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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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des wird allmälig stocken; das Alte ist unrettbar aufgelöst, ein Neues zu gestalten
sind wir zu schwach.

Denn was die einzige Rettung Oestreichs war im vorigen Herbst, schnelle Consti-
tuirung der neuen Völker, das ist jetzt unter eurem Ministerium sehr verkümmert
geworden. Rußland wird jetzt gegen eine Provinz Serbien, gegen ein Siebenbürgen
mit walachischen Kolonien, welche freie Eigenthümer sind und eine verständige Provinzial-
Verfassung und freie Presse haben, feierlich Protestiren. Es ist uns als Nachbar
so nöthig geworden und weiß das so gut, daß es euch die Gesetze vorschreiben
wird und die Grenzen abstecken, innerhalb derer ihr wagen dürft zu reformiren.
Was ihr reformirt, wird eine lahme halbe Arbeit, ein widerliches Flickwerk werden.
Die Völker werden damit unzufrieden sein, keines wird euch danken; eure Schwäche
und Abhängigkeit von der befreundeten Macht wird euer Regiment verhaßt und
verächtlich machen, selbst da, wo ihr frei nach eigenem Ermessen etwas Gutes durch¬
setzen wollt, wird Mißtrauen mit argwöhnischen Auge euer Thun deuteln und
Gutes in Unsegen verkehren. Die Herzen der Patrioten, der wenigen sichern
Kräfte, welche mein Vaterland zählt, habt ihr euch entfremdet; durch das Soldatcn-
regiment, auf das ihr euch fortan stützen müßt, wird jeden Tag euer Ansehn ge¬
schwächt, statt der freien Bürger werdet ihr nur eine verwilderte Soldateska und
trotzige Heerführer schaffen und der Kitt, durch den ihr die wankende Monarchie
zusammenhalten müßt, wird Blut sein.

Ob ihr ein geheimes Bündniß mit Rußland geschlossen, worin der Besitzstand
des Kaiserstaats garantirt wird, das wissen wir nicht, ja wir glauben es nicht.
Es wäre auch unnörhig, denn auf dem Wege, den ihr betreten, gehen eure Interessen
ohnedies mit Rußland zusammen. Aber wenn ein Starker und ein Schwacher
ihren Egoismus verbinden zur gemeinsame" Arbeit, so wird der Schwache immer
vom Edelmuth und der Hochherzigkeit des Stärkeren abhängen. Seht zu, wie
lange Kaiser Nikolaus euch gegenüber hochherzig sein darf!

Die russische Hilfe in Siebenbürgen untergräbt vorläufig nur euer Ansehn,
sie ist eine Demüthigung für euch und uns. Wir glauben, daß ihr dies unglück¬
liche Factum und den Scandal, den es macht, gern vermieden hättet. Aber was
Oestreich bei den Magyaren und Slaven an Ansehn verliert, das gewinnt Rußland.
Die große Macht, der Friedensstifter um jeden Preis drückt sich tief in die Phan¬
tasie der Außenvölkcr ein, und ihr wißt, wie launisch die Neigung derselben ist,
wie sehr sie es lieben, sich imponirt zu sehn. Euch selbst hat Rußland auch imponirt,
ihr seid ihm Dank schuldig. Und wenn der weiße Czaar euch freundlich und nach¬
barlich aufmerksam macht, wie wüst das Nationalitätsgelüst der Rumänien und
Serben sei, wie schädlich und gefährlich für eure und Rußlands Pacification, so
werden t 0.000 oder gar 40,000 Manu russische Truppen auf unserem Grund und
Boden solcher Vorstellung einen seltsamen Nachdruck geben, über den ihr selbst
erschreckt, vielleicht empört sein werdet. Es wird zu spät sein.


des wird allmälig stocken; das Alte ist unrettbar aufgelöst, ein Neues zu gestalten
sind wir zu schwach.

Denn was die einzige Rettung Oestreichs war im vorigen Herbst, schnelle Consti-
tuirung der neuen Völker, das ist jetzt unter eurem Ministerium sehr verkümmert
geworden. Rußland wird jetzt gegen eine Provinz Serbien, gegen ein Siebenbürgen
mit walachischen Kolonien, welche freie Eigenthümer sind und eine verständige Provinzial-
Verfassung und freie Presse haben, feierlich Protestiren. Es ist uns als Nachbar
so nöthig geworden und weiß das so gut, daß es euch die Gesetze vorschreiben
wird und die Grenzen abstecken, innerhalb derer ihr wagen dürft zu reformiren.
Was ihr reformirt, wird eine lahme halbe Arbeit, ein widerliches Flickwerk werden.
Die Völker werden damit unzufrieden sein, keines wird euch danken; eure Schwäche
und Abhängigkeit von der befreundeten Macht wird euer Regiment verhaßt und
verächtlich machen, selbst da, wo ihr frei nach eigenem Ermessen etwas Gutes durch¬
setzen wollt, wird Mißtrauen mit argwöhnischen Auge euer Thun deuteln und
Gutes in Unsegen verkehren. Die Herzen der Patrioten, der wenigen sichern
Kräfte, welche mein Vaterland zählt, habt ihr euch entfremdet; durch das Soldatcn-
regiment, auf das ihr euch fortan stützen müßt, wird jeden Tag euer Ansehn ge¬
schwächt, statt der freien Bürger werdet ihr nur eine verwilderte Soldateska und
trotzige Heerführer schaffen und der Kitt, durch den ihr die wankende Monarchie
zusammenhalten müßt, wird Blut sein.

Ob ihr ein geheimes Bündniß mit Rußland geschlossen, worin der Besitzstand
des Kaiserstaats garantirt wird, das wissen wir nicht, ja wir glauben es nicht.
Es wäre auch unnörhig, denn auf dem Wege, den ihr betreten, gehen eure Interessen
ohnedies mit Rußland zusammen. Aber wenn ein Starker und ein Schwacher
ihren Egoismus verbinden zur gemeinsame» Arbeit, so wird der Schwache immer
vom Edelmuth und der Hochherzigkeit des Stärkeren abhängen. Seht zu, wie
lange Kaiser Nikolaus euch gegenüber hochherzig sein darf!

Die russische Hilfe in Siebenbürgen untergräbt vorläufig nur euer Ansehn,
sie ist eine Demüthigung für euch und uns. Wir glauben, daß ihr dies unglück¬
liche Factum und den Scandal, den es macht, gern vermieden hättet. Aber was
Oestreich bei den Magyaren und Slaven an Ansehn verliert, das gewinnt Rußland.
Die große Macht, der Friedensstifter um jeden Preis drückt sich tief in die Phan¬
tasie der Außenvölkcr ein, und ihr wißt, wie launisch die Neigung derselben ist,
wie sehr sie es lieben, sich imponirt zu sehn. Euch selbst hat Rußland auch imponirt,
ihr seid ihm Dank schuldig. Und wenn der weiße Czaar euch freundlich und nach¬
barlich aufmerksam macht, wie wüst das Nationalitätsgelüst der Rumänien und
Serben sei, wie schädlich und gefährlich für eure und Rußlands Pacification, so
werden t 0.000 oder gar 40,000 Manu russische Truppen auf unserem Grund und
Boden solcher Vorstellung einen seltsamen Nachdruck geben, über den ihr selbst
erschreckt, vielleicht empört sein werdet. Es wird zu spät sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/396>, abgerufen am 23.07.2024.