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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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man zerschlägt die trotzigen Burgen Ungarn und Galizien und weiß mit den neuen
Völkertrümmern, Serben, Wallachen, Kroaten, Slovaken, Ruthcnen nichts rechtes
anzufangen, hier werden freigebige Concessionen gemacht, dort das rohe Selbst¬
gefühl unnöthig verletzt, die großen Städte regiert der Belagerungszustand, die
Feldherrn trotzen den Ministern, Eeparatgclüste, die mau in Galizien und im
Banat u. s. w. privilegirt hat, werden in Böhmen und Kroatien und Istrien un¬
leidlich, die ungeheuren Heeresmassen schlagen den Finanzen Todeswunden, der
Mangel an Silbergeld frißt als Fäulniß an dein geschäftlichen Verkehr; Mißtrauen,
Hoffnunfslvsigkeit, dumpfe Resignation herrschen im Lande. Wie weit das Mi¬
nisterium an dieser trostlosen Lage Theil hat, verdient eine besondere Besprechung.
Sie fing ihm aber bereits an fühlbar zu werden, als Schmerling nach Ollmütz
kam und die Ansichten des Ministeriums über die Bedeutung der Paulskirche än¬
dern half. Es ist gleichgültig, ob Schmerling Alles verschuldet hat, was von
dem Ministerium seit jener Zeit in falscher Richtung beschlossen wurde; wir wollen
die folgenden Schlüsse nicht als von ihm gesprochen anführen; sicher ist, daß sie
zur Geltung kamen. Es wurde den Ministern gesagt: Man hat die Paulskirche
bis jetzt mit Achselzucken abgefertigt, oder als ein Revolutionstribunal mit Wi¬
derwillen betrachtet, beides ist Unrecht. Die Wirksamkeit der Frankfurter Ver¬
sammlung wird jedenfalls eine sehr fruchtbare, bedeutende sein, selbst wenn
ihre Vcrfassungsprojccte sich als unpractisch erweisen sollten. Die politische Bil¬
dung, die Talente Deutschlands sind dort versammelt, sie ist eine großartige
Schule parlamentarischer Bildung und wird je nach der Richtung, welche sie ein¬
schlägt, die deutsche Volkspolitik der nächsten Zukunft bestimme". Ihr wendet euch
spröde ab, Preußen macht die nöthigen Avancen, seine Freunde sind zahlreich und
thätig, die meisten Talente hat es gewonnen. Für Oestreich ist ein Bundesstaat,
Preußen an der Spitze, aus zwei Gründen gefährlich, vielleicht tödtlich. Einmal
kaun Oestreich den Anschluß an Deutschland, an ein deutsches Parlament nicht
entbehren. Wie das Kaiserhaus steht, unter unsicheren Nationalitäten voll von
phantastischer Rohheit, oder feindlichen Sympathien, muß es eine feste Stütze in
seinen Erbländer haben, wenn es bestehen soll. Gegenwärtig hat es in Oestreich
diese nicht; der Boden ist dort unterwühlt, die politische Reife zu gering. Aber
es ist allerdings möglich die deutschen Provinzen selbst von Deutschland ans zu
befestigen, und die Bildung und größere Bedächtigkeit der übrigen deutschen Völ¬
ker, die würdige staatsmännische Haltung des Frankfurter Parlaments zu Bundes¬
genossen zu gewinnen gegen den studentischen Taumel unserer Calabresen und gegen
nicht deutsche Zumuthungen. Oestreich muß fest und sicher in Deutsch¬
land ruhen um die Stürme der nächsten Zukunft zu bestehn. --
Und zweitens darf sich keine starke Concentration deutscher Kraft ueben Oestreich
bilden, wenn der losgelöste Kaiserstaat nicht neue" unaufhörlichen Erschütterungen
ausgesetzt sein soll. Den" das starke Selbstgefühl, die freien Formen, in welchen


man zerschlägt die trotzigen Burgen Ungarn und Galizien und weiß mit den neuen
Völkertrümmern, Serben, Wallachen, Kroaten, Slovaken, Ruthcnen nichts rechtes
anzufangen, hier werden freigebige Concessionen gemacht, dort das rohe Selbst¬
gefühl unnöthig verletzt, die großen Städte regiert der Belagerungszustand, die
Feldherrn trotzen den Ministern, Eeparatgclüste, die mau in Galizien und im
Banat u. s. w. privilegirt hat, werden in Böhmen und Kroatien und Istrien un¬
leidlich, die ungeheuren Heeresmassen schlagen den Finanzen Todeswunden, der
Mangel an Silbergeld frißt als Fäulniß an dein geschäftlichen Verkehr; Mißtrauen,
Hoffnunfslvsigkeit, dumpfe Resignation herrschen im Lande. Wie weit das Mi¬
nisterium an dieser trostlosen Lage Theil hat, verdient eine besondere Besprechung.
Sie fing ihm aber bereits an fühlbar zu werden, als Schmerling nach Ollmütz
kam und die Ansichten des Ministeriums über die Bedeutung der Paulskirche än¬
dern half. Es ist gleichgültig, ob Schmerling Alles verschuldet hat, was von
dem Ministerium seit jener Zeit in falscher Richtung beschlossen wurde; wir wollen
die folgenden Schlüsse nicht als von ihm gesprochen anführen; sicher ist, daß sie
zur Geltung kamen. Es wurde den Ministern gesagt: Man hat die Paulskirche
bis jetzt mit Achselzucken abgefertigt, oder als ein Revolutionstribunal mit Wi¬
derwillen betrachtet, beides ist Unrecht. Die Wirksamkeit der Frankfurter Ver¬
sammlung wird jedenfalls eine sehr fruchtbare, bedeutende sein, selbst wenn
ihre Vcrfassungsprojccte sich als unpractisch erweisen sollten. Die politische Bil¬
dung, die Talente Deutschlands sind dort versammelt, sie ist eine großartige
Schule parlamentarischer Bildung und wird je nach der Richtung, welche sie ein¬
schlägt, die deutsche Volkspolitik der nächsten Zukunft bestimme«. Ihr wendet euch
spröde ab, Preußen macht die nöthigen Avancen, seine Freunde sind zahlreich und
thätig, die meisten Talente hat es gewonnen. Für Oestreich ist ein Bundesstaat,
Preußen an der Spitze, aus zwei Gründen gefährlich, vielleicht tödtlich. Einmal
kaun Oestreich den Anschluß an Deutschland, an ein deutsches Parlament nicht
entbehren. Wie das Kaiserhaus steht, unter unsicheren Nationalitäten voll von
phantastischer Rohheit, oder feindlichen Sympathien, muß es eine feste Stütze in
seinen Erbländer haben, wenn es bestehen soll. Gegenwärtig hat es in Oestreich
diese nicht; der Boden ist dort unterwühlt, die politische Reife zu gering. Aber
es ist allerdings möglich die deutschen Provinzen selbst von Deutschland ans zu
befestigen, und die Bildung und größere Bedächtigkeit der übrigen deutschen Völ¬
ker, die würdige staatsmännische Haltung des Frankfurter Parlaments zu Bundes¬
genossen zu gewinnen gegen den studentischen Taumel unserer Calabresen und gegen
nicht deutsche Zumuthungen. Oestreich muß fest und sicher in Deutsch¬
land ruhen um die Stürme der nächsten Zukunft zu bestehn. —
Und zweitens darf sich keine starke Concentration deutscher Kraft ueben Oestreich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/326>, abgerufen am 23.07.2024.