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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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mein ihr Gewicht vollständig, die Folgerichtigkeit aller Wendungen, das bestimmte
Festhalten des Grundgedankens, die Leichtigkeit der Handhabung aller parlamen¬
tarisch edlen, wissenschaftlichen und moralischen Hilfsmittel. Wenn man ihn reden
hört, erschrickt man vor der Hastigkeit, womit die Sätze hinter einander herstol¬
pern. Doch stolpern sie eigentlich eben sowenig als der ganze wohlbeleibte Mann,
wenn er aus die Tribüne hinaufspringt.

Hinter der Aeußerlichkeit der Körper- und Nedebewegungen dieses Kämpen des
Rechtsbodens vermuthet man außerdem auch nicht die eherne Beharrlichkeit und
den wahrhaft edelmännischen Muth, welchen Vincke allüberall bewährt hat. Wer
dagegen etwas auf Physiognomik gibt, mag der Form des Profils rasch ansehen,
welche Charaktereigenschaften hier hervortreten. Das Gesicht ist eines von denen,
worin Stirn und Kinn einander gegenseitig aufwiegen, der Mund ist nicht vor¬
springend, dagegen die gebogene Nase, obgleich nicht besonders groß, von kecker
Sclbstgeltnng. Dazu ein Hinterkopf mit blondgrauem, kurzem Haar dicht besetzt,
welcher mit seiner gewaltigen Wölbung über dem breit angesetzten Nacken vollkom¬
men bestätigt, was der GestchtsauSdruck verspricht. Schade, daß der Mann eine
Brille trägt; die Angen fehlen einem immer in seinem Gesicht. Denn auch wenn
er die Gläser, wie gewöhnlich beim Sprechen, abgelegt hat, wird dadurch der
Ausdruck des Blickes unangenehm abgestumpft.

Welcker, welcher damals neben Vincke für das absolute Veto kämpfte, focht
mit mehr äußerer Leidenschaft, doch schwerlich mit mehr innerer Gluth. Er ist
nicht glücklich in Vergleichen und hat doch die Gewohnheit mit vielen Menschen
gemein, gerad dasjenige am liebsten zu handhaben, wofür der rechte Griff und
Schick fehlt. Die Klinge seines Parlamentöschwertes ist wohl anch im langjähri¬
gen Kampfe etwas abgebraucht worden. Aber eine empörende Rohheit nicht nur
der Form, sondern des Herzens und Gemüthes offenbart es bei den Chorführern
der heiszspornigen Linken, wenn dann diese über den leichten Anstoß eines nicht
eben glücklichen Gleichnisses ein Kneipengelächter aufschlagen, als sei das Unge¬
reimteste von dem greisen Manne dort oben gesprochen worden, der schon für Recht
und Freiheit focht, als sie noch Wickelkinder waren -- nicht nur "politische", son¬
dern wirkliche --, der für Recht und Freiheit das Schwerste trug und litt, wäh¬
rend sie nnter ihren Lieblingen außer Venedey kaum einen Einzigen aufführen
können, der auch in vormärzlichen Tagen das heute sehr gefahrlose Banner ihrer
Sache ohne Rücksicht auf die mögliche" persönlichen Nachtheile entfaltete. Sie
sagen nun freilich, die ehmals Linken segelten jetzt am rechten Ufer des Zeitstromes.
Aber ist denn das Durchbrechen der Ufer nach der Linken wirklich die Bildung
eines neuen, ewigen Stromes? Wir meinen, es sei nur eine Ueberschwemmung
mit sehr flachem Grunde; und die wahrhaft Tüchtigen der ehemaligen Opposition
stünden heute noch eben auf demselben Punkte, welchen ihnen ihre Ueberzeugung
anweist, wie sie's vordem sonder Wanken und Schwanken, sonder Hinblick an


mein ihr Gewicht vollständig, die Folgerichtigkeit aller Wendungen, das bestimmte
Festhalten des Grundgedankens, die Leichtigkeit der Handhabung aller parlamen¬
tarisch edlen, wissenschaftlichen und moralischen Hilfsmittel. Wenn man ihn reden
hört, erschrickt man vor der Hastigkeit, womit die Sätze hinter einander herstol¬
pern. Doch stolpern sie eigentlich eben sowenig als der ganze wohlbeleibte Mann,
wenn er aus die Tribüne hinaufspringt.

Hinter der Aeußerlichkeit der Körper- und Nedebewegungen dieses Kämpen des
Rechtsbodens vermuthet man außerdem auch nicht die eherne Beharrlichkeit und
den wahrhaft edelmännischen Muth, welchen Vincke allüberall bewährt hat. Wer
dagegen etwas auf Physiognomik gibt, mag der Form des Profils rasch ansehen,
welche Charaktereigenschaften hier hervortreten. Das Gesicht ist eines von denen,
worin Stirn und Kinn einander gegenseitig aufwiegen, der Mund ist nicht vor¬
springend, dagegen die gebogene Nase, obgleich nicht besonders groß, von kecker
Sclbstgeltnng. Dazu ein Hinterkopf mit blondgrauem, kurzem Haar dicht besetzt,
welcher mit seiner gewaltigen Wölbung über dem breit angesetzten Nacken vollkom¬
men bestätigt, was der GestchtsauSdruck verspricht. Schade, daß der Mann eine
Brille trägt; die Angen fehlen einem immer in seinem Gesicht. Denn auch wenn
er die Gläser, wie gewöhnlich beim Sprechen, abgelegt hat, wird dadurch der
Ausdruck des Blickes unangenehm abgestumpft.

Welcker, welcher damals neben Vincke für das absolute Veto kämpfte, focht
mit mehr äußerer Leidenschaft, doch schwerlich mit mehr innerer Gluth. Er ist
nicht glücklich in Vergleichen und hat doch die Gewohnheit mit vielen Menschen
gemein, gerad dasjenige am liebsten zu handhaben, wofür der rechte Griff und
Schick fehlt. Die Klinge seines Parlamentöschwertes ist wohl anch im langjähri¬
gen Kampfe etwas abgebraucht worden. Aber eine empörende Rohheit nicht nur
der Form, sondern des Herzens und Gemüthes offenbart es bei den Chorführern
der heiszspornigen Linken, wenn dann diese über den leichten Anstoß eines nicht
eben glücklichen Gleichnisses ein Kneipengelächter aufschlagen, als sei das Unge¬
reimteste von dem greisen Manne dort oben gesprochen worden, der schon für Recht
und Freiheit focht, als sie noch Wickelkinder waren — nicht nur „politische", son¬
dern wirkliche —, der für Recht und Freiheit das Schwerste trug und litt, wäh¬
rend sie nnter ihren Lieblingen außer Venedey kaum einen Einzigen aufführen
können, der auch in vormärzlichen Tagen das heute sehr gefahrlose Banner ihrer
Sache ohne Rücksicht auf die mögliche» persönlichen Nachtheile entfaltete. Sie
sagen nun freilich, die ehmals Linken segelten jetzt am rechten Ufer des Zeitstromes.
Aber ist denn das Durchbrechen der Ufer nach der Linken wirklich die Bildung
eines neuen, ewigen Stromes? Wir meinen, es sei nur eine Ueberschwemmung
mit sehr flachem Grunde; und die wahrhaft Tüchtigen der ehemaligen Opposition
stünden heute noch eben auf demselben Punkte, welchen ihnen ihre Ueberzeugung
anweist, wie sie's vordem sonder Wanken und Schwanken, sonder Hinblick an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/156>, abgerufen am 23.12.2024.