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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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für die Krone einstehn, denn sie ist das Symbol einer sittlichen Idee. -- Kehren
wir zu unserm Gedicht zurück.

Kleist ist der Anlage nach einer der glänzendsten Dichter unserer Nation;
dennoch machen seine Werke im Ganzen keinen wohlthuenden Eindruck. Mitten
im Rausch der herrlichsten Poesie durchbebt uns oft ein unheimlicher Frost; wir
werden um so mehr verstimmt, weil wir dennoch gefesselt bleiben. Im "Schrossen-
stein," im "Kohlhaas" verläuft sich der verständige und tief angelegte Plan plötzlich
in einem wunderlichen Irrgarten der Mystik; im "Käthchen" und der "Penthe-
silea" wird der schönste Zauber der Darstellung an eine krankhafte Leidenschaft ver¬
schwendet: dort erscheint die Liebe hündisch, hier tigerartig bacchantisch. In der
"Herrmannschlacht" ahnen wir den zornigen Blick und den nervigen Arm des
Helden, aber er ist in schmählichen Fesseln, und aus dem freien Helden¬
mut!) wird ein bitterer, verbissener Grimm. Der "Prinz von Homburg" wird
mit Recht als das beste seiner dramatischen Werke gerühmt, aber auch hier mischt
sich das fremdartige Element einer somnambul unreifen Stimmung in den Ernst
des sittlichen Conflicts und trübt seine Reinheit. Und bei Kleist sind die Fehler
um so bedenklicher, da sie aus seinem Innersten entspringen und tief in den
Organismus seiner Gestalten verwebt sind; man kann nicht schneiden, ohne ihren
Lebensnerv tödtlich zu verletzen.

Man wird Kleist würdigen, wenn man ihn als Product seiner Zeit betrachtet,
des Faustischen Dranges, der seiue Naivetät verloren hatte. In der Revolution hatte
sich practisch, in der Philosophie theoretisch der Glaube an das Ideal verzehrt, es war
nichts herausgekommen und der Geist war an sich selber irre geworden. Man
verlor sich in die trübe Mystik eines unnennbaren, unfühlbaren, unbegreiflichen
Ideals. Auf die stolze Selbstvergötterung der Fichteschen Zeit folgte das poly¬
penartige, irre Suchen der Naturphilosophie; die Apotheose der Dämmerung.
Aus dem Freiheitsdrang entwickelte sich die Romantik der specifischen Nationali¬
täten. Ueber Goethes helle Lebensweisheit breitete sich das trübe Gran des Ta¬
ges. Ein neumodisch raffinirtes Christenthum, eine erkünstelte nervöse Abspan¬
nung wurde die Modekrankheit. Schwächere Charaktere gestatteten diese Nichts¬
nutzigkeit des Lebens mit großer Naivetät zu idealen Bildern, an die sie glaub¬
ten ; stärkeren fraß der Zweifel an's Herz. Lord Byron ist ein Geistesverwandter
Kleist's; aber der Britte, in Mitten eines großen, bewegten und verständigen
Lebens mußte seine Krankheit lediglich ins Gemüth werfen; er schildert nur die
subjective Verkehrtheit, er weiß, daß sie verkehrt ist, die sittliche Welt ruht ihm in
festen Angeln; der deutsche Dichter dagegen hat bei dein tiefsten Gefühl an das
lebendige Recht und bei dem innigsten Glauben Augenblicke, wo ihm die Welt
verkehrt vorkommt. Der latente Wahnsinn, der sein Leben vergiftete und ihn
endlich zum Selbstmord trieb, tritt dann hervor; und das wirkt dann um so
peinlicher, da er immer den Anschein der Objectivität beibehält. Er läßt sich


für die Krone einstehn, denn sie ist das Symbol einer sittlichen Idee. — Kehren
wir zu unserm Gedicht zurück.

Kleist ist der Anlage nach einer der glänzendsten Dichter unserer Nation;
dennoch machen seine Werke im Ganzen keinen wohlthuenden Eindruck. Mitten
im Rausch der herrlichsten Poesie durchbebt uns oft ein unheimlicher Frost; wir
werden um so mehr verstimmt, weil wir dennoch gefesselt bleiben. Im „Schrossen-
stein," im „Kohlhaas" verläuft sich der verständige und tief angelegte Plan plötzlich
in einem wunderlichen Irrgarten der Mystik; im „Käthchen" und der „Penthe-
silea" wird der schönste Zauber der Darstellung an eine krankhafte Leidenschaft ver¬
schwendet: dort erscheint die Liebe hündisch, hier tigerartig bacchantisch. In der
„Herrmannschlacht" ahnen wir den zornigen Blick und den nervigen Arm des
Helden, aber er ist in schmählichen Fesseln, und aus dem freien Helden¬
mut!) wird ein bitterer, verbissener Grimm. Der „Prinz von Homburg" wird
mit Recht als das beste seiner dramatischen Werke gerühmt, aber auch hier mischt
sich das fremdartige Element einer somnambul unreifen Stimmung in den Ernst
des sittlichen Conflicts und trübt seine Reinheit. Und bei Kleist sind die Fehler
um so bedenklicher, da sie aus seinem Innersten entspringen und tief in den
Organismus seiner Gestalten verwebt sind; man kann nicht schneiden, ohne ihren
Lebensnerv tödtlich zu verletzen.

Man wird Kleist würdigen, wenn man ihn als Product seiner Zeit betrachtet,
des Faustischen Dranges, der seiue Naivetät verloren hatte. In der Revolution hatte
sich practisch, in der Philosophie theoretisch der Glaube an das Ideal verzehrt, es war
nichts herausgekommen und der Geist war an sich selber irre geworden. Man
verlor sich in die trübe Mystik eines unnennbaren, unfühlbaren, unbegreiflichen
Ideals. Auf die stolze Selbstvergötterung der Fichteschen Zeit folgte das poly¬
penartige, irre Suchen der Naturphilosophie; die Apotheose der Dämmerung.
Aus dem Freiheitsdrang entwickelte sich die Romantik der specifischen Nationali¬
täten. Ueber Goethes helle Lebensweisheit breitete sich das trübe Gran des Ta¬
ges. Ein neumodisch raffinirtes Christenthum, eine erkünstelte nervöse Abspan¬
nung wurde die Modekrankheit. Schwächere Charaktere gestatteten diese Nichts¬
nutzigkeit des Lebens mit großer Naivetät zu idealen Bildern, an die sie glaub¬
ten ; stärkeren fraß der Zweifel an's Herz. Lord Byron ist ein Geistesverwandter
Kleist's; aber der Britte, in Mitten eines großen, bewegten und verständigen
Lebens mußte seine Krankheit lediglich ins Gemüth werfen; er schildert nur die
subjective Verkehrtheit, er weiß, daß sie verkehrt ist, die sittliche Welt ruht ihm in
festen Angeln; der deutsche Dichter dagegen hat bei dein tiefsten Gefühl an das
lebendige Recht und bei dem innigsten Glauben Augenblicke, wo ihm die Welt
verkehrt vorkommt. Der latente Wahnsinn, der sein Leben vergiftete und ihn
endlich zum Selbstmord trieb, tritt dann hervor; und das wirkt dann um so
peinlicher, da er immer den Anschein der Objectivität beibehält. Er läßt sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/348>, abgerufen am 23.12.2024.