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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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noch den Reichstag oder den Gemeinderath zu weiteren revolutionären Schritten
drängen wollte", auf einigen Gesichtern dieser kleinen Gesellschaft drücken sich
deutlich eine tiefe Abspannung, wehmüthige Stimmungen ans, und mancher
schwere Seufzer, welcher sich redlichen Herzen in Anbetracht der unlösbaren Ver¬
wickelungen entrückt, wird ans Rücksicht für die nächste Umgebung niedergehalten.

Gegenseitige Achtung nud das Bewußtsein des reinen Willens und wahr¬
haft patriotischen Mitgefühls machen es möglich, daß sich nnter den Mitgliedern
dieser Tafelrunde die verschiedensten Stimmen und Ansichten über die gegenwär¬
tige bedrängte Lage der Stadt und über die politischen Verhältnisse, welche de^
mit in Verbindung stehen, kund geben. Während Freund Kaufmann in sei¬
ner beweglichen, aus dem tiefsten Gemüthe aufschießenden Redeweise seine Ent¬
rüstung über deu unseligen Mord Latours und die darüber in's Maaßlose fort¬
schreitende Revolution äußerte, und hierin von einem hagern jungen Mann, ost¬
preußischen Geblüts, vollkommen Beipflichtnng erhält, versucht Freund Fried¬
mann, der Redakteur des Gerad'aus, im jugendlichen Feuer das Recht der
Reichsversammlung und der Hauptstadt zum Widerstande gegen die Windischgrätz'
scheu inconstitntivncllen Proklamationen zu vertheidigen und!)>-. Z imm er, der Ab¬
geordnete für Teplitz beklagt sich eben so unverhohlen nud bitter über das Trei¬
ben nud Drängen der Demagogen neben an, welche den Ncichstagsausschuß zum
Revolutionstribunal umzuwandeln bemüht sind. Zuweilen tritt auch Fröbel zu die¬
sem Tisch heran und theilt dem ihm von Deutschland ans befreundeten Friedmann
mit freudiger Zuversicht die Botschaft mit, daß die Ungarn nnr noch 2 Stunden
vor Wie" stände", oder daß Jellachich bereits im vollen Rückzuge begriffen sei,
worauf ein ungläubiges Lächeln ans allen Gesichtern die Runde macht nud Fried¬
mann ironisch erwiedert: "Dies sei wohl anch Eins jener vielen Märchen,
welche das löbliche Comitv der demokratischen Vereine so eifrig im Publikum zu
verbreiten wisse."

Die übrigen Gäste im rothen Igel um diese Zeit waren meist Nationalgar¬
ten und Legionäre ans den Provinzialstädten, welche den Wienern zu Hilfe
geeilt waren. So saßen hier die Stciermcuker, kräftige hohe Gestalten, mit den
weißgrünen Landesfarbcn auf der grauen Uniform, die schlesischen und Brunner
Garden mit den schwarz-roth-goldenen Bändern. Außerdem stürzten immerwäh¬
rend Legionäre, Ordonnanzoffiziere, Führer mobiler Garden, bei den Thüren
herein und hinaus, Depesche" wurden überbracht und ausgefertigt, die Ablösungs-
stnnden für die Posten des Elitekvrps und der andern Freikorps hier festgestellt,
und so ging es fort in bunten Wechsel von Gestalten, Nachrichten, Ausbrüchen
von Freude oder Mißstimmung, unter lautem Säbelgeklirr und Zurufen die
ganzen Tage des Oktober hindurch.

Bevor wir diese flüchtige Skizze über den "rothen Igel" und dessen welthisto¬
rische Bedeutung schließen, wollen wir noch einer entscheidenden Scene gedenken, an


noch den Reichstag oder den Gemeinderath zu weiteren revolutionären Schritten
drängen wollte», auf einigen Gesichtern dieser kleinen Gesellschaft drücken sich
deutlich eine tiefe Abspannung, wehmüthige Stimmungen ans, und mancher
schwere Seufzer, welcher sich redlichen Herzen in Anbetracht der unlösbaren Ver¬
wickelungen entrückt, wird ans Rücksicht für die nächste Umgebung niedergehalten.

Gegenseitige Achtung nud das Bewußtsein des reinen Willens und wahr¬
haft patriotischen Mitgefühls machen es möglich, daß sich nnter den Mitgliedern
dieser Tafelrunde die verschiedensten Stimmen und Ansichten über die gegenwär¬
tige bedrängte Lage der Stadt und über die politischen Verhältnisse, welche de^
mit in Verbindung stehen, kund geben. Während Freund Kaufmann in sei¬
ner beweglichen, aus dem tiefsten Gemüthe aufschießenden Redeweise seine Ent¬
rüstung über deu unseligen Mord Latours und die darüber in's Maaßlose fort¬
schreitende Revolution äußerte, und hierin von einem hagern jungen Mann, ost¬
preußischen Geblüts, vollkommen Beipflichtnng erhält, versucht Freund Fried¬
mann, der Redakteur des Gerad'aus, im jugendlichen Feuer das Recht der
Reichsversammlung und der Hauptstadt zum Widerstande gegen die Windischgrätz'
scheu inconstitntivncllen Proklamationen zu vertheidigen und!)>-. Z imm er, der Ab¬
geordnete für Teplitz beklagt sich eben so unverhohlen nud bitter über das Trei¬
ben nud Drängen der Demagogen neben an, welche den Ncichstagsausschuß zum
Revolutionstribunal umzuwandeln bemüht sind. Zuweilen tritt auch Fröbel zu die¬
sem Tisch heran und theilt dem ihm von Deutschland ans befreundeten Friedmann
mit freudiger Zuversicht die Botschaft mit, daß die Ungarn nnr noch 2 Stunden
vor Wie» stände», oder daß Jellachich bereits im vollen Rückzuge begriffen sei,
worauf ein ungläubiges Lächeln ans allen Gesichtern die Runde macht nud Fried¬
mann ironisch erwiedert: „Dies sei wohl anch Eins jener vielen Märchen,
welche das löbliche Comitv der demokratischen Vereine so eifrig im Publikum zu
verbreiten wisse."

Die übrigen Gäste im rothen Igel um diese Zeit waren meist Nationalgar¬
ten und Legionäre ans den Provinzialstädten, welche den Wienern zu Hilfe
geeilt waren. So saßen hier die Stciermcuker, kräftige hohe Gestalten, mit den
weißgrünen Landesfarbcn auf der grauen Uniform, die schlesischen und Brunner
Garden mit den schwarz-roth-goldenen Bändern. Außerdem stürzten immerwäh¬
rend Legionäre, Ordonnanzoffiziere, Führer mobiler Garden, bei den Thüren
herein und hinaus, Depesche» wurden überbracht und ausgefertigt, die Ablösungs-
stnnden für die Posten des Elitekvrps und der andern Freikorps hier festgestellt,
und so ging es fort in bunten Wechsel von Gestalten, Nachrichten, Ausbrüchen
von Freude oder Mißstimmung, unter lautem Säbelgeklirr und Zurufen die
ganzen Tage des Oktober hindurch.

Bevor wir diese flüchtige Skizze über den „rothen Igel" und dessen welthisto¬
rische Bedeutung schließen, wollen wir noch einer entscheidenden Scene gedenken, an


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[0118] noch den Reichstag oder den Gemeinderath zu weiteren revolutionären Schritten drängen wollte», auf einigen Gesichtern dieser kleinen Gesellschaft drücken sich deutlich eine tiefe Abspannung, wehmüthige Stimmungen ans, und mancher schwere Seufzer, welcher sich redlichen Herzen in Anbetracht der unlösbaren Ver¬ wickelungen entrückt, wird ans Rücksicht für die nächste Umgebung niedergehalten. Gegenseitige Achtung nud das Bewußtsein des reinen Willens und wahr¬ haft patriotischen Mitgefühls machen es möglich, daß sich nnter den Mitgliedern dieser Tafelrunde die verschiedensten Stimmen und Ansichten über die gegenwär¬ tige bedrängte Lage der Stadt und über die politischen Verhältnisse, welche de^ mit in Verbindung stehen, kund geben. Während Freund Kaufmann in sei¬ ner beweglichen, aus dem tiefsten Gemüthe aufschießenden Redeweise seine Ent¬ rüstung über deu unseligen Mord Latours und die darüber in's Maaßlose fort¬ schreitende Revolution äußerte, und hierin von einem hagern jungen Mann, ost¬ preußischen Geblüts, vollkommen Beipflichtnng erhält, versucht Freund Fried¬ mann, der Redakteur des Gerad'aus, im jugendlichen Feuer das Recht der Reichsversammlung und der Hauptstadt zum Widerstande gegen die Windischgrätz' scheu inconstitntivncllen Proklamationen zu vertheidigen und!)>-. Z imm er, der Ab¬ geordnete für Teplitz beklagt sich eben so unverhohlen nud bitter über das Trei¬ ben nud Drängen der Demagogen neben an, welche den Ncichstagsausschuß zum Revolutionstribunal umzuwandeln bemüht sind. Zuweilen tritt auch Fröbel zu die¬ sem Tisch heran und theilt dem ihm von Deutschland ans befreundeten Friedmann mit freudiger Zuversicht die Botschaft mit, daß die Ungarn nnr noch 2 Stunden vor Wie» stände», oder daß Jellachich bereits im vollen Rückzuge begriffen sei, worauf ein ungläubiges Lächeln ans allen Gesichtern die Runde macht nud Fried¬ mann ironisch erwiedert: „Dies sei wohl anch Eins jener vielen Märchen, welche das löbliche Comitv der demokratischen Vereine so eifrig im Publikum zu verbreiten wisse." Die übrigen Gäste im rothen Igel um diese Zeit waren meist Nationalgar¬ ten und Legionäre ans den Provinzialstädten, welche den Wienern zu Hilfe geeilt waren. So saßen hier die Stciermcuker, kräftige hohe Gestalten, mit den weißgrünen Landesfarbcn auf der grauen Uniform, die schlesischen und Brunner Garden mit den schwarz-roth-goldenen Bändern. Außerdem stürzten immerwäh¬ rend Legionäre, Ordonnanzoffiziere, Führer mobiler Garden, bei den Thüren herein und hinaus, Depesche» wurden überbracht und ausgefertigt, die Ablösungs- stnnden für die Posten des Elitekvrps und der andern Freikorps hier festgestellt, und so ging es fort in bunten Wechsel von Gestalten, Nachrichten, Ausbrüchen von Freude oder Mißstimmung, unter lautem Säbelgeklirr und Zurufen die ganzen Tage des Oktober hindurch. Bevor wir diese flüchtige Skizze über den „rothen Igel" und dessen welthisto¬ rische Bedeutung schließen, wollen wir noch einer entscheidenden Scene gedenken, an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/118>, abgerufen am 23.12.2024.