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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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tasche, aber sind das nicht Alles eher Vorzüge als Fehler? Und Du nennst mein
Leben zerfahren? -- Pfui Hugo, das sind die Ansichten eines Nachmittags¬
predigers.


Hugo.

Nicht was Du thust, will man schelten, sondern was Du nicht

thust. Du bist Standesherr, vielleicht der reichste Grundbescher des Landes, die
Stellung legt auch große Pflichten auf, gegen Dich selbst, gegen Deine Angehö¬
rigen, gegen das Land.

Mein Sohn, da thust Du mir wieder sehr Unrecht, und zwingst


Wald.

mich, mein eignes Lob zu singen. Für den Staat bin ich ja ein wahrer Pfeiler
des Ruhms. Habe ich jemals bei unseren öffentlichen Versammlungen gefehlt?
Habe ich uicht sogar Reden gehalten, die mit allem Flitterstaat moderner Phrasen
verbrämt waren und mehrere Zeitungen in Begeisterung versetzten, und wenn ich
aus langer Weile gähnen mußte, habe ich nicht stets mein Taschentuch vor den
Mund gehalten? -- Und ferner, bin ich nicht Ehrenmitglied oder Präsident un¬
zähliger wissenschaftlicher und gemeinnütziger Gesellschaften? Frage nur meinen
Secretair, der kennt ihre Namen. -- Und endlich meine Güter, meine Untertha¬
nen, denen bin ich ja ein wahrer Vater? Alle Jahre revidire ich meine Beamten,
alle fünf Jahre jage ich einen von ihnen wegen Unterschleif aus dem Dienst, was
willst Du mehr? Die Geistlichen auf meinen Gütern melken eine Kuh mehr, und
die Schulmeister mästen sich ein Ferkel mehr, als alle ihre College". -- Frage
doch bei meinen Bauern nach, ob ich ihnen nicht ein liebevoller Herr bin, ich
habe Nachsicht mit Steuerrcsten, und wenn ich ja ihre Frauen und Töchter küsse,
sieh mich an, Hugo, die kommende Generation wird deshalb nicht schlechter werden.


Hugo.

Das eben ist es, was man Dir vorwirft. Dein Spott, dies Ver¬

achten von Allem, was Andern heilig ist. Man beargwöhnt Dich, weil man eine
Kraft fürchtet, die Du nicht gebrauchst ; man muß Dir alle Grundsätze absprechen,
weil man nicht weiß, was Du ansteht.


Wald.

Was ich achte? in unserer nervösen, schwachen, auflösenden Zeit?

Sehr wenig! Und die Kraft, die Deine Güte mir zutraut, wozu soll ich sie ge¬
brauchen? Zu Thaten? Welche Mäuncrthat räthst Du mir an? Sieh Dich
um, Hugo. Gebrüll, Geschwätz, Klagen, nirgend eine große, frische, fortreißende
That. Wäre ich ein Spanier oder Tektosage, so wäre ich wahrscheinlich der An¬
führer einer schwarzen, höllenheißen Bande von Schelmen geworden, die den Teu¬
fel als Schutzpatron verehrt; da ich aber das Glück habe, der höchst civilisirte
Graf Waldemar Schenk zu sein, so begnüge ich mich, den Gang der Welt zu
verlachen, ich reite die wildesten Hengste und setze im Roulette seit zehn Jahren
nur einzelne Nummern. Wenn mein Pferd vor einer Hecke bäumt, oder ein Weib
mir zornig den Rücken kehrt, so habe ich doch Augenblicke, wo ich lebe. Sind
es auch keine Thaten, so sind es doch Aufregungen.

Ja, Aufregungen, die Dich vernichten müssen"


Hugo
(ernst).

tasche, aber sind das nicht Alles eher Vorzüge als Fehler? Und Du nennst mein
Leben zerfahren? — Pfui Hugo, das sind die Ansichten eines Nachmittags¬
predigers.


Hugo.

Nicht was Du thust, will man schelten, sondern was Du nicht

thust. Du bist Standesherr, vielleicht der reichste Grundbescher des Landes, die
Stellung legt auch große Pflichten auf, gegen Dich selbst, gegen Deine Angehö¬
rigen, gegen das Land.

Mein Sohn, da thust Du mir wieder sehr Unrecht, und zwingst


Wald.

mich, mein eignes Lob zu singen. Für den Staat bin ich ja ein wahrer Pfeiler
des Ruhms. Habe ich jemals bei unseren öffentlichen Versammlungen gefehlt?
Habe ich uicht sogar Reden gehalten, die mit allem Flitterstaat moderner Phrasen
verbrämt waren und mehrere Zeitungen in Begeisterung versetzten, und wenn ich
aus langer Weile gähnen mußte, habe ich nicht stets mein Taschentuch vor den
Mund gehalten? — Und ferner, bin ich nicht Ehrenmitglied oder Präsident un¬
zähliger wissenschaftlicher und gemeinnütziger Gesellschaften? Frage nur meinen
Secretair, der kennt ihre Namen. — Und endlich meine Güter, meine Untertha¬
nen, denen bin ich ja ein wahrer Vater? Alle Jahre revidire ich meine Beamten,
alle fünf Jahre jage ich einen von ihnen wegen Unterschleif aus dem Dienst, was
willst Du mehr? Die Geistlichen auf meinen Gütern melken eine Kuh mehr, und
die Schulmeister mästen sich ein Ferkel mehr, als alle ihre College». — Frage
doch bei meinen Bauern nach, ob ich ihnen nicht ein liebevoller Herr bin, ich
habe Nachsicht mit Steuerrcsten, und wenn ich ja ihre Frauen und Töchter küsse,
sieh mich an, Hugo, die kommende Generation wird deshalb nicht schlechter werden.


Hugo.

Das eben ist es, was man Dir vorwirft. Dein Spott, dies Ver¬

achten von Allem, was Andern heilig ist. Man beargwöhnt Dich, weil man eine
Kraft fürchtet, die Du nicht gebrauchst ; man muß Dir alle Grundsätze absprechen,
weil man nicht weiß, was Du ansteht.


Wald.

Was ich achte? in unserer nervösen, schwachen, auflösenden Zeit?

Sehr wenig! Und die Kraft, die Deine Güte mir zutraut, wozu soll ich sie ge¬
brauchen? Zu Thaten? Welche Mäuncrthat räthst Du mir an? Sieh Dich
um, Hugo. Gebrüll, Geschwätz, Klagen, nirgend eine große, frische, fortreißende
That. Wäre ich ein Spanier oder Tektosage, so wäre ich wahrscheinlich der An¬
führer einer schwarzen, höllenheißen Bande von Schelmen geworden, die den Teu¬
fel als Schutzpatron verehrt; da ich aber das Glück habe, der höchst civilisirte
Graf Waldemar Schenk zu sein, so begnüge ich mich, den Gang der Welt zu
verlachen, ich reite die wildesten Hengste und setze im Roulette seit zehn Jahren
nur einzelne Nummern. Wenn mein Pferd vor einer Hecke bäumt, oder ein Weib
mir zornig den Rücken kehrt, so habe ich doch Augenblicke, wo ich lebe. Sind
es auch keine Thaten, so sind es doch Aufregungen.

Ja, Aufregungen, die Dich vernichten müssen»


Hugo
(ernst).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/252>, abgerufen am 23.07.2024.