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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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weil er von unklaren Köpfen principienlos zum Abgrund geführt wird; der Deut¬
sche, welcher in dem Document nur eine diplomatische Maske sieht, hinter welcher
sich ein Mephistopheles verbirgt, wird über das Ungeschickte der Komödie die
Achseln zucken; die Freunde und Gönner des Ministeriums, zu denen die Grenz-
boten gehören, werden an der Note wenigstens einen Stilfehler zu beklagen
haben, sie steckt noch zu sehr in allgemeinen Phrasen; das war bis vor Kur¬
zem uoch gut in Kremsier, für Frankfurt aber und die Norddeutschen ist es
Noccoco; die Note besticht nicht mehr, sie täuscht nicht mehr; die deutsche Revo¬
lution ist ein Jahr alt, das Lallen unbestimmter Töne hat aufgehört, man hat
bereits feste Vorstellungen und Ideen, welche man zu realisiren sucht; wenn man
heut in der Note von einem "stufenweisen Gange" zur Vereinigung hört, der mit
"dem guten Willen" beginnen soll, so thut man bereits die unverschämten Fragen,
was soll denn vereinigt werden? in welchen Schritten soll dieser stufenweise Gang
vor sich gehen? welche Interessen Deutschlands und Oestreichs können und dürfen
zusammenwachsen? -- Darauf bleibt die Note jede Antwort schuldig. Das ist ein
recht betrübender Stilfehler unserer armen Freunde in Ollmütz. Ihr hättet doch
wenigstens einige kleine Vereinigungspunkte aufzählen sollen, wäre eS auch nur
das Versprechen gewesen: "wir wollen alle zusammen stufenweise z.B. den Christ¬
katholicismus einnehmen, das kindliche Purgirmittel der frommen Deutschen, gegen
das Ihr so schönes Wohlwollen bereits bewiesen habt."

Aber unsere Leser verlangen den Inhalt der Note, welcher mit unseren Be¬
merkungen in kurzem Auszuge folgt:

"Ein starkes, souveränes Kaiserthum Oestreich ist für Deutschland und Eu¬
ropa nöthig; sein Kaiser verwahrt sich gegen jede Unterordnung unter eine
Centralgewalt, die von einem andern deutscheu Fürsten gehandhabt wird.

Von der Wahrheit und Nothwendigkeit dieser Sätze sind wir innig über¬
zeugt, wir haben uns dafür herumgeschlagen, als sie auch noch in Oestreich für
Verrath an der Freiheit galten.

"Die östreichische Regierung fühlt daS Bedürfniß der Wiedergeburt Deutsch¬
lands durch einen engern Verband der einzelnen Staaten. -- Sie sieht aber
in dem Wege, welchen die Nationalversammlung und das Ministerium Gagern
eingeschlagen hat, nicht den richtigen Weg zur Einigung.

"Ein engerer Bundesstaat, wie er beabsichtigt wird, würde Deutschland,
das durch den Wegfall Oestreichs verstümmelt wäre, allmälig in eine staatliche
Einheit verwandeln. Eine solche Einheit ist aber für Deutschland, auch Oest¬
reich abgerechnet, nicht wünschenswert!), denn sie würde die verschiedenen Bedürf¬
nisse, moralischen (!) und materiellen Interessen, die Ueberlieferungen der Ver¬
gangenheit und die Ansprüche an die Zukunft (der verschiedenen Theile) auf das
Tiefste verletzen, und die staatliche und persönliche Freiheit der Deutschen
hemmen."


weil er von unklaren Köpfen principienlos zum Abgrund geführt wird; der Deut¬
sche, welcher in dem Document nur eine diplomatische Maske sieht, hinter welcher
sich ein Mephistopheles verbirgt, wird über das Ungeschickte der Komödie die
Achseln zucken; die Freunde und Gönner des Ministeriums, zu denen die Grenz-
boten gehören, werden an der Note wenigstens einen Stilfehler zu beklagen
haben, sie steckt noch zu sehr in allgemeinen Phrasen; das war bis vor Kur¬
zem uoch gut in Kremsier, für Frankfurt aber und die Norddeutschen ist es
Noccoco; die Note besticht nicht mehr, sie täuscht nicht mehr; die deutsche Revo¬
lution ist ein Jahr alt, das Lallen unbestimmter Töne hat aufgehört, man hat
bereits feste Vorstellungen und Ideen, welche man zu realisiren sucht; wenn man
heut in der Note von einem „stufenweisen Gange" zur Vereinigung hört, der mit
„dem guten Willen" beginnen soll, so thut man bereits die unverschämten Fragen,
was soll denn vereinigt werden? in welchen Schritten soll dieser stufenweise Gang
vor sich gehen? welche Interessen Deutschlands und Oestreichs können und dürfen
zusammenwachsen? — Darauf bleibt die Note jede Antwort schuldig. Das ist ein
recht betrübender Stilfehler unserer armen Freunde in Ollmütz. Ihr hättet doch
wenigstens einige kleine Vereinigungspunkte aufzählen sollen, wäre eS auch nur
das Versprechen gewesen: „wir wollen alle zusammen stufenweise z.B. den Christ¬
katholicismus einnehmen, das kindliche Purgirmittel der frommen Deutschen, gegen
das Ihr so schönes Wohlwollen bereits bewiesen habt."

Aber unsere Leser verlangen den Inhalt der Note, welcher mit unseren Be¬
merkungen in kurzem Auszuge folgt:

„Ein starkes, souveränes Kaiserthum Oestreich ist für Deutschland und Eu¬
ropa nöthig; sein Kaiser verwahrt sich gegen jede Unterordnung unter eine
Centralgewalt, die von einem andern deutscheu Fürsten gehandhabt wird.

Von der Wahrheit und Nothwendigkeit dieser Sätze sind wir innig über¬
zeugt, wir haben uns dafür herumgeschlagen, als sie auch noch in Oestreich für
Verrath an der Freiheit galten.

„Die östreichische Regierung fühlt daS Bedürfniß der Wiedergeburt Deutsch¬
lands durch einen engern Verband der einzelnen Staaten. — Sie sieht aber
in dem Wege, welchen die Nationalversammlung und das Ministerium Gagern
eingeschlagen hat, nicht den richtigen Weg zur Einigung.

„Ein engerer Bundesstaat, wie er beabsichtigt wird, würde Deutschland,
das durch den Wegfall Oestreichs verstümmelt wäre, allmälig in eine staatliche
Einheit verwandeln. Eine solche Einheit ist aber für Deutschland, auch Oest¬
reich abgerechnet, nicht wünschenswert!), denn sie würde die verschiedenen Bedürf¬
nisse, moralischen (!) und materiellen Interessen, die Ueberlieferungen der Ver¬
gangenheit und die Ansprüche an die Zukunft (der verschiedenen Theile) auf das
Tiefste verletzen, und die staatliche und persönliche Freiheit der Deutschen
hemmen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/322>, abgerufen am 23.07.2024.