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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Sehen Sie, dann liegt Ihr Fehler; Sie fangen die Demokratie von Oben
an, statt von Unten. Anstatt in den kleinen Kreisen, wo Jeder seine Stellung
kennt, die Autonomie herzustellen, um so in allmäligen Fortbau die freie Gesell¬
schaft zu organisiren, fangen Sie damit an, die Kuppel bauen zu wollen ohne
Fundament. Was brauche ich die Proletarier anzuführen, sehen Sie diese con-
stituirende Versammlung in Berlin an, ob das reif ist für eine Republik! Nicht,
weil der Einzelne ungebildeter und schlechter wäre als anderwärts, aber sie haben
keinen Sinn für Ordnung und für Gesetz, weil sie dieselbe nicht erst im Kleinen
haben üben können und weil sie in dem alten Despotismus sich an Willkür ge¬
wöhnt haben. Darum war selbst der alte Landtag viel besser als dieses chaotische
Gewirr, das z. B. dem an einen gesetzlichen Gang der Dinge gewöhnten Eng¬
länder ein mitleidiges Achselzucken entlockt, weil er aus einer organischen Gliede¬
rung hervorging, weil er in kleinen Kreisen sich zuerst gewöhnt hatte, das Recht
zu achten, das er nun im Großen realisiren sollte.

Wir können noch keine Republik haben, denn wir haben noch keine Repu¬
blikaner. Wir haben uns noch nicht daran gewöhnt, unsere eigenen Gesetze zu
respectiren; die Polizei hat uns verzogen. Erst muß eine neue Erziehung, ein
neues Rechtswesen das verdorbene Geschlecht verbessert, erst die Autonomie der
kleinen Kreise uns zur Selbstregierung vorbereitet haben, ehe wir daran denken
können, einen wahrhaft freien Staat zu bilden. Greifen Sie nicht mit vermesse¬
ner Hand der natürlichen Entwickelung vor!

Sie können Barrikaden bauen, Sie können den Bürgerkrieg entzünden, Sie
können vielleicht Throne stürzen, aber eine Republik zu gründen, dazu ist Ihre
Hand zu schwach.

Freiheit (Autonomie) und Gleichheit sind die edelsten Begriffe des menschlichen
Geistes. Aber die erste ist nur denkbar in einem gegliederten, sittlich gebildeten
Gemeinwesen, nur denkbar in einem Rechtszustand. Die Freiheit, die darin be¬
steht, daß heute jeder beliebige Haufe den Staat durch einen Handstreich umwirft
und morgen ein zweiter dasselbe thut, ist die Freiheit der Prätorianer. Diese
Freiheit suchen Ihre Berliner Radikalen, indem sie die vorhandenen Waffen an
ihre Anhänger vertheilen wollen. Daß jeder Schusterjunge eine Flinte auf dem
Rücken tragen soll, gilt als unumstößliches Prinzip; einen Grund dafür anzuge¬
ben, ist aber noch Keinem eingefallen.

Vergleichen Sie das zerfahrene Wesen dieser radicalen Bummler mit dem
Organismus des Preußischen Staats selbst in der kläglichen Auflösung, in der
Sie ihn jetzt sehen. Hier ist doch wenigstens geschäftliche Bildung, Gewissenhaf¬
tigkeit, eine Art Ordnung; dort sehen Sie nichts als den Gamin, der königlich
vergnügt darüber ist, "weil Herzog Andreas graue Haare trägt, als braver Gas¬
senjunge auf den Gesetzen trampeln zu dürfen." Unter solchen Gesellen eine Rotte
zu spielen, dazu gehört ein geriebener Bursche, der sich in dem schmutzigen Ge-


Sehen Sie, dann liegt Ihr Fehler; Sie fangen die Demokratie von Oben
an, statt von Unten. Anstatt in den kleinen Kreisen, wo Jeder seine Stellung
kennt, die Autonomie herzustellen, um so in allmäligen Fortbau die freie Gesell¬
schaft zu organisiren, fangen Sie damit an, die Kuppel bauen zu wollen ohne
Fundament. Was brauche ich die Proletarier anzuführen, sehen Sie diese con-
stituirende Versammlung in Berlin an, ob das reif ist für eine Republik! Nicht,
weil der Einzelne ungebildeter und schlechter wäre als anderwärts, aber sie haben
keinen Sinn für Ordnung und für Gesetz, weil sie dieselbe nicht erst im Kleinen
haben üben können und weil sie in dem alten Despotismus sich an Willkür ge¬
wöhnt haben. Darum war selbst der alte Landtag viel besser als dieses chaotische
Gewirr, das z. B. dem an einen gesetzlichen Gang der Dinge gewöhnten Eng¬
länder ein mitleidiges Achselzucken entlockt, weil er aus einer organischen Gliede¬
rung hervorging, weil er in kleinen Kreisen sich zuerst gewöhnt hatte, das Recht
zu achten, das er nun im Großen realisiren sollte.

Wir können noch keine Republik haben, denn wir haben noch keine Repu¬
blikaner. Wir haben uns noch nicht daran gewöhnt, unsere eigenen Gesetze zu
respectiren; die Polizei hat uns verzogen. Erst muß eine neue Erziehung, ein
neues Rechtswesen das verdorbene Geschlecht verbessert, erst die Autonomie der
kleinen Kreise uns zur Selbstregierung vorbereitet haben, ehe wir daran denken
können, einen wahrhaft freien Staat zu bilden. Greifen Sie nicht mit vermesse¬
ner Hand der natürlichen Entwickelung vor!

Sie können Barrikaden bauen, Sie können den Bürgerkrieg entzünden, Sie
können vielleicht Throne stürzen, aber eine Republik zu gründen, dazu ist Ihre
Hand zu schwach.

Freiheit (Autonomie) und Gleichheit sind die edelsten Begriffe des menschlichen
Geistes. Aber die erste ist nur denkbar in einem gegliederten, sittlich gebildeten
Gemeinwesen, nur denkbar in einem Rechtszustand. Die Freiheit, die darin be¬
steht, daß heute jeder beliebige Haufe den Staat durch einen Handstreich umwirft
und morgen ein zweiter dasselbe thut, ist die Freiheit der Prätorianer. Diese
Freiheit suchen Ihre Berliner Radikalen, indem sie die vorhandenen Waffen an
ihre Anhänger vertheilen wollen. Daß jeder Schusterjunge eine Flinte auf dem
Rücken tragen soll, gilt als unumstößliches Prinzip; einen Grund dafür anzuge¬
ben, ist aber noch Keinem eingefallen.

Vergleichen Sie das zerfahrene Wesen dieser radicalen Bummler mit dem
Organismus des Preußischen Staats selbst in der kläglichen Auflösung, in der
Sie ihn jetzt sehen. Hier ist doch wenigstens geschäftliche Bildung, Gewissenhaf¬
tigkeit, eine Art Ordnung; dort sehen Sie nichts als den Gamin, der königlich
vergnügt darüber ist, „weil Herzog Andreas graue Haare trägt, als braver Gas¬
senjunge auf den Gesetzen trampeln zu dürfen." Unter solchen Gesellen eine Rotte
zu spielen, dazu gehört ein geriebener Bursche, der sich in dem schmutzigen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/78>, abgerufen am 29.06.2024.