,
und übernahm in gewissem Sinn die Führung der Linken. Mehr und mehr nahm
die Versammlung den Charakter einer bereits in den Staatsorganismus eingefügten
Kammer an, ohne doch den Anspruch auf Unauflösbarkeit, der einer Constituante
gebührte, aufzugeben; sie wurde mehr und mehr ein Convent. Außerdem drängte
sich mit immer steigender Dreistigkeit der Straßen-Radikalismus in das Heilig-
thum der Gesetze, und weder die Regierung noch die Versammlung oder die Bür¬
gerwehr hatte M"es genug, ihm entschieden entgegen zu treten.

Die Regienmg fand ihre Gegner auf zwei Seiten. Die Partei der Grund¬
besitzer war empört über die von Hansemann projectirten Steuerreformen; sie war
empört über die Schwäche der Regierung gegenüber den anarchistischen Bestrebun¬
gen in der Hauptstadt wie in den Provinzen. Die Radicalen dagegen beschul¬
digten die Negierung des Verraths, weil sie nicht entschieden mit den Anhängern
des alten Systems in den höhern Beamtenkreisen brechen wollte. Die deutsche
Angelegenheit diente dazu, die Sache zu verwickeln. Zwar regte für einen Augen¬
blick die Wahl des Reichsverwesers und die den preußischen Truppen zugemuthete
Huldigung das alte Gefühl des specifischen Preußenthums wieder auf, aber bald
fand man es bequemer, Frankfurt zum Hebel gegen das Ministerium zu mißbrau¬
chen. In dem bekannten Jacobyschen Antrag wurde der preußischen Regierung-
geradezu das Recht abgesprochen, über die souveränen Beschlüsse der deutschen,
Nationalversammlung noch irgend ein Gutachten abzugeben, wogegen eS sich die,
Constituante vorbehielt , dieselben zu kritistren. Der Antrag ging nicht durch, und
bei der immer, mehr hervortretenden conservativen Haltung der Paulskirche verlor
sie ohnehin für die Opposition alles Interesse.

Der Waffenstillstand von Malmoe gab der ganzen Lage der Dinge eine an-,
dere, Wendung. Bisher hatten sich die Regierungen den Straßentumulten gegen¬
über als ohnmächtig bewiesen; dieBürgerwehr war fast überall unzuverlässig. Die Er-


Schwäche. Die neue Regierung, obgleich sie im Wesentlichen derselben Partei -
angehörte, mußte sich doch in irgend etwas von ihren Vorgängern unterscheiden,
sie mußte sie in einem gewissen Sinn desavouiren, sonst war ja kein Grund der
Veränderung abzusehen. Man versuchte es mit scheinbar unbedeutenden Fragen.
Man gab die Adresse auf, was zu billigen war, da schon die Idee einer Adresse
ans der Fiction einer schon bestehenden constitutionellen Kammer beruhte; man ließ
sich auf eine modificirte Anerkennung der Revolution ein, wenigstens des materiel¬
len Inhalts derselben, wenn man auch die Form des Nechtsprincips zu wahren
suchte. Die Hauptsache war, daß eine parlamentarische Notabilität, welche der
bisherigen Majorität nicht angehört hatte, ins Ministerium gezogen wurde. Aber
schon waren die Actien der radicalen Fraction so gestiegen, daß Herr NodbertuS
wenige Tage nach Bildung des neuen Ministeriums das Portefeuille wieder nie¬
derlegte, um sich nicht unmöglich zu machen. Das sogenannte'linke Centrum con-
stituirte sich nun als dynastische Opposition, wie die Französische unter Thiers,
und übernahm in gewissem Sinn die Führung der Linken. Mehr und mehr nahm
die Versammlung den Charakter einer bereits in den Staatsorganismus eingefügten
Kammer an, ohne doch den Anspruch auf Unauflösbarkeit, der einer Constituante
gebührte, aufzugeben; sie wurde mehr und mehr ein Convent. Außerdem drängte
sich mit immer steigender Dreistigkeit der Straßen-Radikalismus in das Heilig-
thum der Gesetze, und weder die Regierung noch die Versammlung oder die Bür¬
gerwehr hatte M»es genug, ihm entschieden entgegen zu treten.

Die Regienmg fand ihre Gegner auf zwei Seiten. Die Partei der Grund¬
besitzer war empört über die von Hansemann projectirten Steuerreformen; sie war
empört über die Schwäche der Regierung gegenüber den anarchistischen Bestrebun¬
gen in der Hauptstadt wie in den Provinzen. Die Radicalen dagegen beschul¬
digten die Negierung des Verraths, weil sie nicht entschieden mit den Anhängern
des alten Systems in den höhern Beamtenkreisen brechen wollte. Die deutsche
Angelegenheit diente dazu, die Sache zu verwickeln. Zwar regte für einen Augen¬
blick die Wahl des Reichsverwesers und die den preußischen Truppen zugemuthete
Huldigung das alte Gefühl des specifischen Preußenthums wieder auf, aber bald
fand man es bequemer, Frankfurt zum Hebel gegen das Ministerium zu mißbrau¬
chen. In dem bekannten Jacobyschen Antrag wurde der preußischen Regierung-
geradezu das Recht abgesprochen, über die souveränen Beschlüsse der deutschen,
Nationalversammlung noch irgend ein Gutachten abzugeben, wogegen eS sich die,
Constituante vorbehielt , dieselben zu kritistren. Der Antrag ging nicht durch, und
bei der immer, mehr hervortretenden conservativen Haltung der Paulskirche verlor
sie ohnehin für die Opposition alles Interesse.

Der Waffenstillstand von Malmoe gab der ganzen Lage der Dinge eine an-,
dere, Wendung. Bisher hatten sich die Regierungen den Straßentumulten gegen¬
über als ohnmächtig bewiesen; dieBürgerwehr war fast überall unzuverlässig. Die Er-


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[0495] Schwäche. Die neue Regierung, obgleich sie im Wesentlichen derselben Partei - angehörte, mußte sich doch in irgend etwas von ihren Vorgängern unterscheiden, sie mußte sie in einem gewissen Sinn desavouiren, sonst war ja kein Grund der Veränderung abzusehen. Man versuchte es mit scheinbar unbedeutenden Fragen. Man gab die Adresse auf, was zu billigen war, da schon die Idee einer Adresse ans der Fiction einer schon bestehenden constitutionellen Kammer beruhte; man ließ sich auf eine modificirte Anerkennung der Revolution ein, wenigstens des materiel¬ len Inhalts derselben, wenn man auch die Form des Nechtsprincips zu wahren suchte. Die Hauptsache war, daß eine parlamentarische Notabilität, welche der bisherigen Majorität nicht angehört hatte, ins Ministerium gezogen wurde. Aber schon waren die Actien der radicalen Fraction so gestiegen, daß Herr NodbertuS wenige Tage nach Bildung des neuen Ministeriums das Portefeuille wieder nie¬ derlegte, um sich nicht unmöglich zu machen. Das sogenannte'linke Centrum con- stituirte sich nun als dynastische Opposition, wie die Französische unter Thiers, und übernahm in gewissem Sinn die Führung der Linken. Mehr und mehr nahm die Versammlung den Charakter einer bereits in den Staatsorganismus eingefügten Kammer an, ohne doch den Anspruch auf Unauflösbarkeit, der einer Constituante gebührte, aufzugeben; sie wurde mehr und mehr ein Convent. Außerdem drängte sich mit immer steigender Dreistigkeit der Straßen-Radikalismus in das Heilig- thum der Gesetze, und weder die Regierung noch die Versammlung oder die Bür¬ gerwehr hatte M»es genug, ihm entschieden entgegen zu treten. Die Regienmg fand ihre Gegner auf zwei Seiten. Die Partei der Grund¬ besitzer war empört über die von Hansemann projectirten Steuerreformen; sie war empört über die Schwäche der Regierung gegenüber den anarchistischen Bestrebun¬ gen in der Hauptstadt wie in den Provinzen. Die Radicalen dagegen beschul¬ digten die Negierung des Verraths, weil sie nicht entschieden mit den Anhängern des alten Systems in den höhern Beamtenkreisen brechen wollte. Die deutsche Angelegenheit diente dazu, die Sache zu verwickeln. Zwar regte für einen Augen¬ blick die Wahl des Reichsverwesers und die den preußischen Truppen zugemuthete Huldigung das alte Gefühl des specifischen Preußenthums wieder auf, aber bald fand man es bequemer, Frankfurt zum Hebel gegen das Ministerium zu mißbrau¬ chen. In dem bekannten Jacobyschen Antrag wurde der preußischen Regierung- geradezu das Recht abgesprochen, über die souveränen Beschlüsse der deutschen, Nationalversammlung noch irgend ein Gutachten abzugeben, wogegen eS sich die, Constituante vorbehielt , dieselben zu kritistren. Der Antrag ging nicht durch, und bei der immer, mehr hervortretenden conservativen Haltung der Paulskirche verlor sie ohnehin für die Opposition alles Interesse. Der Waffenstillstand von Malmoe gab der ganzen Lage der Dinge eine an-, dere, Wendung. Bisher hatten sich die Regierungen den Straßentumulten gegen¬ über als ohnmächtig bewiesen; dieBürgerwehr war fast überall unzuverlässig. Die Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/495>, abgerufen am 27.11.2024.