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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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eng anders, denn als Sklaven die dem SiegeSwagen des TriumphatorS folgen.
Ich wüßte kaum ein Buch zu nennen, wo die römische Kirche diplomatischer und
doch dabei anscheinend so völlig absichtslos vertheidigt wird: ich kenne, nächst
Rousseau's Schriften, keine, wo der Leser schärfer auf seiner Hut sei" müßte, um
uicht von den einfachsten Maximen zu den unhaltbarsten Consequenzen verleitet zu
werden. Gleich in der Vorrede heißt es: Sind die ersten Einrichtungen einer Ver¬
fassung noch vorhanden und ist blos das Verständniß derselben dem größeren Theile
der Zeitgenossen abhanden gekommen, so ist die Aufgabe die, den Sinn dafür
wieder zu beleben." Habe ich noch nöthig, dies ans dem Ultramontanen in'S
Deutsche zu übersetzen? Mag es das Werk statt meiner thun. Mit der größten
Vorsicht, mit der genauesten Sichtung unterscheidet Walter in dessen ganzem Ver¬
folge, was noch zu halten, was wiederherzustellen, was aufzugeben ist. Aber
selbst bei dem, was er fallen läßt, trägt er stets Sorge, das Odium von der
Kirche ab auf andere Institutionell zu wälzen. Bei Gelegenheit der Inquisition
sagt er: "die Ketzerei ward nur in so fern bürgerlich gestraft, als sie in ein bür¬
gerliches Verbrechen überging -- weil nämlich die Kaiser Schutzherren der Kirche
waren. Spricht man also gegen Ketzerstrafen , so klage man nicht die Kirche, son¬
dern die politische Ordnung jener Zeit an." Ist das gleich Wahnsinn, hat er
doch Methode! Also der Herr Professor weiß nicht, daß die Inquisition gerade
jener Zeit ihr Entstehen verdankt, wo die Päpste nicht mehr zufrieden waren mit
der gewaltigen geistigen Macht, die ihnen das Schutzamt über die Völker ge-
gegen die Fürsten verlieh? wo sie den Krummstab Gregor's VII. fortwarfen, um
ihn unter Innocenz III. mit dem Scepter zu vertauschen? -- weiß nicht, daß bei
den Jnquisitionstribunalen so gut wie bei dem protestantischen Surrogat der He-
xenprocesse, pfäffische und fürstliche Willkür sich gegenseitig in die Hände arbeiteten?
Bei der Theilung der Beute freilich, erhielt die weltliche- Macht den Antheil des
Löwen und die Kirche grub sich ihr eigenes Grab, durch die Albigenserkriege nicht
minder, als durch den dreißigjährigen Krieg. Ich sage: "weiß nicht" -- denn
"will nicht wissen" ist eine komische Phrase, wie ich aus Lessing gelernt. --

Noch ein Beispiel subtiler Deduktion! Ans der unbestreitbaren Maxime, "daß
Sittlichkeit, Wissenschaft, Kunst und Religion, ans ihre eigenen Gesetze gegründet,
nicht vom Willen der Regierung abhängig sind," wird die Consequenz entwickelt:
"die Kirche als Leiterin des religiösen Elements wirke, wie der Staat, frei für
ihre Bestimmung ans ihrem Gebiete, daß beide Eingriffe mit Schonung ab¬
wehren und sich wie hilfreiche ^Glieder eines Körpers erzeigen müssen." Was
würde der Professor dazu sagen, wenn nun auch Philosophen, Künstler, Gelehrte
"ach derselben Logik beanspruchten, als gesonderte Körperschaften, Staaten im
Staate zu bilden? Denn diese sind offenbar zu verstehen, "nnter hilfreichen Gliedern,"
wie könnte sonst von gegenseitigen Eingriffen die Rede sein? -- Am Spaß-


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eng anders, denn als Sklaven die dem SiegeSwagen des TriumphatorS folgen.
Ich wüßte kaum ein Buch zu nennen, wo die römische Kirche diplomatischer und
doch dabei anscheinend so völlig absichtslos vertheidigt wird: ich kenne, nächst
Rousseau's Schriften, keine, wo der Leser schärfer auf seiner Hut sei» müßte, um
uicht von den einfachsten Maximen zu den unhaltbarsten Consequenzen verleitet zu
werden. Gleich in der Vorrede heißt es: Sind die ersten Einrichtungen einer Ver¬
fassung noch vorhanden und ist blos das Verständniß derselben dem größeren Theile
der Zeitgenossen abhanden gekommen, so ist die Aufgabe die, den Sinn dafür
wieder zu beleben." Habe ich noch nöthig, dies ans dem Ultramontanen in'S
Deutsche zu übersetzen? Mag es das Werk statt meiner thun. Mit der größten
Vorsicht, mit der genauesten Sichtung unterscheidet Walter in dessen ganzem Ver¬
folge, was noch zu halten, was wiederherzustellen, was aufzugeben ist. Aber
selbst bei dem, was er fallen läßt, trägt er stets Sorge, das Odium von der
Kirche ab auf andere Institutionell zu wälzen. Bei Gelegenheit der Inquisition
sagt er: „die Ketzerei ward nur in so fern bürgerlich gestraft, als sie in ein bür¬
gerliches Verbrechen überging — weil nämlich die Kaiser Schutzherren der Kirche
waren. Spricht man also gegen Ketzerstrafen , so klage man nicht die Kirche, son¬
dern die politische Ordnung jener Zeit an." Ist das gleich Wahnsinn, hat er
doch Methode! Also der Herr Professor weiß nicht, daß die Inquisition gerade
jener Zeit ihr Entstehen verdankt, wo die Päpste nicht mehr zufrieden waren mit
der gewaltigen geistigen Macht, die ihnen das Schutzamt über die Völker ge-
gegen die Fürsten verlieh? wo sie den Krummstab Gregor's VII. fortwarfen, um
ihn unter Innocenz III. mit dem Scepter zu vertauschen? — weiß nicht, daß bei
den Jnquisitionstribunalen so gut wie bei dem protestantischen Surrogat der He-
xenprocesse, pfäffische und fürstliche Willkür sich gegenseitig in die Hände arbeiteten?
Bei der Theilung der Beute freilich, erhielt die weltliche- Macht den Antheil des
Löwen und die Kirche grub sich ihr eigenes Grab, durch die Albigenserkriege nicht
minder, als durch den dreißigjährigen Krieg. Ich sage: „weiß nicht" — denn
„will nicht wissen" ist eine komische Phrase, wie ich aus Lessing gelernt. —

Noch ein Beispiel subtiler Deduktion! Ans der unbestreitbaren Maxime, „daß
Sittlichkeit, Wissenschaft, Kunst und Religion, ans ihre eigenen Gesetze gegründet,
nicht vom Willen der Regierung abhängig sind," wird die Consequenz entwickelt:
„die Kirche als Leiterin des religiösen Elements wirke, wie der Staat, frei für
ihre Bestimmung ans ihrem Gebiete, daß beide Eingriffe mit Schonung ab¬
wehren und sich wie hilfreiche ^Glieder eines Körpers erzeigen müssen." Was
würde der Professor dazu sagen, wenn nun auch Philosophen, Künstler, Gelehrte
«ach derselben Logik beanspruchten, als gesonderte Körperschaften, Staaten im
Staate zu bilden? Denn diese sind offenbar zu verstehen, „nnter hilfreichen Gliedern,"
wie könnte sonst von gegenseitigen Eingriffen die Rede sein? — Am Spaß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/361>, abgerufen am 23.07.2024.