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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Der Gegenstand der Debatte war bis jetzt ein sehr einfacher, und kann ans
historische Bedeutung keinen Anspruch machen; er hat aber den großen Vortheil,
daß er die Helden des Parlaments im Neglige zeigt. Zu großen vorbereitenden
Reden gibt er keine Veranlassung, ein jeder redet, wie es ihm in den Mund
kommt, und was gesagt wird, sieht zwar nicht besonders elegant, aber natur^
wücbsig aus. Ziemlich alle Redner von Namen haben das Wort genommen, die
Notabilitäten der Paulskirche, wie die Souveräne unserer alten Constituante, und
wer der fließenden Rede minder mächtig war, hat wenigstens durch Bravo,
Zischen, Gähnen und mehr oder minder studirte Attitüden sein Recht auf die
Aufmerksamkeit eines verehrungswürdigen Publikums zu bethätigen gesucht. Stoff
genug für einen Genremaler, der sich an Farben und Gestaltungen erfrent, auch
wenn er keine erhebliche Bedeutung hinter ihnen suchen darf.

Das Local unserer Legislative -- warum sollen wir uicht in den Namen
conservativ sein? -- ist eine Reiterbude in großem Styl auf einem Hof im Dön-
hoffsplatz. Der Weg zu demselben gleicht dem Pfad der Tugend, er ist anfangs
rauh. Mau hat mit einiger Mühe ein künstliches Labyrinth von Gängen hervor¬
gebracht, durch welche man sich in ziemlich einer Viertelstunde zu dem Schauspiel
der Gesetzesfabrik durchschlängelt. Dieses Dcfilv wird der Pöbel nicht stürmen!
Ein Trupp Constabler bewacht den Eingang in das Heiligthum, welcher nicht
auf dem Dönhoffsplatz liegt, weil man dort wieder Massenanhänfungen zu gewär-
eigen hätte, sondern in der engen Niederwallstraße. Sie haben wohl noch keine
Constabler gesehen? Es sind Leute aus niedern Ständen, in blauen Kutscher¬
mänteln ohne weiteres Abzeichen, als eine Nummer aus dem Hut, aber in der
Regel mit der Haupterrungenschaft unserer großen Revolution, dem waldursprüng-
lichen Barte verziert. Sie ziehn in großen Schaaren auf deu Straßen umher,
Und ich muß gestehn, es macht keinen günstigen Eindruck, diesen Spatziergängern
ohne ersichtlichen Lebenszweck bei jedem dritten Schritt zu begegnen. Sie thun
Niemand etwas zu Leide, im Gegentheil, wenn sie einen mißtrauisch ansehn, so
liegt etwas unbeschreiblich Rührendes in ihrem Blick; sie scheinen zu fragen: ihr
werdet uus doch nicht etwas zu Leide thun? Aber ich frage, was wird dadurch
bewiesen? Sie verhalten sich zu den ehemaligen Gensd'armen -- von denen man
übrigens von Zeit zu Zeit noch einem oder dem andern begegnet wie das
liberale Ministerium, das sie erfunden hat, zum alten Preußen. Der Gcnsd'arm,
in der Regel ein hoher stattlicher Mann, wohlbewaffnet und in straff militärischer
Haltung, blickte mit dem ganzen Bewußtsein burcaukratischer Ueberlegenheit, mit
dem vollen Gefühl, die Stütze'des Staats zu sei", aus den nicht-offiziellen Troß
herab, der sich unter ihm drängte; der Constabler, der in seinem Mantel schon
die Arme mit einiger Schwierigkeit bewegt, und dessen hilflose Erscheinung an
den gesetzlichen Sinn und so zu sagen das Mitleid des Publikums appellirt, geht
schüchtern aus dem Wege, und möchte der bürgerlichen Gesellschaft doch gern för-


Der Gegenstand der Debatte war bis jetzt ein sehr einfacher, und kann ans
historische Bedeutung keinen Anspruch machen; er hat aber den großen Vortheil,
daß er die Helden des Parlaments im Neglige zeigt. Zu großen vorbereitenden
Reden gibt er keine Veranlassung, ein jeder redet, wie es ihm in den Mund
kommt, und was gesagt wird, sieht zwar nicht besonders elegant, aber natur^
wücbsig aus. Ziemlich alle Redner von Namen haben das Wort genommen, die
Notabilitäten der Paulskirche, wie die Souveräne unserer alten Constituante, und
wer der fließenden Rede minder mächtig war, hat wenigstens durch Bravo,
Zischen, Gähnen und mehr oder minder studirte Attitüden sein Recht auf die
Aufmerksamkeit eines verehrungswürdigen Publikums zu bethätigen gesucht. Stoff
genug für einen Genremaler, der sich an Farben und Gestaltungen erfrent, auch
wenn er keine erhebliche Bedeutung hinter ihnen suchen darf.

Das Local unserer Legislative — warum sollen wir uicht in den Namen
conservativ sein? — ist eine Reiterbude in großem Styl auf einem Hof im Dön-
hoffsplatz. Der Weg zu demselben gleicht dem Pfad der Tugend, er ist anfangs
rauh. Mau hat mit einiger Mühe ein künstliches Labyrinth von Gängen hervor¬
gebracht, durch welche man sich in ziemlich einer Viertelstunde zu dem Schauspiel
der Gesetzesfabrik durchschlängelt. Dieses Dcfilv wird der Pöbel nicht stürmen!
Ein Trupp Constabler bewacht den Eingang in das Heiligthum, welcher nicht
auf dem Dönhoffsplatz liegt, weil man dort wieder Massenanhänfungen zu gewär-
eigen hätte, sondern in der engen Niederwallstraße. Sie haben wohl noch keine
Constabler gesehen? Es sind Leute aus niedern Ständen, in blauen Kutscher¬
mänteln ohne weiteres Abzeichen, als eine Nummer aus dem Hut, aber in der
Regel mit der Haupterrungenschaft unserer großen Revolution, dem waldursprüng-
lichen Barte verziert. Sie ziehn in großen Schaaren auf deu Straßen umher,
Und ich muß gestehn, es macht keinen günstigen Eindruck, diesen Spatziergängern
ohne ersichtlichen Lebenszweck bei jedem dritten Schritt zu begegnen. Sie thun
Niemand etwas zu Leide, im Gegentheil, wenn sie einen mißtrauisch ansehn, so
liegt etwas unbeschreiblich Rührendes in ihrem Blick; sie scheinen zu fragen: ihr
werdet uus doch nicht etwas zu Leide thun? Aber ich frage, was wird dadurch
bewiesen? Sie verhalten sich zu den ehemaligen Gensd'armen — von denen man
übrigens von Zeit zu Zeit noch einem oder dem andern begegnet wie das
liberale Ministerium, das sie erfunden hat, zum alten Preußen. Der Gcnsd'arm,
in der Regel ein hoher stattlicher Mann, wohlbewaffnet und in straff militärischer
Haltung, blickte mit dem ganzen Bewußtsein burcaukratischer Ueberlegenheit, mit
dem vollen Gefühl, die Stütze'des Staats zu sei», aus den nicht-offiziellen Troß
herab, der sich unter ihm drängte; der Constabler, der in seinem Mantel schon
die Arme mit einiger Schwierigkeit bewegt, und dessen hilflose Erscheinung an
den gesetzlichen Sinn und so zu sagen das Mitleid des Publikums appellirt, geht
schüchtern aus dem Wege, und möchte der bürgerlichen Gesellschaft doch gern för-


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[0439] Der Gegenstand der Debatte war bis jetzt ein sehr einfacher, und kann ans historische Bedeutung keinen Anspruch machen; er hat aber den großen Vortheil, daß er die Helden des Parlaments im Neglige zeigt. Zu großen vorbereitenden Reden gibt er keine Veranlassung, ein jeder redet, wie es ihm in den Mund kommt, und was gesagt wird, sieht zwar nicht besonders elegant, aber natur^ wücbsig aus. Ziemlich alle Redner von Namen haben das Wort genommen, die Notabilitäten der Paulskirche, wie die Souveräne unserer alten Constituante, und wer der fließenden Rede minder mächtig war, hat wenigstens durch Bravo, Zischen, Gähnen und mehr oder minder studirte Attitüden sein Recht auf die Aufmerksamkeit eines verehrungswürdigen Publikums zu bethätigen gesucht. Stoff genug für einen Genremaler, der sich an Farben und Gestaltungen erfrent, auch wenn er keine erhebliche Bedeutung hinter ihnen suchen darf. Das Local unserer Legislative — warum sollen wir uicht in den Namen conservativ sein? — ist eine Reiterbude in großem Styl auf einem Hof im Dön- hoffsplatz. Der Weg zu demselben gleicht dem Pfad der Tugend, er ist anfangs rauh. Mau hat mit einiger Mühe ein künstliches Labyrinth von Gängen hervor¬ gebracht, durch welche man sich in ziemlich einer Viertelstunde zu dem Schauspiel der Gesetzesfabrik durchschlängelt. Dieses Dcfilv wird der Pöbel nicht stürmen! Ein Trupp Constabler bewacht den Eingang in das Heiligthum, welcher nicht auf dem Dönhoffsplatz liegt, weil man dort wieder Massenanhänfungen zu gewär- eigen hätte, sondern in der engen Niederwallstraße. Sie haben wohl noch keine Constabler gesehen? Es sind Leute aus niedern Ständen, in blauen Kutscher¬ mänteln ohne weiteres Abzeichen, als eine Nummer aus dem Hut, aber in der Regel mit der Haupterrungenschaft unserer großen Revolution, dem waldursprüng- lichen Barte verziert. Sie ziehn in großen Schaaren auf deu Straßen umher, Und ich muß gestehn, es macht keinen günstigen Eindruck, diesen Spatziergängern ohne ersichtlichen Lebenszweck bei jedem dritten Schritt zu begegnen. Sie thun Niemand etwas zu Leide, im Gegentheil, wenn sie einen mißtrauisch ansehn, so liegt etwas unbeschreiblich Rührendes in ihrem Blick; sie scheinen zu fragen: ihr werdet uus doch nicht etwas zu Leide thun? Aber ich frage, was wird dadurch bewiesen? Sie verhalten sich zu den ehemaligen Gensd'armen — von denen man übrigens von Zeit zu Zeit noch einem oder dem andern begegnet wie das liberale Ministerium, das sie erfunden hat, zum alten Preußen. Der Gcnsd'arm, in der Regel ein hoher stattlicher Mann, wohlbewaffnet und in straff militärischer Haltung, blickte mit dem ganzen Bewußtsein burcaukratischer Ueberlegenheit, mit dem vollen Gefühl, die Stütze'des Staats zu sei», aus den nicht-offiziellen Troß herab, der sich unter ihm drängte; der Constabler, der in seinem Mantel schon die Arme mit einiger Schwierigkeit bewegt, und dessen hilflose Erscheinung an den gesetzlichen Sinn und so zu sagen das Mitleid des Publikums appellirt, geht schüchtern aus dem Wege, und möchte der bürgerlichen Gesellschaft doch gern för-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/439>, abgerufen am 03.07.2024.