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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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als Gnadengeschenk abtritt. 2) Die Schule bleibt der Kirche unterworfen.
3) Das Recht, Urwähler für die zweite Kammer zu sein, wird von einem Census
abhängig gemacht. -- Borsig, ein Mitglied dieser Partei, setzte vor einigen
Wochen die Arbeitsstunden und den Lohn seiner Leute erst um ein Viertel, dann
um die Hälfte herab, er habe nichts zu thun, wegen der Demokraten -- sie soll¬
ten nur ordentlich wählen, dann werde sich bei hergestellter Ruhe auch wieder
Beschäftigung finden. Die würdigen Maschinenbauer, diese Hauptstütze unserer
Demokratie, wurden nachdenklich und zeigten sich nicht abgeneigt, den Mantel nach
dem Winde zu hängen. Da bringen sie plötzlich durch Bahnwärter (!) in Erfah¬
rung, daß verschiedne Eisenbahndirectionen seit lange aus Locomotiven warten, die
sie bei Borsig bestellt. Nun folgen natürlich sehr eindringliche Vorstellungen bei
ihrem Herrn und Meister -- Arbeit ist plötzlich wieder vollauf da und die Leute
werden wählen, wie sie wollen. -- Der Rechten gegenüber steht die vereinigte
imposante Masse der Linken, die in der zweiten Kammer jedenfalls bedeutend
überwiegen wird. Selbst die äußersten Radicalen sind endlich Gott sei Dank!
von ihrem Vorsatz abgekommen, gegen die Novemberrevolution anzukämpfen, sie
werden nach einzelnen Abänderungen anf möglichst schleunige Annahme der Ver¬
fassung dringen und dann das Cabinet zu stürzen suchen. Sie haben gelernt und
Gelegenheit genng gehabt, um einzusehen, daß sie das Volk nicht hinter sich
hätten, wenn sie aus dem Prinzip heraus Opposition " tout, xrix gegen die Oc-
troyirung machen wollen. --

Doch all' dies Getriebe der Parteien verschwindet gegen die Kämpfe in den
Wahlversammlungen, die bekanntlich mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung unter
dem Vorsitze des Bezirksvorstehers, so wie in Gegenwart eines Stadtverordneten
und Commissärs abgehalten werden durften. Hier glaubte man mitten in die
Walpurgisnacht auf dem Brocken versetzt zu sein, augenscheinlich trieb Mephisto
überall sein Wesen. Mir war so wohl, so heimisch zu Muthe, wie ihm nur je
in seiner Hexenwirthschaft; in jeder Ecke des Saales sah ich seine lachende Larve,
aus jedem Winkel hört' ich ihn kichern, wenn die ehrlichen Philister die tiefliegen¬
den Schäden der Gesellschaft aufdeckten, ihre Heilmittclchen auskramten und nnn
von den Demagogen auf beiden Seiten hin und hergezerrt wurden an den wäch¬
sernen Nasen, die sie sich selber gedreht. Da hat der alte Bursche wieder einmal
fröhliche Tage gehabt, seinem Treiben konnte Wrangel mit dem Belagerungszu¬
stände keinen Einhalt thun. Das Beste war, die Weißbierbürgcr schienen mitunter
eine Ahnung davon zu haben, daß es nicht geheuer sei und ein heimlicher Spuk
unter ihnen umginge, dennoch konnten sie nicht aus dem Traume erwachen. "So
viel Aufhebens, um 9 Menschen! ES ist ein wahrer Scandal!" --- seufzte manch
ein würdiger Meister in derartigen Augenblicken des Hellsehens, und die Weibchen
versicherten mit gerungenen Händen, der Schwindel sei wieder eben so toll im
Gange, als in den Zeiten des Gott sei beiuns! wo die Kerle sich den ganzen Tag


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als Gnadengeschenk abtritt. 2) Die Schule bleibt der Kirche unterworfen.
3) Das Recht, Urwähler für die zweite Kammer zu sein, wird von einem Census
abhängig gemacht. — Borsig, ein Mitglied dieser Partei, setzte vor einigen
Wochen die Arbeitsstunden und den Lohn seiner Leute erst um ein Viertel, dann
um die Hälfte herab, er habe nichts zu thun, wegen der Demokraten -- sie soll¬
ten nur ordentlich wählen, dann werde sich bei hergestellter Ruhe auch wieder
Beschäftigung finden. Die würdigen Maschinenbauer, diese Hauptstütze unserer
Demokratie, wurden nachdenklich und zeigten sich nicht abgeneigt, den Mantel nach
dem Winde zu hängen. Da bringen sie plötzlich durch Bahnwärter (!) in Erfah¬
rung, daß verschiedne Eisenbahndirectionen seit lange aus Locomotiven warten, die
sie bei Borsig bestellt. Nun folgen natürlich sehr eindringliche Vorstellungen bei
ihrem Herrn und Meister — Arbeit ist plötzlich wieder vollauf da und die Leute
werden wählen, wie sie wollen. — Der Rechten gegenüber steht die vereinigte
imposante Masse der Linken, die in der zweiten Kammer jedenfalls bedeutend
überwiegen wird. Selbst die äußersten Radicalen sind endlich Gott sei Dank!
von ihrem Vorsatz abgekommen, gegen die Novemberrevolution anzukämpfen, sie
werden nach einzelnen Abänderungen anf möglichst schleunige Annahme der Ver¬
fassung dringen und dann das Cabinet zu stürzen suchen. Sie haben gelernt und
Gelegenheit genng gehabt, um einzusehen, daß sie das Volk nicht hinter sich
hätten, wenn sie aus dem Prinzip heraus Opposition » tout, xrix gegen die Oc-
troyirung machen wollen. —

Doch all' dies Getriebe der Parteien verschwindet gegen die Kämpfe in den
Wahlversammlungen, die bekanntlich mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung unter
dem Vorsitze des Bezirksvorstehers, so wie in Gegenwart eines Stadtverordneten
und Commissärs abgehalten werden durften. Hier glaubte man mitten in die
Walpurgisnacht auf dem Brocken versetzt zu sein, augenscheinlich trieb Mephisto
überall sein Wesen. Mir war so wohl, so heimisch zu Muthe, wie ihm nur je
in seiner Hexenwirthschaft; in jeder Ecke des Saales sah ich seine lachende Larve,
aus jedem Winkel hört' ich ihn kichern, wenn die ehrlichen Philister die tiefliegen¬
den Schäden der Gesellschaft aufdeckten, ihre Heilmittclchen auskramten und nnn
von den Demagogen auf beiden Seiten hin und hergezerrt wurden an den wäch¬
sernen Nasen, die sie sich selber gedreht. Da hat der alte Bursche wieder einmal
fröhliche Tage gehabt, seinem Treiben konnte Wrangel mit dem Belagerungszu¬
stände keinen Einhalt thun. Das Beste war, die Weißbierbürgcr schienen mitunter
eine Ahnung davon zu haben, daß es nicht geheuer sei und ein heimlicher Spuk
unter ihnen umginge, dennoch konnten sie nicht aus dem Traume erwachen. „So
viel Aufhebens, um 9 Menschen! ES ist ein wahrer Scandal!" -— seufzte manch
ein würdiger Meister in derartigen Augenblicken des Hellsehens, und die Weibchen
versicherten mit gerungenen Händen, der Schwindel sei wieder eben so toll im
Gange, als in den Zeiten des Gott sei beiuns! wo die Kerle sich den ganzen Tag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/195>, abgerufen am 23.12.2024.