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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Ludwigs XV. die Unsittlichkeit größer; wenn uns die OKroniyu" "!o l'von <lo tweuk
mich nicht gerade ein Evangelium ist, so bleibt doch genug, um allen Wetteifer
mit den Lastern der Regence aufzugeben. Freilich war auch diese Liederlichkeit nai¬
ver; sie war noch nicht mit pietistisch-sentimentalen Elementen zersetzt, wie die
reflectirte Unsittlichkeit des modernen Paris, wie sie uns sein Feuilleton, seiue
Novellistik und sein Theater darstellt. Aber damals war der Bürgerstand noch nicht
inficirt, im Gegentheil herrschte ein hugenottischer PuritaniSmus in diesen untern
Schichten der Gesellschaft, aus denen ein Rousseau, Roland u. f. w. hervorgingen.
Jetzt aber waren alle Classen aufgewühlt; zuerst hatte sich die encyclopädistische
Bildung, die rohe Negation alles Gegebenen, im Laufe der Revolution der ganzen
Gesellschaft mitgetheilt und ihre sittlichen Fundamente unterwühlt; nun kam der
Jesuitismus der neuen Romantik, und fügte noch die Heuchelei und weibliche
Coquetterie und dem eignen Innern zu den übrigen Untugenden hinzu. I^ont is
"na k-dir is lo"I, das war der Grundgedanke der neuen Schule, der Marion
de l'Orne, Hcrnani, Triboulet, Lucrezia Borgia n. s. w., in denen man lernte,
aus der eignen Nichtswürdigkeit eine Art politischen Genusses zu machen, wie
die Magdalene des reflectirten Christenthums. Nichts corrumpirt mehr, als das
korrosive Gift dieses psychologischen Kleinhandels. Wir Deutsche haben uns auch
darin gehorsam der französischen Bildung angeschlossen, auf die wir seither durch
den krankhaften Nihilismus, die ironische Sentimentalität unserer romantischen
Schule vorbereitet waren.

Die sittlichen Principien ausgehöhlt und die materiellen Gelüste auf die Spitze
getrieben -- genug, um die Grundlage der Gesellschaft in Frage zu stellen. Jene
drei großen Krise" des Besitzstandes hatten, wie es an Orten geschieht, wo viel
gespielt wird, einen großen Theil des Volkes an schnellen, spielenden Erwerb, an
forcirten Genuß gewöhnt, und ihm die ernste, anhaltende Arbeit -- welche als
Lebensaufgabe überhaupt nicht Sache der Franzosen ist -- verleidet. Das Jagen
nach Glück, nach Genuß war die sociale Tragödie, die hinter dem Epos der poli¬
tischen Leidenschaften sich versteckte. Politische, merkantile, literarische AventurierS
waren die Führer der Generation; der unsittliche Schwindel des Journalismus bil¬
dete sich neben dem Luxus der guten Gesellschaft, deren schlechte Copie er war.
Gleicher Genuß! das war das höchste Problem, das sich die socialistischen Schüler
Se. Simon's und Fourrier's zu stellen wußten; die Idee der gleichen Arbeit gab
ihnen wenigstens einen sittlichen Anstrich, der aber von dem Theaterprunk ihres
Erscheinens großentheils verdeckt wurde.

Aus dieser Voraussetzung ist der Grundgedanke der Julirevolution leichter zu
begreifen. Man liebt zu sagen, sie habe ihr Ziel nicht erreicht; im Gegentheil,
sie ist über dasselbe hinausgegangen. Schon Lord Chesterfield sagte von den Fran¬
zosen, sie verständen wohl, Barrikaden zu errichten, aber keine Barrieren; die
Leidenschaft, die Lust am Kampf treibt sie weit über ihre Vorsätze hinaus. Man


Ludwigs XV. die Unsittlichkeit größer; wenn uns die OKroniyu« «!o l'von <lo tweuk
mich nicht gerade ein Evangelium ist, so bleibt doch genug, um allen Wetteifer
mit den Lastern der Regence aufzugeben. Freilich war auch diese Liederlichkeit nai¬
ver; sie war noch nicht mit pietistisch-sentimentalen Elementen zersetzt, wie die
reflectirte Unsittlichkeit des modernen Paris, wie sie uns sein Feuilleton, seiue
Novellistik und sein Theater darstellt. Aber damals war der Bürgerstand noch nicht
inficirt, im Gegentheil herrschte ein hugenottischer PuritaniSmus in diesen untern
Schichten der Gesellschaft, aus denen ein Rousseau, Roland u. f. w. hervorgingen.
Jetzt aber waren alle Classen aufgewühlt; zuerst hatte sich die encyclopädistische
Bildung, die rohe Negation alles Gegebenen, im Laufe der Revolution der ganzen
Gesellschaft mitgetheilt und ihre sittlichen Fundamente unterwühlt; nun kam der
Jesuitismus der neuen Romantik, und fügte noch die Heuchelei und weibliche
Coquetterie und dem eignen Innern zu den übrigen Untugenden hinzu. I^ont is
»na k-dir is lo»I, das war der Grundgedanke der neuen Schule, der Marion
de l'Orne, Hcrnani, Triboulet, Lucrezia Borgia n. s. w., in denen man lernte,
aus der eignen Nichtswürdigkeit eine Art politischen Genusses zu machen, wie
die Magdalene des reflectirten Christenthums. Nichts corrumpirt mehr, als das
korrosive Gift dieses psychologischen Kleinhandels. Wir Deutsche haben uns auch
darin gehorsam der französischen Bildung angeschlossen, auf die wir seither durch
den krankhaften Nihilismus, die ironische Sentimentalität unserer romantischen
Schule vorbereitet waren.

Die sittlichen Principien ausgehöhlt und die materiellen Gelüste auf die Spitze
getrieben — genug, um die Grundlage der Gesellschaft in Frage zu stellen. Jene
drei großen Krise» des Besitzstandes hatten, wie es an Orten geschieht, wo viel
gespielt wird, einen großen Theil des Volkes an schnellen, spielenden Erwerb, an
forcirten Genuß gewöhnt, und ihm die ernste, anhaltende Arbeit — welche als
Lebensaufgabe überhaupt nicht Sache der Franzosen ist — verleidet. Das Jagen
nach Glück, nach Genuß war die sociale Tragödie, die hinter dem Epos der poli¬
tischen Leidenschaften sich versteckte. Politische, merkantile, literarische AventurierS
waren die Führer der Generation; der unsittliche Schwindel des Journalismus bil¬
dete sich neben dem Luxus der guten Gesellschaft, deren schlechte Copie er war.
Gleicher Genuß! das war das höchste Problem, das sich die socialistischen Schüler
Se. Simon's und Fourrier's zu stellen wußten; die Idee der gleichen Arbeit gab
ihnen wenigstens einen sittlichen Anstrich, der aber von dem Theaterprunk ihres
Erscheinens großentheils verdeckt wurde.

Aus dieser Voraussetzung ist der Grundgedanke der Julirevolution leichter zu
begreifen. Man liebt zu sagen, sie habe ihr Ziel nicht erreicht; im Gegentheil,
sie ist über dasselbe hinausgegangen. Schon Lord Chesterfield sagte von den Fran¬
zosen, sie verständen wohl, Barrikaden zu errichten, aber keine Barrieren; die
Leidenschaft, die Lust am Kampf treibt sie weit über ihre Vorsätze hinaus. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/18>, abgerufen am 22.12.2024.