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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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wärts thut, Gefahren für das Prinzip Rußlands bringen, ja ein Verhängniß für
sein Reich werden kann. Mit Mühe und großen Opfern hat er seine Grenzen
hermetisch gegen die "modernen Ideen" des übrigen Europa verschlossen, er
mußte es thun, um in seinem Lande Herr zu bleiben; freudig bot er dem Metter-
nich'schen Oestreich die Hand, weil dieses die unruhigen Südslaven in isolirter Er¬
starrung hielt und deshalb als treuer Verbündeter die russischen Grenzen sicherte.
Selbst die Donaufürstenthümer, die Moldau und Walachei, so nöthig ihr Besitz
für Rußland war, um die Küsten des Pontus zu sichern, ließ Nicolaus in der
unsichern Stellung unter schwachen Hospodaren, obwohl ihm seit Jahren der re¬
volutionäre Geist in denselben ein Gräuel war und seiner Administration große
Unbequemlichkeiten brachte; er duldete dies, uicht mir weil er den Widerspruch
anderer Mächte scheute, sondern zumeist deshalb, weil es ihm gefährlich schien,
die südslavischen Stämme in seinen Bannkreis zu ziehen.

Im vorigen Jahr hat sich das politische Erdbeben bis in die Donaufürsten¬
thümer fortgepflanzt, die ungeheuren slavischen Forderungen, Aufhebung der Leib¬
eigenschaft, der Privilegien, der Schrei nach allgemeinen Menschenrechten, nach
sicherm Eigenthum und sicherm Gesetz wurden auch in den Fürstentümern laut.
Die Hospodare, die Bojaren sollten gestürzt werden, die Revolution wurde pro-
clamirt. Vielleicht hat Nicolaus seit jener polnischen Revolution keinen ernstern
Tag gehabt als den, wo ihm der Aufstand der Rumänien gemeldet wurde; ihn
zu dulden hätte nichts anderes geheißen, als sein Nußland dnrch ein schleichendes
Gift zu zerstören, sie zu nehmen, hieß den Kampf mit Westeuropa beginnen.
Zögernd besetzten seine Heere die Donaufürstenthümer; mit diesem Akt trat Nu߬
land in eine ganz veränderte Stellung zu Europa, in eine neue Phase seiner
Politik. Rußland kann fortan keine freien Rumainen, keine freien Serben, keine
westeuropäische Organisation der südlichen Slaven neben sich dulden, es darf
uicht, wenn es nicht mit ewigen Verschwörungen und Völkerkrämpsen in seinem
Innern behaftet sein will.

Nun aber ist das ganze Untcrdonaugcbiet, auch das bisher türkische so
aufgewühlt, in einem neuen Krystallilationsprozeß begriffen, daß jedes Wollen
und Thun des einen Volksstammes sich blitzschnell den Uebrigen mittheilt. Alle
Rumainen, alle Serben, östreichische und türkische, haben jetzt schon die Empfin¬
dung, daß sie ein Volk sind, einen einigen Staat bilden müssen. Jnstinct-
mäßig ging ihr Haß bis jetzt nach Rußland, ihre Neigung nach Oestreich. Die
Numaiuen in Siebenbürgen haben widersprochen, als die Sachsen den russi¬
schen General zu Hilfe riefen; die türkischen Ser-ben sind im vorigen Jahre in
großen Heereshaufen ihren Brüdern im Banat zu Hilfe gezogen. Der Divan
konnte das nicht verhindern und wollte es nicht, so wenig er die Jnsurrection
der Fürstenthümer hinderte. Er erkannte in Beidem sehr gut den Stachel in der
russischen Ferse. In Bosnien, bis nach der Küste von Dalmatien ist die Auf-


wärts thut, Gefahren für das Prinzip Rußlands bringen, ja ein Verhängniß für
sein Reich werden kann. Mit Mühe und großen Opfern hat er seine Grenzen
hermetisch gegen die „modernen Ideen" des übrigen Europa verschlossen, er
mußte es thun, um in seinem Lande Herr zu bleiben; freudig bot er dem Metter-
nich'schen Oestreich die Hand, weil dieses die unruhigen Südslaven in isolirter Er¬
starrung hielt und deshalb als treuer Verbündeter die russischen Grenzen sicherte.
Selbst die Donaufürstenthümer, die Moldau und Walachei, so nöthig ihr Besitz
für Rußland war, um die Küsten des Pontus zu sichern, ließ Nicolaus in der
unsichern Stellung unter schwachen Hospodaren, obwohl ihm seit Jahren der re¬
volutionäre Geist in denselben ein Gräuel war und seiner Administration große
Unbequemlichkeiten brachte; er duldete dies, uicht mir weil er den Widerspruch
anderer Mächte scheute, sondern zumeist deshalb, weil es ihm gefährlich schien,
die südslavischen Stämme in seinen Bannkreis zu ziehen.

Im vorigen Jahr hat sich das politische Erdbeben bis in die Donaufürsten¬
thümer fortgepflanzt, die ungeheuren slavischen Forderungen, Aufhebung der Leib¬
eigenschaft, der Privilegien, der Schrei nach allgemeinen Menschenrechten, nach
sicherm Eigenthum und sicherm Gesetz wurden auch in den Fürstentümern laut.
Die Hospodare, die Bojaren sollten gestürzt werden, die Revolution wurde pro-
clamirt. Vielleicht hat Nicolaus seit jener polnischen Revolution keinen ernstern
Tag gehabt als den, wo ihm der Aufstand der Rumänien gemeldet wurde; ihn
zu dulden hätte nichts anderes geheißen, als sein Nußland dnrch ein schleichendes
Gift zu zerstören, sie zu nehmen, hieß den Kampf mit Westeuropa beginnen.
Zögernd besetzten seine Heere die Donaufürstenthümer; mit diesem Akt trat Nu߬
land in eine ganz veränderte Stellung zu Europa, in eine neue Phase seiner
Politik. Rußland kann fortan keine freien Rumainen, keine freien Serben, keine
westeuropäische Organisation der südlichen Slaven neben sich dulden, es darf
uicht, wenn es nicht mit ewigen Verschwörungen und Völkerkrämpsen in seinem
Innern behaftet sein will.

Nun aber ist das ganze Untcrdonaugcbiet, auch das bisher türkische so
aufgewühlt, in einem neuen Krystallilationsprozeß begriffen, daß jedes Wollen
und Thun des einen Volksstammes sich blitzschnell den Uebrigen mittheilt. Alle
Rumainen, alle Serben, östreichische und türkische, haben jetzt schon die Empfin¬
dung, daß sie ein Volk sind, einen einigen Staat bilden müssen. Jnstinct-
mäßig ging ihr Haß bis jetzt nach Rußland, ihre Neigung nach Oestreich. Die
Numaiuen in Siebenbürgen haben widersprochen, als die Sachsen den russi¬
schen General zu Hilfe riefen; die türkischen Ser-ben sind im vorigen Jahre in
großen Heereshaufen ihren Brüdern im Banat zu Hilfe gezogen. Der Divan
konnte das nicht verhindern und wollte es nicht, so wenig er die Jnsurrection
der Fürstenthümer hinderte. Er erkannte in Beidem sehr gut den Stachel in der
russischen Ferse. In Bosnien, bis nach der Küste von Dalmatien ist die Auf-


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[0394] wärts thut, Gefahren für das Prinzip Rußlands bringen, ja ein Verhängniß für sein Reich werden kann. Mit Mühe und großen Opfern hat er seine Grenzen hermetisch gegen die „modernen Ideen" des übrigen Europa verschlossen, er mußte es thun, um in seinem Lande Herr zu bleiben; freudig bot er dem Metter- nich'schen Oestreich die Hand, weil dieses die unruhigen Südslaven in isolirter Er¬ starrung hielt und deshalb als treuer Verbündeter die russischen Grenzen sicherte. Selbst die Donaufürstenthümer, die Moldau und Walachei, so nöthig ihr Besitz für Rußland war, um die Küsten des Pontus zu sichern, ließ Nicolaus in der unsichern Stellung unter schwachen Hospodaren, obwohl ihm seit Jahren der re¬ volutionäre Geist in denselben ein Gräuel war und seiner Administration große Unbequemlichkeiten brachte; er duldete dies, uicht mir weil er den Widerspruch anderer Mächte scheute, sondern zumeist deshalb, weil es ihm gefährlich schien, die südslavischen Stämme in seinen Bannkreis zu ziehen. Im vorigen Jahr hat sich das politische Erdbeben bis in die Donaufürsten¬ thümer fortgepflanzt, die ungeheuren slavischen Forderungen, Aufhebung der Leib¬ eigenschaft, der Privilegien, der Schrei nach allgemeinen Menschenrechten, nach sicherm Eigenthum und sicherm Gesetz wurden auch in den Fürstentümern laut. Die Hospodare, die Bojaren sollten gestürzt werden, die Revolution wurde pro- clamirt. Vielleicht hat Nicolaus seit jener polnischen Revolution keinen ernstern Tag gehabt als den, wo ihm der Aufstand der Rumänien gemeldet wurde; ihn zu dulden hätte nichts anderes geheißen, als sein Nußland dnrch ein schleichendes Gift zu zerstören, sie zu nehmen, hieß den Kampf mit Westeuropa beginnen. Zögernd besetzten seine Heere die Donaufürstenthümer; mit diesem Akt trat Nu߬ land in eine ganz veränderte Stellung zu Europa, in eine neue Phase seiner Politik. Rußland kann fortan keine freien Rumainen, keine freien Serben, keine westeuropäische Organisation der südlichen Slaven neben sich dulden, es darf uicht, wenn es nicht mit ewigen Verschwörungen und Völkerkrämpsen in seinem Innern behaftet sein will. Nun aber ist das ganze Untcrdonaugcbiet, auch das bisher türkische so aufgewühlt, in einem neuen Krystallilationsprozeß begriffen, daß jedes Wollen und Thun des einen Volksstammes sich blitzschnell den Uebrigen mittheilt. Alle Rumainen, alle Serben, östreichische und türkische, haben jetzt schon die Empfin¬ dung, daß sie ein Volk sind, einen einigen Staat bilden müssen. Jnstinct- mäßig ging ihr Haß bis jetzt nach Rußland, ihre Neigung nach Oestreich. Die Numaiuen in Siebenbürgen haben widersprochen, als die Sachsen den russi¬ schen General zu Hilfe riefen; die türkischen Ser-ben sind im vorigen Jahre in großen Heereshaufen ihren Brüdern im Banat zu Hilfe gezogen. Der Divan konnte das nicht verhindern und wollte es nicht, so wenig er die Jnsurrection der Fürstenthümer hinderte. Er erkannte in Beidem sehr gut den Stachel in der russischen Ferse. In Bosnien, bis nach der Küste von Dalmatien ist die Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/394>, abgerufen am 22.12.2024.