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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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siegreiche Straßenkampfe die Freiheit nicht erobert und nicht erhalten wer-,
den kann.

Bis jetzt hat die Ansicht gegolten, daß die Dynastie Orleans durch Barrika¬
den, durch die Kraft und Begeisterung der kämpfenden Pariser verjagt worden
sei. Wir theilen unsern Lesern einen Bericht aus Paris mit, welcher einige neue
Lichter in die chaotische Verwirrung der Februartage wirst. Er ist nach den Er¬
zählungen von Molo, Thiers und Bugeaud gemacht und stützt sich nach der Ver¬
sicherung des Absenders, eines früheren Korrespondenten der Grenzboten, auf offi-
cielle Noten. In kurzem sollen dieselben in einer Geschichte der Februar¬
revolution, von Dr. I. Bamberg, Braunschweig, Westermann, voll¬
ständiger mitgetheilt werden. Unsern Militärs wird Bngecmd's vereitelter Ope¬
rationsplan von Interesse sein.

Es war in der Nacht vom 23. zum 24. Februar. Die Nachricht von den
Vorfällen am Ministerium des Auswärtigen war nach den Tuilerien gekommen,
Alles ging dort bunt durch einander. Die größte Bestürzung und Muthlosigkeit
herrschte. Gegen Mitternacht sandte der König den General Berthois zu Thiers
und ließ ihn zu sich bescheiden, nachdem Graf Mol6 die Bildung eines neuen
Ministeriums ausgeschlagen hatte. Jaqncminot, General der Nationalgarde, spielte
den Beleidigten und wollte abdanken, weil sein Eidam Duchatel nicht mehr Mi¬
nister war und er Bugcaud's Ankunft voraussah. Er wurde allgemein verachtet. --
Die besonnenen Militärs riethen zur Defensive, und Barrikaden gegen Barrikaden
zu setzen. Ein Schlvßbeamter sagte dasselbe zum Herzog von Nemours, den er
an der Treppe traf, die zum Generalstab führte: "Es bleibt Ihnen jetzt nichts weiter
übrig, als sich zu verschanzen. Kümmern Sie sich nicht um das, was in Paris
vorgeht, die Nationalgarde hat ihre Interessen verkannt und den König verlassen,
warten Sie ab, bis sie durch die Excesse, die in der Stadt vorfallen werden,
eine Lection erhält." -- "Lieber," antwortete der Herzog von Nemours, "die
Lection würde zu hart sein." Darauf eilte derselbe Beamte zu Herrn v. ChabanneS
und bat ihn inständigst zum König zu gehen und ihm zu sagen, daß seine Krone
in höchster Gefahr sei. Der ernste Mann schüttelte den Kopf und ging zum Kö¬
nig. Louis Philipp begriff auch jetzt den ganzen Ernst seiner Lage, er hatte sich
entschlossen, dem Marschall Bngeaud den Oberbefehl über die Narionalgarde und
über die Armee von Paris zu geben. Der Marschall kam in der Nacht, fast
gleichzeitig mit Thiers in den Tuilerien an und sagte: "Ich soll der Arzt eines
verlorenen Falles sein!" übernahm aber dennoch den gefährlichen Posten.

Ludwig Philipp mußte einen der härtesten Augenblicke seines Lebens bestehen,
als er sich in die Nothwendigkeit versitzt sah, Thiers zur Bildung eines Ministe¬
riums rufen zu lassen. Von allen Männern, welche der König während seiner
Politischen Laufbahn an sich gezogen hatte, bekämpfte Thiers sein persönliches Re¬
gieren am hartnäckigsten. Es war eine alte, persönliche Feindschaft zwischen dem.


siegreiche Straßenkampfe die Freiheit nicht erobert und nicht erhalten wer-,
den kann.

Bis jetzt hat die Ansicht gegolten, daß die Dynastie Orleans durch Barrika¬
den, durch die Kraft und Begeisterung der kämpfenden Pariser verjagt worden
sei. Wir theilen unsern Lesern einen Bericht aus Paris mit, welcher einige neue
Lichter in die chaotische Verwirrung der Februartage wirst. Er ist nach den Er¬
zählungen von Molo, Thiers und Bugeaud gemacht und stützt sich nach der Ver¬
sicherung des Absenders, eines früheren Korrespondenten der Grenzboten, auf offi-
cielle Noten. In kurzem sollen dieselben in einer Geschichte der Februar¬
revolution, von Dr. I. Bamberg, Braunschweig, Westermann, voll¬
ständiger mitgetheilt werden. Unsern Militärs wird Bngecmd's vereitelter Ope¬
rationsplan von Interesse sein.

Es war in der Nacht vom 23. zum 24. Februar. Die Nachricht von den
Vorfällen am Ministerium des Auswärtigen war nach den Tuilerien gekommen,
Alles ging dort bunt durch einander. Die größte Bestürzung und Muthlosigkeit
herrschte. Gegen Mitternacht sandte der König den General Berthois zu Thiers
und ließ ihn zu sich bescheiden, nachdem Graf Mol6 die Bildung eines neuen
Ministeriums ausgeschlagen hatte. Jaqncminot, General der Nationalgarde, spielte
den Beleidigten und wollte abdanken, weil sein Eidam Duchatel nicht mehr Mi¬
nister war und er Bugcaud's Ankunft voraussah. Er wurde allgemein verachtet. —
Die besonnenen Militärs riethen zur Defensive, und Barrikaden gegen Barrikaden
zu setzen. Ein Schlvßbeamter sagte dasselbe zum Herzog von Nemours, den er
an der Treppe traf, die zum Generalstab führte: „Es bleibt Ihnen jetzt nichts weiter
übrig, als sich zu verschanzen. Kümmern Sie sich nicht um das, was in Paris
vorgeht, die Nationalgarde hat ihre Interessen verkannt und den König verlassen,
warten Sie ab, bis sie durch die Excesse, die in der Stadt vorfallen werden,
eine Lection erhält." — „Lieber," antwortete der Herzog von Nemours, „die
Lection würde zu hart sein." Darauf eilte derselbe Beamte zu Herrn v. ChabanneS
und bat ihn inständigst zum König zu gehen und ihm zu sagen, daß seine Krone
in höchster Gefahr sei. Der ernste Mann schüttelte den Kopf und ging zum Kö¬
nig. Louis Philipp begriff auch jetzt den ganzen Ernst seiner Lage, er hatte sich
entschlossen, dem Marschall Bngeaud den Oberbefehl über die Narionalgarde und
über die Armee von Paris zu geben. Der Marschall kam in der Nacht, fast
gleichzeitig mit Thiers in den Tuilerien an und sagte: „Ich soll der Arzt eines
verlorenen Falles sein!" übernahm aber dennoch den gefährlichen Posten.

Ludwig Philipp mußte einen der härtesten Augenblicke seines Lebens bestehen,
als er sich in die Nothwendigkeit versitzt sah, Thiers zur Bildung eines Ministe¬
riums rufen zu lassen. Von allen Männern, welche der König während seiner
Politischen Laufbahn an sich gezogen hatte, bekämpfte Thiers sein persönliches Re¬
gieren am hartnäckigsten. Es war eine alte, persönliche Feindschaft zwischen dem.


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[0341] siegreiche Straßenkampfe die Freiheit nicht erobert und nicht erhalten wer-, den kann. Bis jetzt hat die Ansicht gegolten, daß die Dynastie Orleans durch Barrika¬ den, durch die Kraft und Begeisterung der kämpfenden Pariser verjagt worden sei. Wir theilen unsern Lesern einen Bericht aus Paris mit, welcher einige neue Lichter in die chaotische Verwirrung der Februartage wirst. Er ist nach den Er¬ zählungen von Molo, Thiers und Bugeaud gemacht und stützt sich nach der Ver¬ sicherung des Absenders, eines früheren Korrespondenten der Grenzboten, auf offi- cielle Noten. In kurzem sollen dieselben in einer Geschichte der Februar¬ revolution, von Dr. I. Bamberg, Braunschweig, Westermann, voll¬ ständiger mitgetheilt werden. Unsern Militärs wird Bngecmd's vereitelter Ope¬ rationsplan von Interesse sein. Es war in der Nacht vom 23. zum 24. Februar. Die Nachricht von den Vorfällen am Ministerium des Auswärtigen war nach den Tuilerien gekommen, Alles ging dort bunt durch einander. Die größte Bestürzung und Muthlosigkeit herrschte. Gegen Mitternacht sandte der König den General Berthois zu Thiers und ließ ihn zu sich bescheiden, nachdem Graf Mol6 die Bildung eines neuen Ministeriums ausgeschlagen hatte. Jaqncminot, General der Nationalgarde, spielte den Beleidigten und wollte abdanken, weil sein Eidam Duchatel nicht mehr Mi¬ nister war und er Bugcaud's Ankunft voraussah. Er wurde allgemein verachtet. — Die besonnenen Militärs riethen zur Defensive, und Barrikaden gegen Barrikaden zu setzen. Ein Schlvßbeamter sagte dasselbe zum Herzog von Nemours, den er an der Treppe traf, die zum Generalstab führte: „Es bleibt Ihnen jetzt nichts weiter übrig, als sich zu verschanzen. Kümmern Sie sich nicht um das, was in Paris vorgeht, die Nationalgarde hat ihre Interessen verkannt und den König verlassen, warten Sie ab, bis sie durch die Excesse, die in der Stadt vorfallen werden, eine Lection erhält." — „Lieber," antwortete der Herzog von Nemours, „die Lection würde zu hart sein." Darauf eilte derselbe Beamte zu Herrn v. ChabanneS und bat ihn inständigst zum König zu gehen und ihm zu sagen, daß seine Krone in höchster Gefahr sei. Der ernste Mann schüttelte den Kopf und ging zum Kö¬ nig. Louis Philipp begriff auch jetzt den ganzen Ernst seiner Lage, er hatte sich entschlossen, dem Marschall Bngeaud den Oberbefehl über die Narionalgarde und über die Armee von Paris zu geben. Der Marschall kam in der Nacht, fast gleichzeitig mit Thiers in den Tuilerien an und sagte: „Ich soll der Arzt eines verlorenen Falles sein!" übernahm aber dennoch den gefährlichen Posten. Ludwig Philipp mußte einen der härtesten Augenblicke seines Lebens bestehen, als er sich in die Nothwendigkeit versitzt sah, Thiers zur Bildung eines Ministe¬ riums rufen zu lassen. Von allen Männern, welche der König während seiner Politischen Laufbahn an sich gezogen hatte, bekämpfte Thiers sein persönliches Re¬ gieren am hartnäckigsten. Es war eine alte, persönliche Feindschaft zwischen dem.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/341>, abgerufen am 23.07.2024.