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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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war. Unterdeß fuhren wir durch ein langgestrecktes Gebirgsdorf und unsere Augen
wurden nachdrücklich vom Himmel auf die Erde gezogen. Wilder Lärm, heisrer
Hurrahruf und das Wirbeln einer verstimmten Trommel klangen durcheinander.
Auf der Straße vor einer Dorfschenke stand und lagerte ein Haufe von 40-50
abenteuerlichen Männer", an der Thür des Wirthshauses hing eine weiße Fahne
mit der Aufschrift: vio.-et die Armuth! Kienfackeln und ein Feuer an der Chaussee
beleuchteten das schreiende Gesindel. Unsere Pferde scheuten, im Augenblick wurde
der Wagen umringt, die Zügel dem Kutscher entrissen und häßliche Gesichter,
denen der Branntwein in den gerötheten Angen funkelte, drängten sich mit sehr
geringem Wohlwollen um unsere Sitze, sie waren mit Dreschflegeln, mit Prü¬
geln und Aexten, Einer oder der Andere mit einer alten Muskete bewaffnet, an
dem Tanneuzweig auf ihren Mützen erkannten wir die Kreuzfahrer, welche nach
Jerusalem ziehn wollten, sich Erlösung und Glück zu holen. "Halt auf! das ist
der Landrath" schrie eine heisere Stimme; -- "nein, es sind die Gutspfcrde von
Waldhaus," schrie ein Andrer, -- "Vornehme sind's, sie wollen die Soldaten holen,
reißt sie heraus, schlagt die Schufte todt," lärmte die Menge. Man faßte uns
an und war im Begriff, uns aus dem Wagen auf die Chaussee zu versetzen.
Da sprang ein Mann aus dem Wirthshaus und rief mit tiefer Baßstimme in das
Getümmel: "Platz da, was ist hier los?" und ein Paar dunkle Augen flogen
forschend über uns und den Wagen. Wir waren überrascht von dem Ausdruck
wilder Begeisterung, der in den Zügen des Burschen lag; er legte seine Hand
gebieterisch ans den Wagcnrand, entriß der Faust- eines Gefährten die Kienfackel
und beleuchtete unsere Gesichter. Einen Augenblick sahn wir uns feindlich prüfend
an. Er war ein großer, schöner Mann, in Hemdsärmeln, auf der linken Schul¬
ter hing die braune Jacke. Per wilde Ausdruck seines Gesichts wurde menschli¬
cher, als er erkannte, daß wir Fremde waren, doch sagte er mit stolzem Trotz:
"Sie dürfen nicht weiter, hier ist Revolution, Sie müssen warten, bis der Zu¬
zug aus den Bergen da ist und wir abmarschiren;" dabei wies er ans den Feuer¬
schein, aus dem die brennende Lohe in demselben Augenblick hoch aufflackerte. "Der
Jonas schürt das Feuer gut," rief er triumphirend seinen Genossen zu. "Dn
bist toll," schrie Alfred ihn an: "Das ist kein Signal, das Haus dort oben
brennt. -- Haltet uus nicht auf, ihr Hallunken." Wilhelm fuhr zurück, Alfred
peitschte wüthend in die Pferde und wir flogen mitten durch den zerstiebenden
Häuser in das Freie hinaus. In der Nähe der steilen Wand stiegen wir ans
und kletterten hinauf, uns mit Händen und Füßen forthelfend. Auf den Plateau
sprühte uns ein Funkenregen entgegen und fiel auf den freien Platz und die um¬
stehenden Bäume; das Dach des Hauses war ein Flammenmeer, auch aus den
Fenstern der Stube brachen die Flammen, die Kammer- und Kellerseite des Hau-
ses war noch verschont. Vor der Thür stand die blaue Truhe, einige Betten und
Geräth, die Flinte und das Marienbild lagen durcheinander. Eine schauerliche


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war. Unterdeß fuhren wir durch ein langgestrecktes Gebirgsdorf und unsere Augen
wurden nachdrücklich vom Himmel auf die Erde gezogen. Wilder Lärm, heisrer
Hurrahruf und das Wirbeln einer verstimmten Trommel klangen durcheinander.
Auf der Straße vor einer Dorfschenke stand und lagerte ein Haufe von 40-50
abenteuerlichen Männer», an der Thür des Wirthshauses hing eine weiße Fahne
mit der Aufschrift: vio.-et die Armuth! Kienfackeln und ein Feuer an der Chaussee
beleuchteten das schreiende Gesindel. Unsere Pferde scheuten, im Augenblick wurde
der Wagen umringt, die Zügel dem Kutscher entrissen und häßliche Gesichter,
denen der Branntwein in den gerötheten Angen funkelte, drängten sich mit sehr
geringem Wohlwollen um unsere Sitze, sie waren mit Dreschflegeln, mit Prü¬
geln und Aexten, Einer oder der Andere mit einer alten Muskete bewaffnet, an
dem Tanneuzweig auf ihren Mützen erkannten wir die Kreuzfahrer, welche nach
Jerusalem ziehn wollten, sich Erlösung und Glück zu holen. „Halt auf! das ist
der Landrath" schrie eine heisere Stimme; — „nein, es sind die Gutspfcrde von
Waldhaus," schrie ein Andrer, — „Vornehme sind's, sie wollen die Soldaten holen,
reißt sie heraus, schlagt die Schufte todt," lärmte die Menge. Man faßte uns
an und war im Begriff, uns aus dem Wagen auf die Chaussee zu versetzen.
Da sprang ein Mann aus dem Wirthshaus und rief mit tiefer Baßstimme in das
Getümmel: „Platz da, was ist hier los?" und ein Paar dunkle Augen flogen
forschend über uns und den Wagen. Wir waren überrascht von dem Ausdruck
wilder Begeisterung, der in den Zügen des Burschen lag; er legte seine Hand
gebieterisch ans den Wagcnrand, entriß der Faust- eines Gefährten die Kienfackel
und beleuchtete unsere Gesichter. Einen Augenblick sahn wir uns feindlich prüfend
an. Er war ein großer, schöner Mann, in Hemdsärmeln, auf der linken Schul¬
ter hing die braune Jacke. Per wilde Ausdruck seines Gesichts wurde menschli¬
cher, als er erkannte, daß wir Fremde waren, doch sagte er mit stolzem Trotz:
„Sie dürfen nicht weiter, hier ist Revolution, Sie müssen warten, bis der Zu¬
zug aus den Bergen da ist und wir abmarschiren;" dabei wies er ans den Feuer¬
schein, aus dem die brennende Lohe in demselben Augenblick hoch aufflackerte. „Der
Jonas schürt das Feuer gut," rief er triumphirend seinen Genossen zu. „Dn
bist toll," schrie Alfred ihn an: „Das ist kein Signal, das Haus dort oben
brennt. — Haltet uus nicht auf, ihr Hallunken." Wilhelm fuhr zurück, Alfred
peitschte wüthend in die Pferde und wir flogen mitten durch den zerstiebenden
Häuser in das Freie hinaus. In der Nähe der steilen Wand stiegen wir ans
und kletterten hinauf, uns mit Händen und Füßen forthelfend. Auf den Plateau
sprühte uns ein Funkenregen entgegen und fiel auf den freien Platz und die um¬
stehenden Bäume; das Dach des Hauses war ein Flammenmeer, auch aus den
Fenstern der Stube brachen die Flammen, die Kammer- und Kellerseite des Hau-
ses war noch verschont. Vor der Thür stand die blaue Truhe, einige Betten und
Geräth, die Flinte und das Marienbild lagen durcheinander. Eine schauerliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/241>, abgerufen am 22.12.2024.