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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Vater! laß uns überlegen, ob es nöthig ist. Sollen wir unsere


Gertr.

Heimath aufgeben, weil man uns verleumdet und alte Freunde unsre Thür meiden?
Sieh, Vater, ich trage mein Haupt so hoch, wie jemals, und wenn wir fliehen,
so sind wir feige.


Hiller.

Und doch ist Deine Wange erblichen, und ich habe gehört, Du,

Gertrud, mein starkes, muthiges Kind, Du hast geweint in Deiner Kammer.


Gertr.

Und habe ich's gethan, so habe ich getrauert über mich selbst und

über die Stunde, wo ich Einem fluchte, der aus unsrer Thür schritt. Das war
ein großes Unrecht, Vater, und das liegt schwer auf meiner Seele.


Hiller.

O gebe Gott, daß seine Rechnung dereinst nicht schlechter stehe,

als die Deine.

Wir hören nichts von ihm, wie es ihm gehen mag, er war noch


Gertr.

nicht genesen, als ich ihn forttrieb.

Denke nicht an ihn, wie ein dunkler Schatten ist er durch diese


Hiller.

Stube gegangen. Es hängt seit dem Tage über uns, wie ein Gewitter, und mir
ist bange und schwül zu Muth.

Ich will von jetzt an heiter sein, Vater; auch Du hilf dazu, Dich


Gertr.

zu zerstreuen.

Der Schreiner drüben hat mir ein Gebot gethan für Haus und


Hiller.

Garten; noch ist er wach, ich spreche noch heut bei ihm vor.

Du eilest sehr, Vater. >


Gertr.
Hiller.

Nun, ich gehe nur darüber schwatzen, das bindet noch nicht. --

Und Du fragst, warum ich eile, da ich doch sonst so bedenklich bin. -- Weil wir
hier sind wie drei müde Vögel über der großen See, wir haben in keinem Men¬
schenherzen so viel Land, daß wir uns darauf ausruhen können und bergen vor
dem Ungewitter. Hüte das Haus, Gertrud, bald bin ich zurück. (ab.)


Gertr.

Du guter Vater! Mir verbirgt er, wie viel ihn der Ent¬

(allein).

schluß kostet. O er hat Recht, es hängt über uns, wie eine verderbliche Wolke.
Nicht weiß ich, was uns droht, aber meine Seele ahnet Schlimmes und Trau¬
riges. Es möge kommen, mich findet es ergeben.

Georgine (in Kapuchon und Hülle).

Gertr.

Eine Fremde!

(bis in die Mitte des Zimmers tretend).

Gertrud Hiller, kennst


Georg,

Du mich?


Gertr.

Nein.

Sieh mir in's Gesicht, Du hast diesen Mund geküßt, und Deine


Georg.

Hand lag auf meiner Stirn, da sie heißer war als jetzt.

Das Antlitz ist mir fremd, ich kenne Sie nicht.


Gertr.

Die

(den Kapuchon von dem bürgerlich gescheitelten Haar zurückwerfend).

Georg,

Vater! laß uns überlegen, ob es nöthig ist. Sollen wir unsere


Gertr.

Heimath aufgeben, weil man uns verleumdet und alte Freunde unsre Thür meiden?
Sieh, Vater, ich trage mein Haupt so hoch, wie jemals, und wenn wir fliehen,
so sind wir feige.


Hiller.

Und doch ist Deine Wange erblichen, und ich habe gehört, Du,

Gertrud, mein starkes, muthiges Kind, Du hast geweint in Deiner Kammer.


Gertr.

Und habe ich's gethan, so habe ich getrauert über mich selbst und

über die Stunde, wo ich Einem fluchte, der aus unsrer Thür schritt. Das war
ein großes Unrecht, Vater, und das liegt schwer auf meiner Seele.


Hiller.

O gebe Gott, daß seine Rechnung dereinst nicht schlechter stehe,

als die Deine.

Wir hören nichts von ihm, wie es ihm gehen mag, er war noch


Gertr.

nicht genesen, als ich ihn forttrieb.

Denke nicht an ihn, wie ein dunkler Schatten ist er durch diese


Hiller.

Stube gegangen. Es hängt seit dem Tage über uns, wie ein Gewitter, und mir
ist bange und schwül zu Muth.

Ich will von jetzt an heiter sein, Vater; auch Du hilf dazu, Dich


Gertr.

zu zerstreuen.

Der Schreiner drüben hat mir ein Gebot gethan für Haus und


Hiller.

Garten; noch ist er wach, ich spreche noch heut bei ihm vor.

Du eilest sehr, Vater. >


Gertr.
Hiller.

Nun, ich gehe nur darüber schwatzen, das bindet noch nicht. —

Und Du fragst, warum ich eile, da ich doch sonst so bedenklich bin. — Weil wir
hier sind wie drei müde Vögel über der großen See, wir haben in keinem Men¬
schenherzen so viel Land, daß wir uns darauf ausruhen können und bergen vor
dem Ungewitter. Hüte das Haus, Gertrud, bald bin ich zurück. (ab.)


Gertr.

Du guter Vater! Mir verbirgt er, wie viel ihn der Ent¬

(allein).

schluß kostet. O er hat Recht, es hängt über uns, wie eine verderbliche Wolke.
Nicht weiß ich, was uns droht, aber meine Seele ahnet Schlimmes und Trau¬
riges. Es möge kommen, mich findet es ergeben.

Georgine (in Kapuchon und Hülle).

Gertr.

Eine Fremde!

(bis in die Mitte des Zimmers tretend).

Gertrud Hiller, kennst


Georg,

Du mich?


Gertr.

Nein.

Sieh mir in's Gesicht, Du hast diesen Mund geküßt, und Deine


Georg.

Hand lag auf meiner Stirn, da sie heißer war als jetzt.

Das Antlitz ist mir fremd, ich kenne Sie nicht.


Gertr.

Die

(den Kapuchon von dem bürgerlich gescheitelten Haar zurückwerfend).

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[0370] Vater! laß uns überlegen, ob es nöthig ist. Sollen wir unsere Gertr. Heimath aufgeben, weil man uns verleumdet und alte Freunde unsre Thür meiden? Sieh, Vater, ich trage mein Haupt so hoch, wie jemals, und wenn wir fliehen, so sind wir feige. Hiller. Und doch ist Deine Wange erblichen, und ich habe gehört, Du, Gertrud, mein starkes, muthiges Kind, Du hast geweint in Deiner Kammer. Gertr. Und habe ich's gethan, so habe ich getrauert über mich selbst und über die Stunde, wo ich Einem fluchte, der aus unsrer Thür schritt. Das war ein großes Unrecht, Vater, und das liegt schwer auf meiner Seele. Hiller. O gebe Gott, daß seine Rechnung dereinst nicht schlechter stehe, als die Deine. Wir hören nichts von ihm, wie es ihm gehen mag, er war noch Gertr. nicht genesen, als ich ihn forttrieb. Denke nicht an ihn, wie ein dunkler Schatten ist er durch diese Hiller. Stube gegangen. Es hängt seit dem Tage über uns, wie ein Gewitter, und mir ist bange und schwül zu Muth. Ich will von jetzt an heiter sein, Vater; auch Du hilf dazu, Dich Gertr. zu zerstreuen. Der Schreiner drüben hat mir ein Gebot gethan für Haus und Hiller. Garten; noch ist er wach, ich spreche noch heut bei ihm vor. Du eilest sehr, Vater. > Gertr. Hiller. Nun, ich gehe nur darüber schwatzen, das bindet noch nicht. — Und Du fragst, warum ich eile, da ich doch sonst so bedenklich bin. — Weil wir hier sind wie drei müde Vögel über der großen See, wir haben in keinem Men¬ schenherzen so viel Land, daß wir uns darauf ausruhen können und bergen vor dem Ungewitter. Hüte das Haus, Gertrud, bald bin ich zurück. (ab.) Gertr. Du guter Vater! Mir verbirgt er, wie viel ihn der Ent¬ (allein). schluß kostet. O er hat Recht, es hängt über uns, wie eine verderbliche Wolke. Nicht weiß ich, was uns droht, aber meine Seele ahnet Schlimmes und Trau¬ riges. Es möge kommen, mich findet es ergeben. Georgine (in Kapuchon und Hülle). Gertr. Eine Fremde! (bis in die Mitte des Zimmers tretend). Gertrud Hiller, kennst Georg, Du mich? Gertr. Nein. Sieh mir in's Gesicht, Du hast diesen Mund geküßt, und Deine Georg. Hand lag auf meiner Stirn, da sie heißer war als jetzt. Das Antlitz ist mir fremd, ich kenne Sie nicht. Gertr. Die (den Kapuchon von dem bürgerlich gescheitelten Haar zurückwerfend). Georg,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/370>, abgerufen am 23.07.2024.