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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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der Hebbel'schen Komödie glitzert und funkelt. Wem die Geschichte dies Kleinod
in die Hände gespielt hat, der hat auch die historische Rolle der Herrschaft. Der
strahlende Lichtpunkt des Lebens, der im geschichtlichen Verlauf von einer Stelle
zur andern rückt, hat aber an sich keinen bestimmten Namen; er erhält ihn erst
dnrch die Beziehung zum Besitzer, durch den Platz, wo er funkelt, durch die
Folie, die ihn abhebt. Er wird daher seinen Namen wechseln, je nachdem er sich
in der Krone eines Königs, in der schwielenreichen Hand eines Bauers, oder gar
in den Eingeweiden des Juden Benjamin befindet.

Vor langen Jahren reichte ein Geist dies Kleinod dem Ahn eines Königs¬
geschlechtes, mit dem Vorbehalte, daß er es dem letzten seiner Dynastie wieder
abfordern werde. (Act II, Se. 6.) Diese Erscheinung ist kein anderer Geist, als
der Weltgeist selbst, der unsichtbar durch die Geschichte hindurchschreitet, aber an
dem Wendepunkte ihrer Perioden sichtbar hervortritt, und die Gestalt der Zeit,
in der er an sich selbst mahnen will, in seiner Gestalt nachspiegelt. Gern gönnt
der unbeholfene Riese Volk, wenn ein Tyrann gelassen über ihn hinwegreitet, die
Jnsignien der Herrschaft einem Unbekannten, sobald er nur mit seinem mensch¬
lichen, biederen Auge Bekanntschaft gemacht. Darum bekam auch der Edle, der
an Barbarossas Seite einherritt, den kostbaren Diamant von jenem Geist, der
ihm die leidende, verkümmerte Gestalt der Zeit gezeigt, und sein Erbarmen erregt
hatte, und fortan befand sich über dem Haupte der Könige jener leuchtende
Punkt, aus dem das Leben seinen concentrirten Glanz ausströmt. Da der Dia¬
mant in eine Krone eingesetzt winde, so war nun sein Name: Majestät, kö¬
nigliche Hoheit. Aber der ernste Moment der prophezeiten Znrückforderung
ist auch schon gekommen: diesmal auch erschien der Geist in derselben verstüm¬
melten Gestalt, weil die Zeit selbst ihre Gestalt nicht geändert, und das neue
Herrschergeschlecht die Wunden, die jener Tyrann geschlagen, nicht geheilt hatte.
Er nahm der. ältesten Prinzessin, welche den Diamant für die Zukunft wahren
und erhalten sollte, das aus der Krone herausgebrochene Kleinod ab, um es tief
ins Thal hinabzuschleudern, in die schmutzigen Hütten der Köhler, die bisher nur
mit dem rohen Stoff, aber nicht mit dem schönen Glanz des Lebens zu schaffen
hatten.

Wie einst die Barmherzigkeit des Ritters, so nahm der Geist jetzt
die Barmherzigkeit des Bauers Jakob in Anspruch, und ließ scheidend den
Diamant bei ihm zurück. Aber dieser verstand sich nicht so gut auf die
geheimnißvolle Erscheinung. Die hellsehende Prinzessin, welche die Schuld
ihres ganzen Stammes in ihrer zarten Seele empfindet und darüber vergeht,
ist der gerade Gegensatz zu der bornirten Unschuld des Bauers. Sie weiß
recht gut, was sie an dem Diamant verliert, -- der Bauer Jakob vermag
durchaus nicht die Größe seines Gewinnstes zu ermessen. Der wunderbare Edel¬
stein, der der Königstochter abgefordert wurde, soll nun dem Volke zufallen;


der Hebbel'schen Komödie glitzert und funkelt. Wem die Geschichte dies Kleinod
in die Hände gespielt hat, der hat auch die historische Rolle der Herrschaft. Der
strahlende Lichtpunkt des Lebens, der im geschichtlichen Verlauf von einer Stelle
zur andern rückt, hat aber an sich keinen bestimmten Namen; er erhält ihn erst
dnrch die Beziehung zum Besitzer, durch den Platz, wo er funkelt, durch die
Folie, die ihn abhebt. Er wird daher seinen Namen wechseln, je nachdem er sich
in der Krone eines Königs, in der schwielenreichen Hand eines Bauers, oder gar
in den Eingeweiden des Juden Benjamin befindet.

Vor langen Jahren reichte ein Geist dies Kleinod dem Ahn eines Königs¬
geschlechtes, mit dem Vorbehalte, daß er es dem letzten seiner Dynastie wieder
abfordern werde. (Act II, Se. 6.) Diese Erscheinung ist kein anderer Geist, als
der Weltgeist selbst, der unsichtbar durch die Geschichte hindurchschreitet, aber an
dem Wendepunkte ihrer Perioden sichtbar hervortritt, und die Gestalt der Zeit,
in der er an sich selbst mahnen will, in seiner Gestalt nachspiegelt. Gern gönnt
der unbeholfene Riese Volk, wenn ein Tyrann gelassen über ihn hinwegreitet, die
Jnsignien der Herrschaft einem Unbekannten, sobald er nur mit seinem mensch¬
lichen, biederen Auge Bekanntschaft gemacht. Darum bekam auch der Edle, der
an Barbarossas Seite einherritt, den kostbaren Diamant von jenem Geist, der
ihm die leidende, verkümmerte Gestalt der Zeit gezeigt, und sein Erbarmen erregt
hatte, und fortan befand sich über dem Haupte der Könige jener leuchtende
Punkt, aus dem das Leben seinen concentrirten Glanz ausströmt. Da der Dia¬
mant in eine Krone eingesetzt winde, so war nun sein Name: Majestät, kö¬
nigliche Hoheit. Aber der ernste Moment der prophezeiten Znrückforderung
ist auch schon gekommen: diesmal auch erschien der Geist in derselben verstüm¬
melten Gestalt, weil die Zeit selbst ihre Gestalt nicht geändert, und das neue
Herrschergeschlecht die Wunden, die jener Tyrann geschlagen, nicht geheilt hatte.
Er nahm der. ältesten Prinzessin, welche den Diamant für die Zukunft wahren
und erhalten sollte, das aus der Krone herausgebrochene Kleinod ab, um es tief
ins Thal hinabzuschleudern, in die schmutzigen Hütten der Köhler, die bisher nur
mit dem rohen Stoff, aber nicht mit dem schönen Glanz des Lebens zu schaffen
hatten.

Wie einst die Barmherzigkeit des Ritters, so nahm der Geist jetzt
die Barmherzigkeit des Bauers Jakob in Anspruch, und ließ scheidend den
Diamant bei ihm zurück. Aber dieser verstand sich nicht so gut auf die
geheimnißvolle Erscheinung. Die hellsehende Prinzessin, welche die Schuld
ihres ganzen Stammes in ihrer zarten Seele empfindet und darüber vergeht,
ist der gerade Gegensatz zu der bornirten Unschuld des Bauers. Sie weiß
recht gut, was sie an dem Diamant verliert, — der Bauer Jakob vermag
durchaus nicht die Größe seines Gewinnstes zu ermessen. Der wunderbare Edel¬
stein, der der Königstochter abgefordert wurde, soll nun dem Volke zufallen;


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[0466] der Hebbel'schen Komödie glitzert und funkelt. Wem die Geschichte dies Kleinod in die Hände gespielt hat, der hat auch die historische Rolle der Herrschaft. Der strahlende Lichtpunkt des Lebens, der im geschichtlichen Verlauf von einer Stelle zur andern rückt, hat aber an sich keinen bestimmten Namen; er erhält ihn erst dnrch die Beziehung zum Besitzer, durch den Platz, wo er funkelt, durch die Folie, die ihn abhebt. Er wird daher seinen Namen wechseln, je nachdem er sich in der Krone eines Königs, in der schwielenreichen Hand eines Bauers, oder gar in den Eingeweiden des Juden Benjamin befindet. Vor langen Jahren reichte ein Geist dies Kleinod dem Ahn eines Königs¬ geschlechtes, mit dem Vorbehalte, daß er es dem letzten seiner Dynastie wieder abfordern werde. (Act II, Se. 6.) Diese Erscheinung ist kein anderer Geist, als der Weltgeist selbst, der unsichtbar durch die Geschichte hindurchschreitet, aber an dem Wendepunkte ihrer Perioden sichtbar hervortritt, und die Gestalt der Zeit, in der er an sich selbst mahnen will, in seiner Gestalt nachspiegelt. Gern gönnt der unbeholfene Riese Volk, wenn ein Tyrann gelassen über ihn hinwegreitet, die Jnsignien der Herrschaft einem Unbekannten, sobald er nur mit seinem mensch¬ lichen, biederen Auge Bekanntschaft gemacht. Darum bekam auch der Edle, der an Barbarossas Seite einherritt, den kostbaren Diamant von jenem Geist, der ihm die leidende, verkümmerte Gestalt der Zeit gezeigt, und sein Erbarmen erregt hatte, und fortan befand sich über dem Haupte der Könige jener leuchtende Punkt, aus dem das Leben seinen concentrirten Glanz ausströmt. Da der Dia¬ mant in eine Krone eingesetzt winde, so war nun sein Name: Majestät, kö¬ nigliche Hoheit. Aber der ernste Moment der prophezeiten Znrückforderung ist auch schon gekommen: diesmal auch erschien der Geist in derselben verstüm¬ melten Gestalt, weil die Zeit selbst ihre Gestalt nicht geändert, und das neue Herrschergeschlecht die Wunden, die jener Tyrann geschlagen, nicht geheilt hatte. Er nahm der. ältesten Prinzessin, welche den Diamant für die Zukunft wahren und erhalten sollte, das aus der Krone herausgebrochene Kleinod ab, um es tief ins Thal hinabzuschleudern, in die schmutzigen Hütten der Köhler, die bisher nur mit dem rohen Stoff, aber nicht mit dem schönen Glanz des Lebens zu schaffen hatten. Wie einst die Barmherzigkeit des Ritters, so nahm der Geist jetzt die Barmherzigkeit des Bauers Jakob in Anspruch, und ließ scheidend den Diamant bei ihm zurück. Aber dieser verstand sich nicht so gut auf die geheimnißvolle Erscheinung. Die hellsehende Prinzessin, welche die Schuld ihres ganzen Stammes in ihrer zarten Seele empfindet und darüber vergeht, ist der gerade Gegensatz zu der bornirten Unschuld des Bauers. Sie weiß recht gut, was sie an dem Diamant verliert, — der Bauer Jakob vermag durchaus nicht die Größe seines Gewinnstes zu ermessen. Der wunderbare Edel¬ stein, der der Königstochter abgefordert wurde, soll nun dem Volke zufallen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/466>, abgerufen am 24.11.2024.