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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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obgleich der Pariser ohne Hof und Luxus nicht leben kann -- aber das Wort:
Communismus überläuft sie wie die Gänsehaut. --

Die Nationalgarde schwankt und arbeitet, im Verein mit einem Theil der
provisorischen Regierung, mit Ver^weiflnngskräfteu daran, das Rad der Revolu¬
tion aufzuhalten. So rasch jagen sich hier die Ereignisse, so plötzlich wechselt die
Bewegung Farbe und Gestalten. Und bei jedem Schritt wird man an die Zeit
der ersten Revolution erinnert, man möchte mit aufgeschlagenem Geschichtsbuch durch
die Straßen gehen: deun man täusche sich darüber nicht, die Masse der Franzosen
hat Nichts gelernt und Nichts vergessen; Phrasen, die in aller Welt abgestanden
und in ihrer Nichtigkeit oder Sophisterei durchschaut sind, haben hier Zauberkraft.
Die Traditionen von 1790 sind der Karechismus des untern Volkes, selbst Louis
Blaue und Ledru Nollin studiren die Beredsamkeit Robespierres wie ein Evan¬
gelium.

Bezeichnend ist für den französischen Charakter, mit welcher Heiterkeit und
welch' leichtem Herzen man Geschichte macht. In dem Augenblick, wo die Zukunft
Frankreichs nud Europas auf's Spiel gesetzt ist, vergessen sie die ästhetische Seite
der Affaire nicht. Lamartine hatte kaum die Geschichte der Revolution geschrie¬
ben, als er eine zu machen anfing, und in diesem Augenblick melden die Blät¬
ter, daß der berühmte Verfasser der Girondins bereits eine Hymne auf den 24.
Februar gedichtet hat, inmitten aller Regierungsgeschäfte solcher Tage. Ledru
Nollin, Minister des Innern, kündigt an, daß nächstens die Künstler zusammen¬
berufen werden sollen, um eine Wahljury zur Aufnahme vou Gemälden bei den
jährlichen Ausstellungen zu bilden. Wer weiß, ob nicht jetzt schon Maler beschäftigt
sind, brillante Scenen, aus den letzten Febrnartagen zu malen." -- --

Was uus Deutschen die französische Revolution war, gehört uicht Hieher; an
sich betrachtet, ist sie ein einfacher Proceß. Das System des rohsten Materialis¬
mus hatte als nothwendigen Gegensatz den rohsten Idealismus erzeugt; er sprengte
das alte Gebäude nud glaubte damit den Materialismus zu ersticken, der aber
bald mit üppiger Lebensfülle die neuen Schranken überwucherte. Die Form war
geändert, das Wesen geblieben. Es ist eine alte Geschichte; nur aus sinnlicher
tteberreizung der alten Welt ging der abstracte Spiritualismus des Christenthums
hervor, der aber die Sinnlichkeit nicht bändigen konnte, weil er sie uicht zu ver¬
klären verstand. Diesmal brach der Strom des Idealismus an dem Felsen der
Realität; hätte er sie aber auch zertrümmert, er war kein chaotisches Urwasser
der Schrift, aus dem die Gebilde der Erde sich hätten krystallistreu können; nur
als Gegensatz war er denkbar und lebte nur in seinem Gegensatz.

Blicken wir einen Augenblick in die Zeiten zurück, als das Haupt des Hohen¬
priesters der Tugend, Robespierre, unter dem Beil gefallen war, als Tallien's,
des Thermidorriers, schöne Gemahlin, unter der feinen Jugend der Revolution
die griechischen Trachten und die griechische Lascivität modernistrte, als der lange


obgleich der Pariser ohne Hof und Luxus nicht leben kann — aber das Wort:
Communismus überläuft sie wie die Gänsehaut. —

Die Nationalgarde schwankt und arbeitet, im Verein mit einem Theil der
provisorischen Regierung, mit Ver^weiflnngskräfteu daran, das Rad der Revolu¬
tion aufzuhalten. So rasch jagen sich hier die Ereignisse, so plötzlich wechselt die
Bewegung Farbe und Gestalten. Und bei jedem Schritt wird man an die Zeit
der ersten Revolution erinnert, man möchte mit aufgeschlagenem Geschichtsbuch durch
die Straßen gehen: deun man täusche sich darüber nicht, die Masse der Franzosen
hat Nichts gelernt und Nichts vergessen; Phrasen, die in aller Welt abgestanden
und in ihrer Nichtigkeit oder Sophisterei durchschaut sind, haben hier Zauberkraft.
Die Traditionen von 1790 sind der Karechismus des untern Volkes, selbst Louis
Blaue und Ledru Nollin studiren die Beredsamkeit Robespierres wie ein Evan¬
gelium.

Bezeichnend ist für den französischen Charakter, mit welcher Heiterkeit und
welch' leichtem Herzen man Geschichte macht. In dem Augenblick, wo die Zukunft
Frankreichs nud Europas auf's Spiel gesetzt ist, vergessen sie die ästhetische Seite
der Affaire nicht. Lamartine hatte kaum die Geschichte der Revolution geschrie¬
ben, als er eine zu machen anfing, und in diesem Augenblick melden die Blät¬
ter, daß der berühmte Verfasser der Girondins bereits eine Hymne auf den 24.
Februar gedichtet hat, inmitten aller Regierungsgeschäfte solcher Tage. Ledru
Nollin, Minister des Innern, kündigt an, daß nächstens die Künstler zusammen¬
berufen werden sollen, um eine Wahljury zur Aufnahme vou Gemälden bei den
jährlichen Ausstellungen zu bilden. Wer weiß, ob nicht jetzt schon Maler beschäftigt
sind, brillante Scenen, aus den letzten Febrnartagen zu malen." — —

Was uus Deutschen die französische Revolution war, gehört uicht Hieher; an
sich betrachtet, ist sie ein einfacher Proceß. Das System des rohsten Materialis¬
mus hatte als nothwendigen Gegensatz den rohsten Idealismus erzeugt; er sprengte
das alte Gebäude nud glaubte damit den Materialismus zu ersticken, der aber
bald mit üppiger Lebensfülle die neuen Schranken überwucherte. Die Form war
geändert, das Wesen geblieben. Es ist eine alte Geschichte; nur aus sinnlicher
tteberreizung der alten Welt ging der abstracte Spiritualismus des Christenthums
hervor, der aber die Sinnlichkeit nicht bändigen konnte, weil er sie uicht zu ver¬
klären verstand. Diesmal brach der Strom des Idealismus an dem Felsen der
Realität; hätte er sie aber auch zertrümmert, er war kein chaotisches Urwasser
der Schrift, aus dem die Gebilde der Erde sich hätten krystallistreu können; nur
als Gegensatz war er denkbar und lebte nur in seinem Gegensatz.

Blicken wir einen Augenblick in die Zeiten zurück, als das Haupt des Hohen¬
priesters der Tugend, Robespierre, unter dem Beil gefallen war, als Tallien's,
des Thermidorriers, schöne Gemahlin, unter der feinen Jugend der Revolution
die griechischen Trachten und die griechische Lascivität modernistrte, als der lange


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/14>, abgerufen am 23.07.2024.