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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gegneten. In der "Herrmannsschlacht" hat er die ganze Gluth seiner vaterländi¬
schen Begeisterung ausgeströmt. Es ist nicht Augustus, nicht Varus und seine
Legionen, denen dieser Haß gilt; es ist Napoleon und die Werkzeuge seiner Ty¬
rannei. Wie wendet er die alte Geschichte?

Im Norden Deutschlands herrscht ein mächtiger Kriegerfürst, Armin, im Sü¬
den der große Marbvd, in engen Verhältnissen zum römischen Kaiser; in der
Mitte eine Reihe kleiner Fürsten, die theils im römischen Rheinbund Ehre und
Erwerb suchen, theils in unsicherer Vereinzelung verkümmern. In der allgemeinen
Rathlosigkeit saßt Armin ohne Zuziehung der übrigen den großen Plan, die Le¬
gionen des Varus und damit die Römerherrschaft überhaupt zu vernichten. Aber
ohne Marbods Hilfe ist er zu schwach; um den stolzen König zu gewinnen, bietet
er ihm die Krone Deutschlands an, und beugt nach der Schlacht vor ihm das
Knie. Marbvd wird gerührt, der Patriotismus drängt den Trotz der Selbststän-
digkeit zurück und er ruft den Retter Germaniens zum König der Deutschen aus.
Mit den kleinen Fürsten, die sich an Rom verkauft, und nun auf das Recht ihrer
Souveränität pochen, wird kurzer Proceß gemacht; es wird ihnen, den Rhein¬
bündlern, der Kopf abgeschlagen.

Ein böses Omen! die Geschichte erzählt es anders. Marbvd blieb den Römern
treu und sein Reich fiel als Beute den Fremden; nur das eigentliche Deutschland
wußte der nordische Kriegsfürst frei zu halten. Freilich wehten gemeinsam die
östreichischen und preußischen Fahnen den alliirten Heeren voran, als sie die Fran¬
zosen vom deutschen Boden verjagten, aber das war nicht ein blos deutscher Krieg,
es war die Erhebung der unterdrückten Nationen gegen den gemeinsamen Unter¬
drücker. Sollte auf's Neue der Feind den Rhein überschreiten, so werden Oest¬
reichs und Preußens Heere wieder zusammenstchn, denn mächtiger noch als die
gemeinsamen Sympathien verbünden sie die gemeinsamen Interessen.

Ohne diesen äußern Zwang wird aber der Norden mit dem Süden sich nim-
mer einigen, denn eine solche Einigung läuft wider die Natur der Verhältnisse.
Unsere Geschichte weist uns eine andere Bahn. Die kleinen Fürsten mögen wi¬
derstreben, ihre "Völker" mögen sie vorwärts treiben auf der Bahn des Parti-
cularismus, so weit es geht; die Nothwendigkeit werden sie nicht zwingen. Der
kriegerische Marbvd kann für sich den Italienern trotzen, die Schlagadern des
deutschen Herzens gehn nach Norden. Gegen den Osten und den Westen werden
die verbrüderten Stämme sich gemeinsam zu behaupten wissen.

Preußen wird nicht östreichisch werden. Es kann es nicht, auch wenn seine
Machthaber es wollten. Oestreich selber kann es nicht wünschen, wenn es zu sich
selbst kommt. Noch weniger aber wird Preußen dem corrosiven Einfluß deS Ra¬
dikalismus unterliegen, der jede Macht untergraben möchte, um freie Hand zu
seinen knabenhaften Gelüsten zu haben. Hätte Preußen vor zwei Jahren sich con-
stituirt, so wäre schon heute Deutschlands Geschichte eine andere. Daß es nicht


gegneten. In der „Herrmannsschlacht" hat er die ganze Gluth seiner vaterländi¬
schen Begeisterung ausgeströmt. Es ist nicht Augustus, nicht Varus und seine
Legionen, denen dieser Haß gilt; es ist Napoleon und die Werkzeuge seiner Ty¬
rannei. Wie wendet er die alte Geschichte?

Im Norden Deutschlands herrscht ein mächtiger Kriegerfürst, Armin, im Sü¬
den der große Marbvd, in engen Verhältnissen zum römischen Kaiser; in der
Mitte eine Reihe kleiner Fürsten, die theils im römischen Rheinbund Ehre und
Erwerb suchen, theils in unsicherer Vereinzelung verkümmern. In der allgemeinen
Rathlosigkeit saßt Armin ohne Zuziehung der übrigen den großen Plan, die Le¬
gionen des Varus und damit die Römerherrschaft überhaupt zu vernichten. Aber
ohne Marbods Hilfe ist er zu schwach; um den stolzen König zu gewinnen, bietet
er ihm die Krone Deutschlands an, und beugt nach der Schlacht vor ihm das
Knie. Marbvd wird gerührt, der Patriotismus drängt den Trotz der Selbststän-
digkeit zurück und er ruft den Retter Germaniens zum König der Deutschen aus.
Mit den kleinen Fürsten, die sich an Rom verkauft, und nun auf das Recht ihrer
Souveränität pochen, wird kurzer Proceß gemacht; es wird ihnen, den Rhein¬
bündlern, der Kopf abgeschlagen.

Ein böses Omen! die Geschichte erzählt es anders. Marbvd blieb den Römern
treu und sein Reich fiel als Beute den Fremden; nur das eigentliche Deutschland
wußte der nordische Kriegsfürst frei zu halten. Freilich wehten gemeinsam die
östreichischen und preußischen Fahnen den alliirten Heeren voran, als sie die Fran¬
zosen vom deutschen Boden verjagten, aber das war nicht ein blos deutscher Krieg,
es war die Erhebung der unterdrückten Nationen gegen den gemeinsamen Unter¬
drücker. Sollte auf's Neue der Feind den Rhein überschreiten, so werden Oest¬
reichs und Preußens Heere wieder zusammenstchn, denn mächtiger noch als die
gemeinsamen Sympathien verbünden sie die gemeinsamen Interessen.

Ohne diesen äußern Zwang wird aber der Norden mit dem Süden sich nim-
mer einigen, denn eine solche Einigung läuft wider die Natur der Verhältnisse.
Unsere Geschichte weist uns eine andere Bahn. Die kleinen Fürsten mögen wi¬
derstreben, ihre „Völker" mögen sie vorwärts treiben auf der Bahn des Parti-
cularismus, so weit es geht; die Nothwendigkeit werden sie nicht zwingen. Der
kriegerische Marbvd kann für sich den Italienern trotzen, die Schlagadern des
deutschen Herzens gehn nach Norden. Gegen den Osten und den Westen werden
die verbrüderten Stämme sich gemeinsam zu behaupten wissen.

Preußen wird nicht östreichisch werden. Es kann es nicht, auch wenn seine
Machthaber es wollten. Oestreich selber kann es nicht wünschen, wenn es zu sich
selbst kommt. Noch weniger aber wird Preußen dem corrosiven Einfluß deS Ra¬
dikalismus unterliegen, der jede Macht untergraben möchte, um freie Hand zu
seinen knabenhaften Gelüsten zu haben. Hätte Preußen vor zwei Jahren sich con-
stituirt, so wäre schon heute Deutschlands Geschichte eine andere. Daß es nicht


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[0352] gegneten. In der „Herrmannsschlacht" hat er die ganze Gluth seiner vaterländi¬ schen Begeisterung ausgeströmt. Es ist nicht Augustus, nicht Varus und seine Legionen, denen dieser Haß gilt; es ist Napoleon und die Werkzeuge seiner Ty¬ rannei. Wie wendet er die alte Geschichte? Im Norden Deutschlands herrscht ein mächtiger Kriegerfürst, Armin, im Sü¬ den der große Marbvd, in engen Verhältnissen zum römischen Kaiser; in der Mitte eine Reihe kleiner Fürsten, die theils im römischen Rheinbund Ehre und Erwerb suchen, theils in unsicherer Vereinzelung verkümmern. In der allgemeinen Rathlosigkeit saßt Armin ohne Zuziehung der übrigen den großen Plan, die Le¬ gionen des Varus und damit die Römerherrschaft überhaupt zu vernichten. Aber ohne Marbods Hilfe ist er zu schwach; um den stolzen König zu gewinnen, bietet er ihm die Krone Deutschlands an, und beugt nach der Schlacht vor ihm das Knie. Marbvd wird gerührt, der Patriotismus drängt den Trotz der Selbststän- digkeit zurück und er ruft den Retter Germaniens zum König der Deutschen aus. Mit den kleinen Fürsten, die sich an Rom verkauft, und nun auf das Recht ihrer Souveränität pochen, wird kurzer Proceß gemacht; es wird ihnen, den Rhein¬ bündlern, der Kopf abgeschlagen. Ein böses Omen! die Geschichte erzählt es anders. Marbvd blieb den Römern treu und sein Reich fiel als Beute den Fremden; nur das eigentliche Deutschland wußte der nordische Kriegsfürst frei zu halten. Freilich wehten gemeinsam die östreichischen und preußischen Fahnen den alliirten Heeren voran, als sie die Fran¬ zosen vom deutschen Boden verjagten, aber das war nicht ein blos deutscher Krieg, es war die Erhebung der unterdrückten Nationen gegen den gemeinsamen Unter¬ drücker. Sollte auf's Neue der Feind den Rhein überschreiten, so werden Oest¬ reichs und Preußens Heere wieder zusammenstchn, denn mächtiger noch als die gemeinsamen Sympathien verbünden sie die gemeinsamen Interessen. Ohne diesen äußern Zwang wird aber der Norden mit dem Süden sich nim- mer einigen, denn eine solche Einigung läuft wider die Natur der Verhältnisse. Unsere Geschichte weist uns eine andere Bahn. Die kleinen Fürsten mögen wi¬ derstreben, ihre „Völker" mögen sie vorwärts treiben auf der Bahn des Parti- cularismus, so weit es geht; die Nothwendigkeit werden sie nicht zwingen. Der kriegerische Marbvd kann für sich den Italienern trotzen, die Schlagadern des deutschen Herzens gehn nach Norden. Gegen den Osten und den Westen werden die verbrüderten Stämme sich gemeinsam zu behaupten wissen. Preußen wird nicht östreichisch werden. Es kann es nicht, auch wenn seine Machthaber es wollten. Oestreich selber kann es nicht wünschen, wenn es zu sich selbst kommt. Noch weniger aber wird Preußen dem corrosiven Einfluß deS Ra¬ dikalismus unterliegen, der jede Macht untergraben möchte, um freie Hand zu seinen knabenhaften Gelüsten zu haben. Hätte Preußen vor zwei Jahren sich con- stituirt, so wäre schon heute Deutschlands Geschichte eine andere. Daß es nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/352>, abgerufen am 03.07.2024.