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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Auch an der Debatte festes nicht; sie spielt in einem großen Antichambre und da
blitzt und donnert es zuweilen gewaltiger und geistreicher als in den Parlamenten.
Krieg und Friede, Feindschaft oder Freundschaft zwischen Nord und Süd wird
hier beschlossen, und die Korrespondenten ziehen hier ihre Täfelchen hervor und
schreiben in die Welt hinaus, wie man in München gesonnen sei. Wie lebhaft die
Theilnahme an diesem Verein, beweist der Umstand, daß er ganz durch eigene
Mittel getragen ist. Unter Abel's höchstseligem Regiment war dieser Verein die
einzige Oase in der großen Geisteswüstenei. Auch im Saal der Museumgesell¬
schaft, die der alte Thiersch begründet hat und welche unsere mittleren Stände
sammt der petite nublesse umfaßt, kann sich die politische Bescheidenheit gründlich
im Fache der Lectüre ausbilden. Es ist also mit einem Wort bei uns sattsam
dafür gesorgt, daß wenn Gedanken kommen, die alten nicht ausgehen und die
schlummernden geweckt werden; es ist auch mit der Localpresse besser geworden;
die Regierungspresse hat zwar nie etwas anderes gethan, als ihre Redacteurs und
Handlanger gewechselt, sich auch nie der geringsten Theilnahme vom Volke erfreut,
denu sie ward stets nur auf Regiekosten gehalten, allein die Volkspresse hat neben
einem besseren Gewände auch einen selbstständigem Geist angezogen. Wenn sie frü¬
her hocherfreut war, zu melden, wie viele Hasen, Rehe u. s. w. die allerhöchsten
und höchsten Herrschaften aus ihren Jagden geschossen und aus welchem Buchla¬
den die Frau Kurfürstin in Baiern sich neue Gebetbücher zugelegt, so ist sie
doch jetzt verständig genug, das Publikum, das sich jetzt ohnehin um den Hof fast
gar nicht mehr bekümmert, mit solcher Albernheit zu verschonen. Der "Volks¬
bote" und der "Volksfreund" reichen der frommen Heerde der Ultramontanen den
Spiegel hin, in welchem sie die verworfene Zeit zu schauen und zu beurtheilen
haben. Der "Eilbote", die "Landbötin" wirken, der eine für radikale Katholiken,
die andere für die gemäßigten Altgläubigen. Der "Landbote" sucht sich ein pro¬
testantisches Publikum zu bilden. Das "Vorwärts" ist das Organ des philantro-
pischen und weltbürgerlichen Radicalismus resp. Socialismus. Die "deutsche con-
stitutionelle Zeitung", aus Augsburg hierher übersiedelt, ist aus dem alten Libera¬
lismus in die neue demokratische Zeitfärbung doctrinairen Styles überwachsen.
In neuester Zeit hat Fürst Ludwig Wallerstein seine Ansichten in diesem Blatte,
das im mühsamsten Fleiße um seine Existenz kämpft, niedergelegt; vor Jahres¬
frist würde es in Deutschland uoch Aufsehn gemacht haben, wenn ein Fürst und
Staatsmann seine Feder so offen und unumwunden in der Tagespresse hätte spie¬
len lassen, jetzt verschwinden die Ideen der Staatsmänner einer überwundenen
Zeit im Strom der Thatsachen, selbst dann, wenn diese Ideen so überaus künst¬
lich den schöpferischen Ideen der demokratischen Neuzeit nachgebildet werden, daß
nur das Auge des Kenners die glückliche Copie von dem glücklicheren Original
zu unterscheiden vermag. Das "Tageblatt" und der "Punch" vertreten, nament¬
lich letzterer nach dem Localen und der Tagesläusigkeit hin den Humor in sprudeln-


Auch an der Debatte festes nicht; sie spielt in einem großen Antichambre und da
blitzt und donnert es zuweilen gewaltiger und geistreicher als in den Parlamenten.
Krieg und Friede, Feindschaft oder Freundschaft zwischen Nord und Süd wird
hier beschlossen, und die Korrespondenten ziehen hier ihre Täfelchen hervor und
schreiben in die Welt hinaus, wie man in München gesonnen sei. Wie lebhaft die
Theilnahme an diesem Verein, beweist der Umstand, daß er ganz durch eigene
Mittel getragen ist. Unter Abel's höchstseligem Regiment war dieser Verein die
einzige Oase in der großen Geisteswüstenei. Auch im Saal der Museumgesell¬
schaft, die der alte Thiersch begründet hat und welche unsere mittleren Stände
sammt der petite nublesse umfaßt, kann sich die politische Bescheidenheit gründlich
im Fache der Lectüre ausbilden. Es ist also mit einem Wort bei uns sattsam
dafür gesorgt, daß wenn Gedanken kommen, die alten nicht ausgehen und die
schlummernden geweckt werden; es ist auch mit der Localpresse besser geworden;
die Regierungspresse hat zwar nie etwas anderes gethan, als ihre Redacteurs und
Handlanger gewechselt, sich auch nie der geringsten Theilnahme vom Volke erfreut,
denu sie ward stets nur auf Regiekosten gehalten, allein die Volkspresse hat neben
einem besseren Gewände auch einen selbstständigem Geist angezogen. Wenn sie frü¬
her hocherfreut war, zu melden, wie viele Hasen, Rehe u. s. w. die allerhöchsten
und höchsten Herrschaften aus ihren Jagden geschossen und aus welchem Buchla¬
den die Frau Kurfürstin in Baiern sich neue Gebetbücher zugelegt, so ist sie
doch jetzt verständig genug, das Publikum, das sich jetzt ohnehin um den Hof fast
gar nicht mehr bekümmert, mit solcher Albernheit zu verschonen. Der „Volks¬
bote" und der „Volksfreund" reichen der frommen Heerde der Ultramontanen den
Spiegel hin, in welchem sie die verworfene Zeit zu schauen und zu beurtheilen
haben. Der „Eilbote", die „Landbötin" wirken, der eine für radikale Katholiken,
die andere für die gemäßigten Altgläubigen. Der „Landbote" sucht sich ein pro¬
testantisches Publikum zu bilden. Das „Vorwärts" ist das Organ des philantro-
pischen und weltbürgerlichen Radicalismus resp. Socialismus. Die „deutsche con-
stitutionelle Zeitung", aus Augsburg hierher übersiedelt, ist aus dem alten Libera¬
lismus in die neue demokratische Zeitfärbung doctrinairen Styles überwachsen.
In neuester Zeit hat Fürst Ludwig Wallerstein seine Ansichten in diesem Blatte,
das im mühsamsten Fleiße um seine Existenz kämpft, niedergelegt; vor Jahres¬
frist würde es in Deutschland uoch Aufsehn gemacht haben, wenn ein Fürst und
Staatsmann seine Feder so offen und unumwunden in der Tagespresse hätte spie¬
len lassen, jetzt verschwinden die Ideen der Staatsmänner einer überwundenen
Zeit im Strom der Thatsachen, selbst dann, wenn diese Ideen so überaus künst¬
lich den schöpferischen Ideen der demokratischen Neuzeit nachgebildet werden, daß
nur das Auge des Kenners die glückliche Copie von dem glücklicheren Original
zu unterscheiden vermag. Das „Tageblatt" und der „Punch" vertreten, nament¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/532>, abgerufen am 29.06.2024.