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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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unheimlichen Persönlichkeit des böhmischen Historikers bildet sein jüngerer Freund
Dr. Rieger, ein Mann voll Leben und Feuer, kräftig in Wort und Stimme,
liebenswürdig im persönlichen Umgang, ein begeisterter Patriot und heißblütiger
Verfechter seiner Nationalität. Wenn sich die schöne kräftige Gestalt des Herrn
Rieger im Parlamente erhebt und mit donnernder, von Aufregung bebender
Stimme den Gegnern anf der Linken zuruft: "Wir Slaven bilden die Majorität
hier und im ganzen Reiche; wenn wir wollen, wird Oestreich bestehen, auf un¬
sern Schultern ruht die Integrität des Kaiserstaates!" da fühlt wohl selbst
der erbitterste Feind des Slaventhums, daß gegen eine nationale Majorität von
Männern, welche an Willenskraft und Begeisterung ihrem Vertrauensmann Rieger
würdig zur Seite stehen, jeder parlamentarische Kampf schwierig und jeder Prin-
cipienstreit fruchtlos sein muß. Ein interessantes Schauspiel war es immer, wenn
es auch leider zu einem tragischen Ende führte, die beiden Heißsporns der deut¬
schen und czechischen Partei, Löhuer und Rieger, im parlamentarischen Turnier
gegen einander anrennen zu sehen. Beide, an Gestalt und Bewegung ziemlich
ähnlich, die dunkeln Augen aus einander geheftet, mit scheinbarer Ruhe, aber von
innerer Gluth zitternd, sprangen bei jedem geringsten Anlasse zum Schutze ihres
verletzten Nationalgefühles empor und rissen ihre Parteigänger und die Zuhörer
durch das Feuer und den Schwung ihrer Rede mit sich fort in den blinden Par-
tcikampf. -- or. Brauner, ein kaltblütigerer und diplomatisch wirkender Sla-
venfrennd, pflegte dann in solchen Fällen mit seiner tiefen Bierstimme den
Sturm zu beschwichtigen, welchen sein jüngerer Freund heraufbeschworen hatte,
ließ die Gegner zwar das ganze Gewicht der czechischen Macht fühlen, versuchte
jedoch die Principienfragen auf das Gebiet der Praxis herüberzuführen und durch
Darstellung der factischen Möglichkeiten wenigstens eine äußere Versöhnung her¬
beizuführen. Sein breites lebenslustiges Gesicht, von einem blonden Barte um¬
geben , erhält durch mehrere kleine Falten anf der Stirne und um die Augenwinkel
ein etwas verschmitztes Aussehen, das sich auch in seinem juristischen und praktisch
gewandten Austreten im Reichstage bewährt.

Doch in diesem Augenblicke schweigen die nationalen Leidenschaften und die
Parteizwiste. Beim rothen Igel herrscht mehr Freiheit, Brüderlichkeit und Gleich¬
heit, als die Manifeste der Demokratien in Europa vermuthen lassen. Herr v>.
Fr. Strvbach, der Präsident des constituirenden Reichstages, fühlt sich auch vom
Zwange der Geschäftsordnung befreit und liest sich und seinen College" und Lands-
'lenken mit vieler Bonhommie eine Satvre auf sich selbst aus den "Wiener Cha-
rivari" vor. Die Satyre bezieht sich auf die pedantische Genauigkeit, mit welcher
der durch und durch juristisch gebildete Präsident die Paragraphen der Geschäfts¬
ordnung festhält. Bekanntlich hat diese Paragraphcnstrenge des Herrn Strobach
einen welthistorischen Einfluß anf die Octoberercignisse geübt, was wohl der ehr¬
liche Doctor und seine Freunde in diesem Augenblick nicht ahnen mögen, da sie


unheimlichen Persönlichkeit des böhmischen Historikers bildet sein jüngerer Freund
Dr. Rieger, ein Mann voll Leben und Feuer, kräftig in Wort und Stimme,
liebenswürdig im persönlichen Umgang, ein begeisterter Patriot und heißblütiger
Verfechter seiner Nationalität. Wenn sich die schöne kräftige Gestalt des Herrn
Rieger im Parlamente erhebt und mit donnernder, von Aufregung bebender
Stimme den Gegnern anf der Linken zuruft: „Wir Slaven bilden die Majorität
hier und im ganzen Reiche; wenn wir wollen, wird Oestreich bestehen, auf un¬
sern Schultern ruht die Integrität des Kaiserstaates!" da fühlt wohl selbst
der erbitterste Feind des Slaventhums, daß gegen eine nationale Majorität von
Männern, welche an Willenskraft und Begeisterung ihrem Vertrauensmann Rieger
würdig zur Seite stehen, jeder parlamentarische Kampf schwierig und jeder Prin-
cipienstreit fruchtlos sein muß. Ein interessantes Schauspiel war es immer, wenn
es auch leider zu einem tragischen Ende führte, die beiden Heißsporns der deut¬
schen und czechischen Partei, Löhuer und Rieger, im parlamentarischen Turnier
gegen einander anrennen zu sehen. Beide, an Gestalt und Bewegung ziemlich
ähnlich, die dunkeln Augen aus einander geheftet, mit scheinbarer Ruhe, aber von
innerer Gluth zitternd, sprangen bei jedem geringsten Anlasse zum Schutze ihres
verletzten Nationalgefühles empor und rissen ihre Parteigänger und die Zuhörer
durch das Feuer und den Schwung ihrer Rede mit sich fort in den blinden Par-
tcikampf. — or. Brauner, ein kaltblütigerer und diplomatisch wirkender Sla-
venfrennd, pflegte dann in solchen Fällen mit seiner tiefen Bierstimme den
Sturm zu beschwichtigen, welchen sein jüngerer Freund heraufbeschworen hatte,
ließ die Gegner zwar das ganze Gewicht der czechischen Macht fühlen, versuchte
jedoch die Principienfragen auf das Gebiet der Praxis herüberzuführen und durch
Darstellung der factischen Möglichkeiten wenigstens eine äußere Versöhnung her¬
beizuführen. Sein breites lebenslustiges Gesicht, von einem blonden Barte um¬
geben , erhält durch mehrere kleine Falten anf der Stirne und um die Augenwinkel
ein etwas verschmitztes Aussehen, das sich auch in seinem juristischen und praktisch
gewandten Austreten im Reichstage bewährt.

Doch in diesem Augenblicke schweigen die nationalen Leidenschaften und die
Parteizwiste. Beim rothen Igel herrscht mehr Freiheit, Brüderlichkeit und Gleich¬
heit, als die Manifeste der Demokratien in Europa vermuthen lassen. Herr v>.
Fr. Strvbach, der Präsident des constituirenden Reichstages, fühlt sich auch vom
Zwange der Geschäftsordnung befreit und liest sich und seinen College» und Lands-
'lenken mit vieler Bonhommie eine Satvre auf sich selbst aus den „Wiener Cha-
rivari" vor. Die Satyre bezieht sich auf die pedantische Genauigkeit, mit welcher
der durch und durch juristisch gebildete Präsident die Paragraphen der Geschäfts¬
ordnung festhält. Bekanntlich hat diese Paragraphcnstrenge des Herrn Strobach
einen welthistorischen Einfluß anf die Octoberercignisse geübt, was wohl der ehr¬
liche Doctor und seine Freunde in diesem Augenblick nicht ahnen mögen, da sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/110>, abgerufen am 23.12.2024.